Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Versuchen so manches Unglück schon erlebt hatten. Und die Gelegenheit, die
sie für ihre Expectorationen doch wohl nicht ganz unbenutzt vorübergehen
hätten lassen können, die Verhandlung nämlich über das Wahlgesetz, wurde
ihnen abgeschnitten, indem die Regierung diesen Gesetzentwurf selbst zurückzog.
Die langwierigen Debatten in der Commission hatten beiden Parteien die
Ueberzeugung beigebracht, daß die nöthige Zweidrittelmajorität für das Zu¬
standekommen des Gesetzes im Plenum der dermaligen Abgeordnetenkammer
nie zu erreichen gewesen wäre, indem, wenn man auch allseitig über das
Prinzip der direkten Wahl einig war, doch die durch Gesetz festzustellende
Eintheilung der Wahlkreise jedes Compromiß scheitern ließ. So wird denn
die gegen die Mitte des Sommers stattfindende Neuwahl noch nach dem bis¬
herigen indirekten Modus sich vollziehen. Schon treten für sie allenthalben
die Borbereitungen in Sicht. Rechte und Linke, Reichsfreunde und Reichs¬
feinde -- denn das ist doch wohl die einzig richtige Bezeichnung für die Gegen¬
sätze, die sich hier wir anderwärts bekämpfen, -- stellen sich auf den Plan.
Die Abgeordneten der Linken haben, ohne Unterschied der auch unter ihnen
bestehenden Schattirungen ein Manifest, eine Art Rechenschaftsbericht, an ihre
Wähler erlassen. Auch die "Sechs" von der ultramontanen Clique "Abge¬
fallenen", deren Bedeutung für die bisherigen Kammerverhältnisse wir früher ge¬
dacht, haben einen ähnlichen Schritt gethan, aber, so geistreich ihre "Erklärung"
aus der gewandten Feder Schleich's ist, so wenig glauben wir doch, daß sie
den bittern Groll, welchen die Klerikalen gerade gegen diese "Wackelmänner",
wie sie das "Vaterland" betitelt, hegen, zu ihren Gunsten umstimmen wird.
Zieht man den für uns wahrscheinlichen Verlust dieser Stimmen ab, so wissen
wir nicht recht, ob noch, wie man selbst liberalerseits mitunter meint,
die reichsfreundliche Partei Aussicht hat, die Mehrheit in der neuen Kammer
zu gewinnen. Wir verhehlen uns nicht, daß wir für' die nächste Zukunft
Bayerns ziemlich schwarz sehen. Es giebt ganze Provinzen, wie Unter- und
Oberfranken, Ober-, Niederbayern und Oberpfalz, in denen, wenn nicht gar
keine, doch jedenfalls sehr wenige weiße Kugeln der Wahlurne entrollen werden.

Das Schüren und Hetzen der ultramontanen Blätter hat schon jetzt einen
bedenklichen Grad erreicht; "Vaterland" und "Donauzeitung" bringen jede
Woche eine neue Proscriptionsltste der "Unentschiedenen, Halben, Ab- und
Angefallenen", so daß auf jener Seite bald kein Name mehr vorhanden sein
wird, der nicht in ächter schwarzer Rolle gefärbt ist. Dazu kommt in den
diesen Herren entgegenstehenden Reihen die nicht unbedenkliche Spaltung zwischen
"Liberalen" und "Nationalconservativen", welch letztere in der "Süddeutschen
Reichspost", der bayrischen "Kreuzzeitung", ein nicht zu unterschätzendes Organ
gefunden haben. Aus einer anfänglichen Flankenstellung rechts von den


Versuchen so manches Unglück schon erlebt hatten. Und die Gelegenheit, die
sie für ihre Expectorationen doch wohl nicht ganz unbenutzt vorübergehen
hätten lassen können, die Verhandlung nämlich über das Wahlgesetz, wurde
ihnen abgeschnitten, indem die Regierung diesen Gesetzentwurf selbst zurückzog.
Die langwierigen Debatten in der Commission hatten beiden Parteien die
Ueberzeugung beigebracht, daß die nöthige Zweidrittelmajorität für das Zu¬
standekommen des Gesetzes im Plenum der dermaligen Abgeordnetenkammer
nie zu erreichen gewesen wäre, indem, wenn man auch allseitig über das
Prinzip der direkten Wahl einig war, doch die durch Gesetz festzustellende
Eintheilung der Wahlkreise jedes Compromiß scheitern ließ. So wird denn
die gegen die Mitte des Sommers stattfindende Neuwahl noch nach dem bis¬
herigen indirekten Modus sich vollziehen. Schon treten für sie allenthalben
die Borbereitungen in Sicht. Rechte und Linke, Reichsfreunde und Reichs¬
feinde — denn das ist doch wohl die einzig richtige Bezeichnung für die Gegen¬
sätze, die sich hier wir anderwärts bekämpfen, — stellen sich auf den Plan.
