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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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weit gegangen. Scharnhorst den Berufssoldaten zum Gegner der Landwehr zu
machen. Gegen diese Meinung trat sofort Einer der Vertrauten Scharnhorst's
ins Feld, der General von Boyen in seiner Schrift "Beiträge zur Kenntniß
des Generales von Scharnhorst und seiner amtlichen Thätigkeit" 1833. Ob¬
gleich hier Voigt schlagend widerlegt war, so hielten doch Schön und seine
ostpreußische Umgebung an der ostpreußischen Tradition fest: Friccius in
jener schon erwähnten, 1838 als Manuscript für seine 'Freunde gedruckten
Schrift gab derselben aufs neue Ausdruck, und wiederholte dieselben Ansichten
dann auch in seiner 1843 erschienenen Geschichte des Krieges von 1813. Wir
begegnen nun auch in der Selbstbiographie Schön's, die nach unserer Berech¬
nung 1838/1839 geschrieben ist, dieser ostpreußischen Auffassung, für die Schön
sich geradezu auf Friccius beruft! Wie zäh er trotz aller Widerlegungen an
ihr festhielt, legte er bald nachher noch mehrmals an den Tag. 1846 erschien
nämlich von Seiten unseres großen Generalstabes eine aktenmäßige Ge¬
schichte der Organisation der Landwehr in Ostpreußen. Der wahre Sachver¬
halt war für Jeden, der sehen wollte, unwiderleglich von der comvetentesten
Stelle dargethan worden; es war erwiesen, daß man in Ostpreußen Gedanken
damals ausführte, die früher, 1807 und 1808, im Scharnhorst'schen Kreise
in Königsberg erwogen und behandelt waren; es war gezeigt, daß die Vor¬
bereitungen zum Landwehredikt vom 17. März 1813 schon im Zuge waren, als
die ostpreußischen Nachrichten in Breslau einliefen; es war auch darauf hin¬
gewiesen, daß einige sehr wesentliche Bestimmungen der ostpreußischen Land¬
wehrordnung sofort von Scharnhorst abgeändert werden mußten. Die Preu¬
ßischen Provinzialblätter hielten es 1847 auch für ihre Pflicht, in
einem Auszug aus dem authentischen Werke des Generalstabes das ostpreußi¬
sche Publikum ganz rückhaltslos über diese historischen Dinge aufzuklären.
Das verdroß den alten Schön, der die ostpreußische Lieblingsvorstellung nicht
angetastet haben wollte: er feuerte selbst in den Provinzialblättern 1848 einen
Artikel ab zur Widerlegung des Generalstabes. Dem Letzteren fiel es nicht
schwer, im Militairwochenblatt (Ur. 9 von 1848) mit Nachdruck und
mit Erfolg derartige Einreden zu vernichten. Und -- soweit wenigstens ich
im Stande gewesen dieser Polemik nachzugehen -- gegen diesen ihm so über¬
legenen Gegner beobachtete Schön wirklich Schweigen, wenn er auch an Schlosser
1849 seine genügend widerlegten Annahmen und Erinnerungen wieder mitzu¬
theilen nicht unterließ.

In diesem Falle wie in manchen anderen stellt sich dem historischen Kri¬
tiker das Verhältniß ungefähr so dar: auf der einen Seite steht die gleichzeitige,
sei es auf aktenmäßigen oder auf privaten Zeugnissen beruhende Ueberlieferung;
und ihr tritt entgegen die persönliche Erinnerung eines überlebenden Zeitge¬
nossen, der seine Eindrücke aus früherer Zeit, nachdem er Jahrzehnte lang sie


weit gegangen. Scharnhorst den Berufssoldaten zum Gegner der Landwehr zu
machen. Gegen diese Meinung trat sofort Einer der Vertrauten Scharnhorst's
ins Feld, der General von Boyen in seiner Schrift „Beiträge zur Kenntniß
des Generales von Scharnhorst und seiner amtlichen Thätigkeit" 1833. Ob¬
gleich hier Voigt schlagend widerlegt war, so hielten doch Schön und seine
ostpreußische Umgebung an der ostpreußischen Tradition fest: Friccius in
jener schon erwähnten, 1838 als Manuscript für seine 'Freunde gedruckten
Schrift gab derselben aufs neue Ausdruck, und wiederholte dieselben Ansichten
dann auch in seiner 1843 erschienenen Geschichte des Krieges von 1813. Wir
begegnen nun auch in der Selbstbiographie Schön's, die nach unserer Berech¬
nung 1838/1839 geschrieben ist, dieser ostpreußischen Auffassung, für die Schön
sich geradezu auf Friccius beruft! Wie zäh er trotz aller Widerlegungen an
ihr festhielt, legte er bald nachher noch mehrmals an den Tag. 1846 erschien
nämlich von Seiten unseres großen Generalstabes eine aktenmäßige Ge¬
schichte der Organisation der Landwehr in Ostpreußen. Der wahre Sachver¬
halt war für Jeden, der sehen wollte, unwiderleglich von der comvetentesten
Stelle dargethan worden; es war erwiesen, daß man in Ostpreußen Gedanken
damals ausführte, die früher, 1807 und 1808, im Scharnhorst'schen Kreise
in Königsberg erwogen und behandelt waren; es war gezeigt, daß die Vor¬
bereitungen zum Landwehredikt vom 17. März 1813 schon im Zuge waren, als
die ostpreußischen Nachrichten in Breslau einliefen; es war auch darauf hin¬
gewiesen, daß einige sehr wesentliche Bestimmungen der ostpreußischen Land¬
wehrordnung sofort von Scharnhorst abgeändert werden mußten. Die Preu¬
ßischen Provinzialblätter hielten es 1847 auch für ihre Pflicht, in
einem Auszug aus dem authentischen Werke des Generalstabes das ostpreußi¬
sche Publikum ganz rückhaltslos über diese historischen Dinge aufzuklären.
Das verdroß den alten Schön, der die ostpreußische Lieblingsvorstellung nicht
angetastet haben wollte: er feuerte selbst in den Provinzialblättern 1848 einen
Artikel ab zur Widerlegung des Generalstabes. Dem Letzteren fiel es nicht
schwer, im Militairwochenblatt (Ur. 9 von 1848) mit Nachdruck und
mit Erfolg derartige Einreden zu vernichten. Und — soweit wenigstens ich
im Stande gewesen dieser Polemik nachzugehen — gegen diesen ihm so über¬
legenen Gegner beobachtete Schön wirklich Schweigen, wenn er auch an Schlosser
1849 seine genügend widerlegten Annahmen und Erinnerungen wieder mitzu¬
theilen nicht unterließ.

