Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

über die Taktik -- Cassius giebt auch hier nach, doch aus anderen Grunde,
als bei Shakespeare, Er weiß, daß Porcta todt ist und fürchtet, Brutus
könne es jede Stunde erfahren. Das geschieht auch. Der alte Haussklave
Straton hat sich mit der Trauerbotschaft von Italien hierher aufgemacht.
Er berichtet sie dem Brutus vor unsern Ohren -- mit gewaltiger dramatischer
Kraft hat Kruse diese Scene (die Shakespeare, wie gezeigt wurde, nicht besitzt) aus¬
gerüstet. Auch bildet die durch diese Unmittelbarkeit der Trauerbotschaft er¬
zeugte Seelenstimmung des Brutus eine feine psychologische Erklärung für die
Erscheinung des Geistes, die uns -- als einzige Gespenstervision der antiken
Welt -- ja historisch beglaubigt und für den Dichter von höchster drama¬
tischer Bedeutung ist. Muthvoll und siegeszuversichtig ruft Brutus am Schlüsse
des Actes dem Dämon und den Feinden in die späte Nacht hinaus:
"Und bei Philippi sehen wir uns wieder!"
In dieser männlichen Erhabenheit über den Wandel der Geschicke redet
Brutus auch zu Anfang des fünften Actes zu Cassius, der am Schlachtmor¬
gen über die zweite Erscheinung des Gespenstes, die schlimmen Zeichen, das
heraufziehende Unwetter u. A. bestürzt ist. Brutus verweist auf die Hoheit
der Sache, der sie dienen. Und als die Männer sich die Hand reichen zum Ab¬
schied auf Leben und Tod, und Cassius fragt, was Brutus im Falle einer
Niederlage mit sich anzufangen gedenke, da spricht Brutus:
[Beginn Spaltensatz] Genug, ich werde Rom nicht überleben.
Ich bin zufrieden mit dem Glücke, daß ich
An des Märzes Iden, was ich bin und habe
[Spaltenumbruch]
Gewagt hab' an mein theures Vaterland,
Und so ein andres Leben, frei und ruhmvoll.
Seitdem genossen habe.
[Ende Spaltensatz]
Auch bei Shakespeare versenken sich die beiden letzten Römer vor ihrem
Abschied in Selbstmordphilosophie. Aber uns dünkt, bei Kruse klinge die Lehre der
Stoa und das Bewußtsein der besseren Sache großartiger aus dem Munde des
Helden als bei Shakespeare, der dieser Abschiedsscene das unnatürliche Rencontre
aller vier Feldherren vor den beiden Heeren vorausgehen läßt, das in wüstes
Gezänk ausartet. Auch ist es ein feiner Zug bei Kruse, daß dieser die Über¬
lassung des rechten Flügels an Brutus als den letzten Gefallen hinstellt, den
Brutus vom Genossen begehrt, um Octavian selbst gegenüber zu stehen. Der
Rest der Handlung ist schnell berichtet. Der rechte Flügel des Brutus siegt;
Octavian wird widerwillig von seinen Hauptleuten zur Flucht fortgerissen.
Der junge Cato und Brutus selbst glauben das Loos des Tages entschieden.
Da meldet des Cassius Adjutant die Niederlage und den Tod des Gefähr¬
ten -- auch das ist ein Vorzug der Kruse'schen Dichtung, daß wir nicht
zweimal bei Cassius und Brutus den Selbstmord mit ansehen müssen -- nun
haben sich die Truppen des Octavian wieder gesammelt und mit den sieg¬
reichen des Antonius vereinigt und drängen an. Brutus bittet alle Freunde
zu fliehen, nur Straton harrt bei ihm aus und erweist ihm den letzten Lie-

über die Taktik — Cassius giebt auch hier nach, doch aus anderen Grunde,
als bei Shakespeare, Er weiß, daß Porcta todt ist und fürchtet, Brutus
könne es jede Stunde erfahren. Das geschieht auch. Der alte Haussklave
Straton hat sich mit der Trauerbotschaft von Italien hierher aufgemacht.
Er berichtet sie dem Brutus vor unsern Ohren — mit gewaltiger dramatischer
Kraft hat Kruse diese Scene (die Shakespeare, wie gezeigt wurde, nicht besitzt) aus¬
gerüstet. Auch bildet die durch diese Unmittelbarkeit der Trauerbotschaft er¬
zeugte Seelenstimmung des Brutus eine feine psychologische Erklärung für die
Erscheinung des Geistes, die uns — als einzige Gespenstervision der antiken
Welt — ja historisch beglaubigt und für den Dichter von höchster drama¬
tischer Bedeutung ist. Muthvoll und siegeszuversichtig ruft Brutus am Schlüsse
des Actes dem Dämon und den Feinden in die späte Nacht hinaus:
„Und bei Philippi sehen wir uns wieder!"