Die Abgeordneten der Linken haben, ohne Unterschied der auch unter ihnen
bestehenden Schattirungen ein Manifest, eine Art Rechenschaftsbericht, an ihre
Wähler erlassen. Auch die „Sechs" von der ultramontanen Clique „Abge¬
fallenen", deren Bedeutung für die bisherigen Kammerverhältnisse wir früher ge¬
dacht, haben einen ähnlichen Schritt gethan, aber, so geistreich ihre „Erklärung"
aus der gewandten Feder Schleich's ist, so wenig glauben wir doch, daß sie
den bittern Groll, welchen die Klerikalen gerade gegen diese „Wackelmänner",
wie sie das „Vaterland" betitelt, hegen, zu ihren Gunsten umstimmen wird.
Zieht man den für uns wahrscheinlichen Verlust dieser Stimmen ab, so wissen
wir nicht recht, ob noch, wie man selbst liberalerseits mitunter meint,
die reichsfreundliche Partei Aussicht hat, die Mehrheit in der neuen Kammer
zu gewinnen. Wir verhehlen uns nicht, daß wir für' die nächste Zukunft
Bayerns ziemlich schwarz sehen. Es giebt ganze Provinzen, wie Unter- und
Oberfranken, Ober-, Niederbayern und Oberpfalz, in denen, wenn nicht gar
keine, doch jedenfalls sehr wenige weiße Kugeln der Wahlurne entrollen werden.

Das Schüren und Hetzen der ultramontanen Blätter hat schon jetzt einen
bedenklichen Grad erreicht; „Vaterland" und „Donauzeitung" bringen jede
Woche eine neue Proscriptionsltste der „Unentschiedenen, Halben, Ab- und
Angefallenen", so daß auf jener Seite bald kein Name mehr vorhanden sein
wird, der nicht in ächter schwarzer Rolle gefärbt ist. Dazu kommt in den
diesen Herren entgegenstehenden Reihen die nicht unbedenkliche Spaltung zwischen
„Liberalen" und „Nationalconservativen", welch letztere in der „Süddeutschen
Reichspost", der bayrischen „Kreuzzeitung", ein nicht zu unterschätzendes Organ
gefunden haben. Aus einer anfänglichen Flankenstellung rechts von den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133570"/>
          <p xml:id="ID_900" prev="#ID_899"> Versuchen so manches Unglück schon erlebt hatten. Und die Gelegenheit, die<lb/>
sie für ihre Expectorationen doch wohl nicht ganz unbenutzt vorübergehen<lb/>
hätten lassen können, die Verhandlung nämlich über das Wahlgesetz, wurde<lb/>
ihnen abgeschnitten, indem die Regierung diesen Gesetzentwurf selbst zurückzog.<lb/>
Die langwierigen Debatten in der Commission hatten beiden Parteien die<lb/>
Ueberzeugung beigebracht, daß die nöthige Zweidrittelmajorität für das Zu¬<lb/>
standekommen des Gesetzes im Plenum der dermaligen Abgeordnetenkammer<lb/>
nie zu erreichen gewesen wäre, indem, wenn man auch allseitig über das<lb/>
Prinzip der direkten Wahl einig war, doch die durch Gesetz festzustellende<lb/>
Eintheilung der Wahlkreise jedes Compromiß scheitern ließ. So wird denn<lb/>
die gegen die Mitte des Sommers stattfindende Neuwahl noch nach dem bis¬<lb/>
herigen indirekten Modus sich vollziehen. Schon treten für sie allenthalben<lb/>
die Borbereitungen in Sicht. Rechte und Linke, Reichsfreunde und Reichs¬<lb/>
feinde &#x2014; denn das ist doch wohl die einzig richtige Bezeichnung für die Gegen¬<lb/>
sätze, die sich hier wir anderwärts bekämpfen, &#x2014; stellen sich auf den Plan.<lb/>
Die Abgeordneten der Linken haben, ohne Unterschied der auch unter ihnen<lb/>
bestehenden Schattirungen ein Manifest, eine Art Rechenschaftsbericht, an ihre<lb/>
Wähler erlassen. Auch die &#x201E;Sechs" von der ultramontanen Clique &#x201E;Abge¬<lb/>
fallenen", deren Bedeutung für die bisherigen Kammerverhältnisse wir früher ge¬<lb/>
dacht, haben einen ähnlichen Schritt gethan, aber, so geistreich ihre &#x201E;Erklärung"<lb/>
aus der gewandten Feder Schleich's ist, so wenig glauben wir doch, daß sie<lb/>
den bittern Groll, welchen die Klerikalen gerade gegen diese &#x201E;Wackelmänner",<lb/>
wie sie das &#x201E;Vaterland" betitelt, hegen, zu ihren Gunsten umstimmen wird.<lb/>
Zieht man den für uns wahrscheinlichen Verlust dieser Stimmen ab, so wissen<lb/>
wir nicht recht, ob noch, wie man selbst liberalerseits mitunter meint,<lb/>
die reichsfreundliche Partei Aussicht hat, die Mehrheit in der neuen Kammer<lb/>
zu gewinnen. Wir verhehlen uns nicht, daß wir für' die nächste Zukunft<lb/>