In diesem Falle wie in manchen anderen stellt sich dem historischen Kri¬
tiker das Verhältniß ungefähr so dar: auf der einen Seite steht die gleichzeitige,
sei es auf aktenmäßigen oder auf privaten Zeugnissen beruhende Ueberlieferung;
und ihr tritt entgegen die persönliche Erinnerung eines überlebenden Zeitge¬
nossen, der seine Eindrücke aus früherer Zeit, nachdem er Jahrzehnte lang sie


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[0171] weit gegangen. Scharnhorst den Berufssoldaten zum Gegner der Landwehr zu machen. Gegen diese Meinung trat sofort Einer der Vertrauten Scharnhorst's ins Feld, der General von Boyen in seiner Schrift „Beiträge zur Kenntniß des Generales von Scharnhorst und seiner amtlichen Thätigkeit" 1833. Ob¬ gleich hier Voigt schlagend widerlegt war, so hielten doch Schön und seine ostpreußische Umgebung an der ostpreußischen Tradition fest: Friccius in jener schon erwähnten, 1838 als Manuscript für seine 'Freunde gedruckten Schrift gab derselben aufs neue Ausdruck, und wiederholte dieselben Ansichten dann auch in seiner 1843 erschienenen Geschichte des Krieges von 1813. Wir begegnen nun auch in der Selbstbiographie Schön's, die nach unserer Berech¬ nung 1838/1839 geschrieben ist, dieser ostpreußischen Auffassung, für die Schön sich geradezu auf Friccius beruft! Wie zäh er trotz aller Widerlegungen an ihr festhielt, legte er bald nachher noch mehrmals an den Tag. 1846 erschien nämlich von Seiten unseres großen Generalstabes eine aktenmäßige Ge¬ schichte der Organisation der Landwehr in Ostpreußen. Der wahre Sachver¬ halt war für Jeden, der sehen wollte, unwiderleglich von der comvetentesten Stelle dargethan worden; es war erwiesen, daß man in Ostpreußen Gedanken damals ausführte, die früher, 1807 und 1808, im Scharnhorst'schen Kreise in Königsberg erwogen und behandelt waren; es war gezeigt, daß die Vor¬ bereitungen zum Landwehredikt vom 17. März 1813 schon im Zuge waren, als die ostpreußischen Nachrichten in Breslau einliefen; es war auch darauf hin¬ gewiesen, daß einige sehr wesentliche Bestimmungen der ostpreußischen Land¬ wehrordnung sofort von Scharnhorst abgeändert werden mußten. Die Preu¬ ßischen Provinzialblätter hielten es 1847 auch für ihre Pflicht, in einem Auszug aus dem authentischen Werke des Generalstabes das ostpreußi¬ sche Publikum ganz rückhaltslos über diese historischen Dinge aufzuklären. Das verdroß den alten Schön, der die ostpreußische Lieblingsvorstellung nicht angetastet haben wollte: er feuerte selbst in den Provinzialblättern 1848 einen Artikel ab zur Widerlegung des Generalstabes. Dem Letzteren fiel es nicht schwer, im Militairwochenblatt (Ur. 9 von 1848) mit Nachdruck und mit Erfolg derartige Einreden zu vernichten. Und — soweit wenigstens ich im Stande gewesen dieser Polemik nachzugehen — gegen diesen ihm so über¬ legenen Gegner beobachtete Schön wirklich Schweigen, wenn er auch an Schlosser 1849 seine genügend widerlegten Annahmen und Erinnerungen wieder mitzu¬ theilen nicht unterließ. In diesem Falle wie in manchen anderen stellt sich dem historischen Kri¬ tiker das Verhältniß ungefähr so dar: auf der einen Seite steht die gleichzeitige, sei es auf aktenmäßigen oder auf privaten Zeugnissen beruhende Ueberlieferung; und ihr tritt entgegen die persönliche Erinnerung eines überlebenden Zeitge¬ nossen, der seine Eindrücke aus früherer Zeit, nachdem er Jahrzehnte lang sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/171>, abgerufen am 23.07.2024.