In dieser männlichen Erhabenheit über den Wandel der Geschicke redet
Brutus auch zu Anfang des fünften Actes zu Cassius, der am Schlachtmor¬
gen über die zweite Erscheinung des Gespenstes, die schlimmen Zeichen, das
heraufziehende Unwetter u. A. bestürzt ist. Brutus verweist auf die Hoheit
der Sache, der sie dienen. Und als die Männer sich die Hand reichen zum Ab¬
schied auf Leben und Tod, und Cassius fragt, was Brutus im Falle einer
Niederlage mit sich anzufangen gedenke, da spricht Brutus:
[Beginn Spaltensatz] Genug, ich werde Rom nicht überleben.
Ich bin zufrieden mit dem Glücke, daß ich
An des Märzes Iden, was ich bin und habe
[Spaltenumbruch]
Gewagt hab' an mein theures Vaterland,
Und so ein andres Leben, frei und ruhmvoll.
Seitdem genossen habe.
[Ende Spaltensatz]
Auch bei Shakespeare versenken sich die beiden letzten Römer vor ihrem
Abschied in Selbstmordphilosophie. Aber uns dünkt, bei Kruse klinge die Lehre der
Stoa und das Bewußtsein der besseren Sache großartiger aus dem Munde des
Helden als bei Shakespeare, der dieser Abschiedsscene das unnatürliche Rencontre
aller vier Feldherren vor den beiden Heeren vorausgehen läßt, das in wüstes
Gezänk ausartet. Auch ist es ein feiner Zug bei Kruse, daß dieser die Über¬
lassung des rechten Flügels an Brutus als den letzten Gefallen hinstellt, den
Brutus vom Genossen begehrt, um Octavian selbst gegenüber zu stehen. Der
Rest der Handlung ist schnell berichtet. Der rechte Flügel des Brutus siegt;
Octavian wird widerwillig von seinen Hauptleuten zur Flucht fortgerissen.
Der junge Cato und Brutus selbst glauben das Loos des Tages entschieden.
Da meldet des Cassius Adjutant die Niederlage und den Tod des Gefähr¬
ten — auch das ist ein Vorzug der Kruse'schen Dichtung, daß wir nicht
zweimal bei Cassius und Brutus den Selbstmord mit ansehen müssen — nun
haben sich die Truppen des Octavian wieder gesammelt und mit den sieg¬
reichen des Antonius vereinigt und drängen an. Brutus bittet alle Freunde
zu fliehen, nur Straton harrt bei ihm aus und erweist ihm den letzten Lie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133548"/>
über die Taktik &#x2014; Cassius giebt auch hier nach, doch aus anderen Grunde,<lb/>
als bei Shakespeare, Er weiß, daß Porcta todt ist und fürchtet, Brutus<lb/>
könne es jede Stunde erfahren. Das geschieht auch. Der alte Haussklave<lb/>
Straton hat sich mit der Trauerbotschaft von Italien hierher aufgemacht.<lb/>
Er berichtet sie dem Brutus vor unsern Ohren &#x2014; mit gewaltiger dramatischer<lb/>
Kraft hat Kruse diese Scene (die Shakespeare, wie gezeigt wurde, nicht besitzt) aus¬<lb/>
gerüstet. Auch bildet die durch diese Unmittelbarkeit der Trauerbotschaft er¬<lb/>
zeugte Seelenstimmung des Brutus eine feine psychologische Erklärung für die<lb/>
Erscheinung des Geistes, die uns &#x2014; als einzige Gespenstervision der antiken<lb/>
Welt &#x2014; ja historisch beglaubigt und für den Dichter von höchster drama¬<lb/>
tischer Bedeutung ist. Muthvoll und siegeszuversichtig ruft Brutus am Schlüsse<lb/>
des Actes dem Dämon und den Feinden in die späte Nacht hinaus:<lb/><quote> &#x201E;Und bei Philippi sehen wir uns wieder!"</quote><lb/>
In dieser männlichen Erhabenheit über den Wandel der Geschicke redet<lb/>
Brutus auch zu Anfang des fünften Actes zu Cassius, der am Schlachtmor¬<lb/>
gen über die zweite Erscheinung des Gespenstes, die schlimmen Zeichen, das<lb/>
heraufziehende Unwetter u. A. bestürzt ist. Brutus verweist auf die Hoheit<lb/>
der Sache, der sie dienen. Und als die Männer sich die Hand reichen zum Ab¬<lb/>
schied auf Leben und Tod, und Cassius fragt, was Brutus im Falle einer<lb/>
Niederlage mit sich anzufangen gedenke, da spricht Brutus:<lb/><cb type="start"/>
<quote> Genug, ich werde Rom nicht überleben.<lb/>
Ich bin zufrieden mit dem Glücke, daß ich<lb/>
An des Märzes Iden, was ich bin und habe </quote> <cb/><lb/><quote> Gewagt hab' an mein theures Vaterland,<lb/>
Und so ein andres Leben, frei und ruhmvoll.<lb/>
Seitdem genossen habe.</quote><cb type="end"/><lb/>
Auch bei Shakespeare versenken sich die beiden letzten Römer vor ihrem<lb/>
Abschied in Selbstmordphilosophie. Aber uns dünkt, bei Kruse klinge die Lehre der<lb/>
Stoa und das Bewußtsein der besseren Sache großartiger aus dem Munde des<lb/>