Bayerns ziemlich schwarz sehen. Es giebt ganze Provinzen, wie Unter- und<lb/>
Oberfranken, Ober-, Niederbayern und Oberpfalz, in denen, wenn nicht gar<lb/>
keine, doch jedenfalls sehr wenige weiße Kugeln der Wahlurne entrollen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901" next="#ID_902"> Das Schüren und Hetzen der ultramontanen Blätter hat schon jetzt einen<lb/>
bedenklichen Grad erreicht; &#x201E;Vaterland" und &#x201E;Donauzeitung" bringen jede<lb/>
Woche eine neue Proscriptionsltste der &#x201E;Unentschiedenen, Halben, Ab- und<lb/>
Angefallenen", so daß auf jener Seite bald kein Name mehr vorhanden sein<lb/>
wird, der nicht in ächter schwarzer Rolle gefärbt ist. Dazu kommt in den<lb/>
diesen Herren entgegenstehenden Reihen die nicht unbedenkliche Spaltung zwischen<lb/>
&#x201E;Liberalen" und &#x201E;Nationalconservativen", welch letztere in der &#x201E;Süddeutschen<lb/>
Reichspost", der bayrischen &#x201E;Kreuzzeitung", ein nicht zu unterschätzendes Organ<lb/>
gefunden haben.  Aus einer anfänglichen Flankenstellung rechts von den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Versuchen so manches Unglück schon erlebt hatten. Und die Gelegenheit, die sie für ihre Expectorationen doch wohl nicht ganz unbenutzt vorübergehen hätten lassen können, die Verhandlung nämlich über das Wahlgesetz, wurde ihnen abgeschnitten, indem die Regierung diesen Gesetzentwurf selbst zurückzog. Die langwierigen Debatten in der Commission hatten beiden Parteien die Ueberzeugung beigebracht, daß die nöthige Zweidrittelmajorität für das Zu¬ standekommen des Gesetzes im Plenum der dermaligen Abgeordnetenkammer nie zu erreichen gewesen wäre, indem, wenn man auch allseitig über das Prinzip der direkten Wahl einig war, doch die durch Gesetz festzustellende Eintheilung der Wahlkreise jedes Compromiß scheitern ließ. So wird denn die gegen die Mitte des Sommers stattfindende Neuwahl noch nach dem bis¬ herigen indirekten Modus sich vollziehen. Schon treten für sie allenthalben die Borbereitungen in Sicht. Rechte und Linke, Reichsfreunde und Reichs¬ feinde — denn das ist doch wohl die einzig richtige Bezeichnung für die Gegen¬ sätze, die sich hier wir anderwärts bekämpfen, — stellen sich auf den Plan. Die Abgeordneten der Linken haben, ohne Unterschied der auch unter ihnen bestehenden Schattirungen ein Manifest, eine Art Rechenschaftsbericht, an ihre Wähler erlassen. Auch die „Sechs" von der ultramontanen Clique „Abge¬ fallenen", deren Bedeutung für die bisherigen Kammerverhältnisse wir früher ge¬ dacht, haben einen ähnlichen Schritt gethan, aber, so geistreich ihre „Erklärung" aus der gewandten Feder Schleich's ist, so wenig glauben wir doch, daß sie den bittern Groll, welchen die Klerikalen gerade gegen diese „Wackelmänner", wie sie das „Vaterland" betitelt, hegen, zu ihren Gunsten umstimmen wird. Zieht man den für uns wahrscheinlichen Verlust dieser Stimmen ab, so wissen wir nicht recht, ob noch, wie man selbst liberalerseits mitunter meint, die reichsfreundliche Partei Aussicht hat, die Mehrheit in der neuen Kammer zu gewinnen. Wir verhehlen uns nicht, daß wir für' die nächste Zukunft Bayerns ziemlich schwarz sehen. Es giebt ganze Provinzen, wie Unter- und Oberfranken, Ober-, Niederbayern und Oberpfalz, in denen, wenn nicht gar keine, doch jedenfalls sehr wenige weiße Kugeln der Wahlurne entrollen werden. Das Schüren und Hetzen der ultramontanen Blätter hat schon jetzt einen bedenklichen Grad erreicht; „Vaterland" und „Donauzeitung" bringen jede Woche eine neue Proscriptionsltste der „Unentschiedenen, Halben, Ab- und Angefallenen", so daß auf jener Seite bald kein Name mehr vorhanden sein wird, der nicht in ächter schwarzer Rolle gefärbt ist. Dazu kommt in den diesen Herren entgegenstehenden Reihen die nicht unbedenkliche Spaltung zwischen „Liberalen" und „Nationalconservativen", welch letztere in der „Süddeutschen Reichspost", der bayrischen „Kreuzzeitung", ein nicht zu unterschätzendes Organ gefunden haben. Aus einer anfänglichen Flankenstellung rechts von den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/282>, abgerufen am 06.02.2025.