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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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msator unseres Staates erinnert. Nun meine ich allerdings, daß die Brief,
schaffen und vertraulichen Papiere aus der Zeit selbst, d. h, also von 1807 --
1813, soweit sie gedruckt vorliegen, den Darsteller jener Periode unwillkür¬
lich zu der allgemein üblichen Ansicht Stein's hinführen müssen; ja ich muß
ferner behaupten, daß selbst die gleichzeitigen Briefe Schön's, abgesehen von
einzelnen Detaildifferenzen zwischen ihm und Stein, eine ganz andere Auf¬
fassung Stein's durch Schön ausdrücken, als sie nachher von ihm ausgespro¬
chen worden ist. Erst in späterer Zeit ist ein Umschlag in Schön's Urtheil
über Stein eingetreten; in späteren Jahren erst hat Schön die Ansicht aus¬
gesprochen, daß das gute, was Stein gethan, von ihm selbst bei Stein angeregt
oder veranlaßt worden; in dieser Stimmung des Geistes aber behauptete er
dann bei allem sonstigen Lobe über Stein selbst an allgemeiner, wie an poli¬
tischer Bildung Stein unendlich überlegen gewesen zu sein. Seit wann Schön
in diesem Sinn über Stein geurtheilt, scheint bisher nicht constatirt zu sein;
auch diese Publikation giebt dazu weder Anhalt noch Schlüssel. Aber daß
in späteren Jahren in dieser abfälligen Richtung sich Schön's Erinnerungen
an die Freiheitskriege bewegt haben, das war bekannt schon vor dem Erscheinen
dieses Buches.

Schon bald nach 1840 hatte Schön für sich die Vaterschaft des sog.
Stein'schen Testamentes von 1808 in Anspruch genommen. Daß er die Feder
geführt bei dein Entwürfe dieses herrlichen Manifestes, wie er durch Facsimi--
lirung des Originales nachwies, diente ihm zum Beweise auch für die geistige
Conception des im Namen und Auftrag Stein's geschriebenen Entwurfes: so
argumentirte er 1846 gegen Pertz, der im Leben Stein's die Beweiskraft
dieses Argumentes sehr richtig mit der Bemerkung abwies, "daß nicht der
vorbereitende Rath, sondern der beauftragende und unterzeichnende Minister
Verantwortlichkeit wie Verdienst der Urkunde haben müsse" (II. S. 618).

Bald nachher trat Schön mit der Behauptung auf, die günstige Wendung
des Februar 1813 in Ostpreußen, die Erhebung der Provinz sei im wesent¬
lichen sein Werk, das er gradezu im Widerspruch zu Stein habe durchführen
müssen. Er richtete eine ausführliche Darlegung darüber 3. März 1849 an
den Historiker Schlosser, welche unter den Quellenzeugnissen für den Be¬
ginn der Freiheitskriege bis heute eine hervorragende Stelle einnimmt"). Bei
der Abwägung ihres Werthes darf man aber diesen Umstand nicht übersehen,
daß dies Zeugniß eines Zeitgenossen nicht etwa eine gleichzeitige Aufzeichnung



") Dieser merkwürdige Brief Schön's an Schlosser steht schon im Leben Stein's III.
649 -- i>LK. Die Preußischen Jahrbücher haben 1872 ihn "och einmal abgedruckt
<!w,2>:; ff.) ohne zu sagen daß er schon einmal vollständig (nur die Formalia des Einganges
l"ß Pertz weg) gedruckt war. Die neue Schön'sche Publikation druckt ihn zum Male ab
und zwar in seltsamer Laune als Einschiebsel in die Selbstbiographie!

