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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Aus Wache!

So still und geschäftslos, wie das Jahr 1874 nach dem Zeugniß des
Fürsten Bismarck war, scheint das Jahr 1875 nicht verlaufen zu wollen.
Seit einigen Wochen sind Zeichen aufgetaucht, welche wenn nicht auf Sturm,
doch mindestens auf zweifelhaftes Wetter deuten. Jene Zuversicht auf einen
langen Frieden, die wir aus der tiefen Zerrüttung Frankreichs schöpften, fängt
an erschüttert zu werden. Statt an das Wort Gambetta's, daß Frankreich
10 Jahre Borbereitung zur Revanche gebrauche, denken wir jetzt mehr an den
Ausspruch Moltke's. daß Deutschland 80 Jahre lang den Erwerb des Frank¬
furter Friedens mit dem Schwerte werde vertheidigen müssen. Frankreich hat
schneller gezahlt und schneller sich erholt, als man früher annahm, und mit
der Wiederkehr seiner Kräfte steigert sich auch in den übrigen Staaten die
Rührigkeit der uns feindlichen Parteien. Sie haben in dem Ultramonranis-
mus ihr vermittelndes Band. In den Wiener Hofkreisen wie in der italie¬
nischen Consorterie, im Cabinet Mac Mahon's wie im Ministerium d'Aspre-
mont-Lynden sind die römischen Einflüsse mächtig, arbeiten nach einem Plan,
suchen gegen uns das Terrain zu erobern, neue Allianzen zu flechten. Die
Clerikalen in Deutschland verwahren sich freilich gegen den Vorwurf einer
Verbindung mit dem Ausland; aber das Ausland rechnet auf sie. Bischof
Ketteler erklärt den von Europa garantirten Neligionsfrieden für gebrochen,
ja die baiersche Winkelpresse predigt offen den Religionskrieg und verlangt,
daß das katholische Oesterreich den Franzosen die Hand gegen die norddeutschen
Ketzer reiche. Wenn in Folge der Neuwahlen im nächsten Herbst das baiersche
Ministerium stürzen und König Ludwig sich einschüchtern lassen sollte, so wird
die römische Kriegspartei ihr Hauptquartier in München aufschlagen. Sie
wird, indem sie die Gemüther für den Verrath am Reich wissenschaftlich vor¬
bereitet, bei gewissen ausländischen Höfen den Eindruck hervorzurufen suchen,
daß sie durch Unterstützung der französischen Waffen das Signal zum Abfall
des katholischen Südens geben könnten, daß es jetzt noch Zeit sei, den Bau
des Deutschen Reichs zu zertrümmern, die alte Herrschaft über Deutschland
wiederzugewinnen. So verknüpft sich der Kampf zwischen Kaiser und Papst
mit den in den letzten beiden Kriegen unterlegenen Interessen und Parteien.
Ob und wie weit durch Vorspiegelungen dieser Art die bisherigen intimen
Verhältnisse zwischen einzelnen Mächten schon erkaltet sind, läßt sich für die,
welche außerhalb der diplomatischen Zunft stehen, nicht erkennen. Wir beob¬
achten nur seit einigen Wochen eine ungewöhnliche Bewegung in unserer
Politik. Zu Anfang des Monats erschienen die drei Botschafter in Paris,
London und Wien zur Conferenz- mit ihrem Chef; vorher war Herr von


Grenzboten II. 187b. 22
Aus Wache!

