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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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verjagt und ihre Habseligkeiten aus den Amtswohnungen geworfen. Und
alles dies geschah im Namen des päpstlichen Breve, welches sie als eine vom
Himmel gefallene Schrift des heiligen Vaters priesen. Die Anhänger des
Papstes schürten das Feuer durch absichtlich verbreitete Gerüchte, als ob die
orthodoxe Kirche die Mutter Gottes nicht anbete und andre.

Die Regierung konnte nicht umhin, diesen Intriguen und Unordnungen
ein Ende zu machen. Es ist ihre Pflicht, die Ruhe des Landes zu wahren,
ganz besonders aber eines Landes, welches selten frei ist von der Agitation
des polnischen Adels und der Geistlichkeit.

Es wird behauptet, die Vereinigung der Unirten mit der griechisch-russi¬
schen Kirche sei nicht ohne Einfluß der administrativen Behörden zu Stande
gekommen. Aber dem ganzen Lande ist es bekannt, daß von Seiten der Ad¬
ministration durchaus keine Gewaltmaßregeln in Anwendung gebracht worden
sind. Es war auch gar nicht nöthig, Gewalt oder Beeinflussung zu gebrau¬
chen. Der Rückkehr von Unirten in den Schooß der orthodoxen Kirche gegen
Ende des XVIII. Jahrhunderts folgte die zahlreiche Wiedervereinigung der
Bevölkerung der westlichen Gouvernements in den dreißiger Jahren des lau-'
senden Jahrhunderts und schließlich werden die Unirten im Königreich Polen
dem Beispiele ihrer Brüder im russischen Grenzlande folgen.

Vorläufig hat sich beinahe der fünfte Theil der sämmtlichen unirten
Bevölkerung im Königreich Polen freiwillig und auf eigenes Verlangen
bekehrt.

Die Landbevölkerung hat trotz aller ihrer Einfachheit eingesehen, daß
jegliche weitere Verbindung mit der römischen Kirche ihr nicht nur keine Ruhe,
sondern auch in Zukunft nur Unheil bringen werde -- und so entstand der
Wunsch der Wiedervereinigung. Die langjährigen Machinationen Roms und
alle möglichen Bedrückungen waren nicht im Stande gewesen, in der Masse
des Volkes das Andenken der Religion seiner Väter und seine Abstammung
zu verwischen oder die starken Bande der russischen Stammverwandtschaft zu
sprengen. Graf Kotzebue begnügte sich nicht mit offiziellen Nachrichten über
die Bereitwilligkeit eines bedeutenden Theils der unirten Bevölkerung zur Ver¬
einigung mit der griechischen Kirche -- sondern ließ zuvor durch die Geistlich¬
keit und durch Vertrauenspersonen die Lage der Dinge sorgfältig untersuchen.
Und erst nach gewonnener fester Ueberzeugung über den aufrichtigen Wunsch
der Bittsteller, hat der Warschauer General-Gouverneur seine Einwilligung
ertheilt, und darauf die russische Geistlichkeit in Person des Hochwürdigen
Joannikius den Wiedervereinigungsakt vollzogen.

Die Behauptung, daß der Uebertritt durch Zwangsmaßregeln herbeige¬
führt wäre, widerlegt sich schon dadurch. daß der größte Theil der unirten
Bevölkerung Polens bis jetzt bei ihrem Bekenntnisse geblieben ist. Der Nus-

I


verjagt und ihre Habseligkeiten aus den Amtswohnungen geworfen. Und
alles dies geschah im Namen des päpstlichen Breve, welches sie als eine vom
Himmel gefallene Schrift des heiligen Vaters priesen. Die Anhänger des
Papstes schürten das Feuer durch absichtlich verbreitete Gerüchte, als ob die
orthodoxe Kirche die Mutter Gottes nicht anbete und andre.

Die Regierung konnte nicht umhin, diesen Intriguen und Unordnungen
ein Ende zu machen. Es ist ihre Pflicht, die Ruhe des Landes zu wahren,
ganz besonders aber eines Landes, welches selten frei ist von der Agitation
des polnischen Adels und der Geistlichkeit.

Es wird behauptet, die Vereinigung der Unirten mit der griechisch-russi¬
schen Kirche sei nicht ohne Einfluß der administrativen Behörden zu Stande
gekommen. Aber dem ganzen Lande ist es bekannt, daß von Seiten der Ad¬
ministration durchaus keine Gewaltmaßregeln in Anwendung gebracht worden
sind. Es war auch gar nicht nöthig, Gewalt oder Beeinflussung zu gebrau¬
chen. Der Rückkehr von Unirten in den Schooß der orthodoxen Kirche gegen
Ende des XVIII. Jahrhunderts folgte die zahlreiche Wiedervereinigung der
Bevölkerung der westlichen Gouvernements in den dreißiger Jahren des lau-'
senden Jahrhunderts und schließlich werden die Unirten im Königreich Polen
dem Beispiele ihrer Brüder im russischen Grenzlande folgen.

Vorläufig hat sich beinahe der fünfte Theil der sämmtlichen unirten
Bevölkerung im Königreich Polen freiwillig und auf eigenes Verlangen
bekehrt.

Die Landbevölkerung hat trotz aller ihrer Einfachheit eingesehen, daß
jegliche weitere Verbindung mit der römischen Kirche ihr nicht nur keine Ruhe,
sondern auch in Zukunft nur Unheil bringen werde — und so entstand der
Wunsch der Wiedervereinigung. Die langjährigen Machinationen Roms und
alle möglichen Bedrückungen waren nicht im Stande gewesen, in der Masse
des Volkes das Andenken der Religion seiner Väter und seine Abstammung
zu verwischen oder die starken Bande der russischen Stammverwandtschaft zu
sprengen. Graf Kotzebue begnügte sich nicht mit offiziellen Nachrichten über
die Bereitwilligkeit eines bedeutenden Theils der unirten Bevölkerung zur Ver¬
einigung mit der griechischen Kirche — sondern ließ zuvor durch die Geistlich¬
keit und durch Vertrauenspersonen die Lage der Dinge sorgfältig untersuchen.
Und erst nach gewonnener fester Ueberzeugung über den aufrichtigen Wunsch
der Bittsteller, hat der Warschauer General-Gouverneur seine Einwilligung
ertheilt, und darauf die russische Geistlichkeit in Person des Hochwürdigen
Joannikius den Wiedervereinigungsakt vollzogen.

Die Behauptung, daß der Uebertritt durch Zwangsmaßregeln herbeige¬
führt wäre, widerlegt sich schon dadurch. daß der größte Theil der unirten
Bevölkerung Polens bis jetzt bei ihrem Bekenntnisse geblieben ist. Der Nus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/190>, abgerufen am 06.02.2025.