Helden als bei Shakespeare, der dieser Abschiedsscene das unnatürliche Rencontre<lb/>
aller vier Feldherren vor den beiden Heeren vorausgehen läßt, das in wüstes<lb/>
Gezänk ausartet. Auch ist es ein feiner Zug bei Kruse, daß dieser die Über¬<lb/>
lassung des rechten Flügels an Brutus als den letzten Gefallen hinstellt, den<lb/>
Brutus vom Genossen begehrt, um Octavian selbst gegenüber zu stehen. Der<lb/>
Rest der Handlung ist schnell berichtet. Der rechte Flügel des Brutus siegt;<lb/>
Octavian wird widerwillig von seinen Hauptleuten zur Flucht fortgerissen.<lb/>
Der junge Cato und Brutus selbst glauben das Loos des Tages entschieden.<lb/>
Da meldet des Cassius Adjutant die Niederlage und den Tod des Gefähr¬<lb/>
ten &#x2014; auch das ist ein Vorzug der Kruse'schen Dichtung, daß wir nicht<lb/>
zweimal bei Cassius und Brutus den Selbstmord mit ansehen müssen &#x2014; nun<lb/>
haben sich die Truppen des Octavian wieder gesammelt und mit den sieg¬<lb/>
reichen des Antonius vereinigt und drängen an. Brutus bittet alle Freunde<lb/>
zu fliehen, nur Straton harrt bei ihm aus und erweist ihm den letzten Lie-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0260] über die Taktik — Cassius giebt auch hier nach, doch aus anderen Grunde, als bei Shakespeare, Er weiß, daß Porcta todt ist und fürchtet, Brutus könne es jede Stunde erfahren. Das geschieht auch. Der alte Haussklave Straton hat sich mit der Trauerbotschaft von Italien hierher aufgemacht. Er berichtet sie dem Brutus vor unsern Ohren — mit gewaltiger dramatischer Kraft hat Kruse diese Scene (die Shakespeare, wie gezeigt wurde, nicht besitzt) aus¬ gerüstet. Auch bildet die durch diese Unmittelbarkeit der Trauerbotschaft er¬ zeugte Seelenstimmung des Brutus eine feine psychologische Erklärung für die Erscheinung des Geistes, die uns — als einzige Gespenstervision der antiken Welt — ja historisch beglaubigt und für den Dichter von höchster drama¬ tischer Bedeutung ist. Muthvoll und siegeszuversichtig ruft Brutus am Schlüsse des Actes dem Dämon und den Feinden in die späte Nacht hinaus: „Und bei Philippi sehen wir uns wieder!" In dieser männlichen Erhabenheit über den Wandel der Geschicke redet Brutus auch zu Anfang des fünften Actes zu Cassius, der am Schlachtmor¬ gen über die zweite Erscheinung des Gespenstes, die schlimmen Zeichen, das heraufziehende Unwetter u. A. bestürzt ist. Brutus verweist auf die Hoheit der Sache, der sie dienen. Und als die Männer sich die Hand reichen zum Ab¬ schied auf Leben und Tod, und Cassius fragt, was Brutus im Falle einer Niederlage mit sich anzufangen gedenke, da spricht Brutus: Genug, ich werde Rom nicht überleben. Ich bin zufrieden mit dem Glücke, daß ich An des Märzes Iden, was ich bin und habe Gewagt hab' an mein theures Vaterland, Und so ein andres Leben, frei und ruhmvoll. Seitdem genossen habe. Auch bei Shakespeare versenken sich die beiden letzten Römer vor ihrem Abschied in Selbstmordphilosophie. Aber uns dünkt, bei Kruse klinge die Lehre der Stoa und das Bewußtsein der besseren Sache großartiger aus dem Munde des Helden als bei Shakespeare, der dieser Abschiedsscene das unnatürliche Rencontre aller vier Feldherren vor den beiden Heeren vorausgehen läßt, das in wüstes Gezänk ausartet. Auch ist es ein feiner Zug bei Kruse, daß dieser die Über¬ lassung des rechten Flügels an Brutus als den letzten Gefallen hinstellt, den Brutus vom Genossen begehrt, um Octavian selbst gegenüber zu stehen. Der Rest der Handlung ist schnell berichtet. Der rechte Flügel des Brutus siegt; Octavian wird widerwillig von seinen Hauptleuten zur Flucht fortgerissen. Der junge Cato und Brutus selbst glauben das Loos des Tages entschieden. Da meldet des Cassius Adjutant die Niederlage und den Tod des Gefähr¬ ten — auch das ist ein Vorzug der Kruse'schen Dichtung, daß wir nicht zweimal bei Cassius und Brutus den Selbstmord mit ansehen müssen — nun haben sich die Truppen des Octavian wieder gesammelt und mit den sieg¬ reichen des Antonius vereinigt und drängen an. Brutus bittet alle Freunde zu fliehen, nur Straton harrt bei ihm aus und erweist ihm den letzten Lie-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/260
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/260>, abgerufen am 06.02.2025.