So still und geschäftslos, wie das Jahr 1874 nach dem Zeugniß des
Fürsten Bismarck war, scheint das Jahr 1875 nicht verlaufen zu wollen.
Seit einigen Wochen sind Zeichen aufgetaucht, welche wenn nicht auf Sturm,
doch mindestens auf zweifelhaftes Wetter deuten. Jene Zuversicht auf einen
langen Frieden, die wir aus der tiefen Zerrüttung Frankreichs schöpften, fängt
an erschüttert zu werden. Statt an das Wort Gambetta's, daß Frankreich
10 Jahre Borbereitung zur Revanche gebrauche, denken wir jetzt mehr an den
Ausspruch Moltke's. daß Deutschland 80 Jahre lang den Erwerb des Frank¬
furter Friedens mit dem Schwerte werde vertheidigen müssen. Frankreich hat
schneller gezahlt und schneller sich erholt, als man früher annahm, und mit
der Wiederkehr seiner Kräfte steigert sich auch in den übrigen Staaten die
Rührigkeit der uns feindlichen Parteien. Sie haben in dem Ultramonranis-
mus ihr vermittelndes Band. In den Wiener Hofkreisen wie in der italie¬
nischen Consorterie, im Cabinet Mac Mahon's wie im Ministerium d'Aspre-
mont-Lynden sind die römischen Einflüsse mächtig, arbeiten nach einem Plan,
suchen gegen uns das Terrain zu erobern, neue Allianzen zu flechten. Die
Clerikalen in Deutschland verwahren sich freilich gegen den Vorwurf einer
Verbindung mit dem Ausland; aber das Ausland rechnet auf sie. Bischof
Ketteler erklärt den von Europa garantirten Neligionsfrieden für gebrochen,
ja die baiersche Winkelpresse predigt offen den Religionskrieg und verlangt,
daß das katholische Oesterreich den Franzosen die Hand gegen die norddeutschen
Ketzer reiche. Wenn in Folge der Neuwahlen im nächsten Herbst das baiersche
Ministerium stürzen und König Ludwig sich einschüchtern lassen sollte, so wird
die römische Kriegspartei ihr Hauptquartier in München aufschlagen. Sie
wird, indem sie die Gemüther für den Verrath am Reich wissenschaftlich vor¬
bereitet, bei gewissen ausländischen Höfen den Eindruck hervorzurufen suchen,
daß sie durch Unterstützung der französischen Waffen das Signal zum Abfall
des katholischen Südens geben könnten, daß es jetzt noch Zeit sei, den Bau
des Deutschen Reichs zu zertrümmern, die alte Herrschaft über Deutschland
wiederzugewinnen. So verknüpft sich der Kampf zwischen Kaiser und Papst
mit den in den letzten beiden Kriegen unterlegenen Interessen und Parteien.
Ob und wie weit durch Vorspiegelungen dieser Art die bisherigen intimen
Verhältnisse zwischen einzelnen Mächten schon erkaltet sind, läßt sich für die,
welche außerhalb der diplomatischen Zunft stehen, nicht erkennen. Wir beob¬
achten nur seit einigen Wochen eine ungewöhnliche Bewegung in unserer
Politik. Zu Anfang des Monats erschienen die drei Botschafter in Paris,
London und Wien zur Conferenz- mit ihrem Chef; vorher war Herr von


Grenzboten II. 187b. 22
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[0173] Aus Wache! So still und geschäftslos, wie das Jahr 1874 nach dem Zeugniß des Fürsten Bismarck war, scheint das Jahr 1875 nicht verlaufen zu wollen. Seit einigen Wochen sind Zeichen aufgetaucht, welche wenn nicht auf Sturm, doch mindestens auf zweifelhaftes Wetter deuten. Jene Zuversicht auf einen langen Frieden, die wir aus der tiefen Zerrüttung Frankreichs schöpften, fängt an erschüttert zu werden. Statt an das Wort Gambetta's, daß Frankreich 10 Jahre Borbereitung zur Revanche gebrauche, denken wir jetzt mehr an den Ausspruch Moltke's. daß Deutschland 80 Jahre lang den Erwerb des Frank¬ furter Friedens mit dem Schwerte werde vertheidigen müssen. Frankreich hat schneller gezahlt und schneller sich erholt, als man früher annahm, und mit der Wiederkehr seiner Kräfte steigert sich auch in den übrigen Staaten die Rührigkeit der uns feindlichen Parteien. Sie haben in dem Ultramonranis- mus ihr vermittelndes Band. In den Wiener Hofkreisen wie in der italie¬ nischen Consorterie, im Cabinet Mac Mahon's wie im Ministerium d'Aspre- mont-Lynden sind die römischen Einflüsse mächtig, arbeiten nach einem Plan, suchen gegen uns das Terrain zu erobern, neue Allianzen zu flechten. Die Clerikalen in Deutschland verwahren sich freilich gegen den Vorwurf einer Verbindung mit dem Ausland; aber das Ausland rechnet auf sie. Bischof Ketteler erklärt den von Europa garantirten Neligionsfrieden für gebrochen, ja die baiersche Winkelpresse predigt offen den Religionskrieg und verlangt, daß das katholische Oesterreich den Franzosen die Hand gegen die norddeutschen Ketzer reiche. Wenn in Folge der Neuwahlen im nächsten Herbst das baiersche Ministerium stürzen und König Ludwig sich einschüchtern lassen sollte, so wird die römische Kriegspartei ihr Hauptquartier in München aufschlagen. Sie wird, indem sie die Gemüther für den Verrath am Reich wissenschaftlich vor¬ bereitet, bei gewissen ausländischen Höfen den Eindruck hervorzurufen suchen, daß sie durch Unterstützung der französischen Waffen das Signal zum Abfall des katholischen Südens geben könnten, daß es jetzt noch Zeit sei, den Bau des Deutschen Reichs zu zertrümmern, die alte Herrschaft über Deutschland wiederzugewinnen. So verknüpft sich der Kampf zwischen Kaiser und Papst mit den in den letzten beiden Kriegen unterlegenen Interessen und Parteien. Ob und wie weit durch Vorspiegelungen dieser Art die bisherigen intimen Verhältnisse zwischen einzelnen Mächten schon erkaltet sind, läßt sich für die, welche außerhalb der diplomatischen Zunft stehen, nicht erkennen. Wir beob¬ achten nur seit einigen Wochen eine ungewöhnliche Bewegung in unserer Politik. Zu Anfang des Monats erschienen die drei Botschafter in Paris, London und Wien zur Conferenz- mit ihrem Chef; vorher war Herr von Grenzboten II. 187b. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/173>, abgerufen am 23.07.2024.