msator unseres Staates erinnert. Nun meine ich allerdings, daß die Brief,
schaffen und vertraulichen Papiere aus der Zeit selbst, d. h, also von 1807 —
1813, soweit sie gedruckt vorliegen, den Darsteller jener Periode unwillkür¬
lich zu der allgemein üblichen Ansicht Stein's hinführen müssen; ja ich muß
ferner behaupten, daß selbst die gleichzeitigen Briefe Schön's, abgesehen von
einzelnen Detaildifferenzen zwischen ihm und Stein, eine ganz andere Auf¬
fassung Stein's durch Schön ausdrücken, als sie nachher von ihm ausgespro¬
chen worden ist. Erst in späterer Zeit ist ein Umschlag in Schön's Urtheil
über Stein eingetreten; in späteren Jahren erst hat Schön die Ansicht aus¬
gesprochen, daß das gute, was Stein gethan, von ihm selbst bei Stein angeregt
oder veranlaßt worden; in dieser Stimmung des Geistes aber behauptete er
dann bei allem sonstigen Lobe über Stein selbst an allgemeiner, wie an poli¬
tischer Bildung Stein unendlich überlegen gewesen zu sein. Seit wann Schön
in diesem Sinn über Stein geurtheilt, scheint bisher nicht constatirt zu sein;
auch diese Publikation giebt dazu weder Anhalt noch Schlüssel. Aber daß
in späteren Jahren in dieser abfälligen Richtung sich Schön's Erinnerungen
an die Freiheitskriege bewegt haben, das war bekannt schon vor dem Erscheinen
dieses Buches.

Schon bald nach 1840 hatte Schön für sich die Vaterschaft des sog.
Stein'schen Testamentes von 1808 in Anspruch genommen. Daß er die Feder
geführt bei dein Entwürfe dieses herrlichen Manifestes, wie er durch Facsimi--
lirung des Originales nachwies, diente ihm zum Beweise auch für die geistige
Conception des im Namen und Auftrag Stein's geschriebenen Entwurfes: so
argumentirte er 1846 gegen Pertz, der im Leben Stein's die Beweiskraft
dieses Argumentes sehr richtig mit der Bemerkung abwies, „daß nicht der
vorbereitende Rath, sondern der beauftragende und unterzeichnende Minister
Verantwortlichkeit wie Verdienst der Urkunde haben müsse" (II. S. 618).

Bald nachher trat Schön mit der Behauptung auf, die günstige Wendung
des Februar 1813 in Ostpreußen, die Erhebung der Provinz sei im wesent¬
lichen sein Werk, das er gradezu im Widerspruch zu Stein habe durchführen
müssen. Er richtete eine ausführliche Darlegung darüber 3. März 1849 an
den Historiker Schlosser, welche unter den Quellenzeugnissen für den Be¬
ginn der Freiheitskriege bis heute eine hervorragende Stelle einnimmt"). Bei
der Abwägung ihres Werthes darf man aber diesen Umstand nicht übersehen,
daß dies Zeugniß eines Zeitgenossen nicht etwa eine gleichzeitige Aufzeichnung



") Dieser merkwürdige Brief Schön's an Schlosser steht schon im Leben Stein's III.
649 — i>LK. Die Preußischen Jahrbücher haben 1872 ihn »och einmal abgedruckt
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l»ß Pertz weg) gedruckt war. Die neue Schön'sche Publikation druckt ihn zum Male ab
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[0169] msator unseres Staates erinnert. Nun meine ich allerdings, daß die Brief, schaffen und vertraulichen Papiere aus der Zeit selbst, d. h, also von 1807 — 1813, soweit sie gedruckt vorliegen, den Darsteller jener Periode unwillkür¬ lich zu der allgemein üblichen Ansicht Stein's hinführen müssen; ja ich muß ferner behaupten, daß selbst die gleichzeitigen Briefe Schön's, abgesehen von einzelnen Detaildifferenzen zwischen ihm und Stein, eine ganz andere Auf¬ fassung Stein's durch Schön ausdrücken, als sie nachher von ihm ausgespro¬ chen worden ist. Erst in späterer Zeit ist ein Umschlag in Schön's Urtheil über Stein eingetreten; in späteren Jahren erst hat Schön die Ansicht aus¬ gesprochen, daß das gute, was Stein gethan, von ihm selbst bei Stein angeregt oder veranlaßt worden; in dieser Stimmung des Geistes aber behauptete er dann bei allem sonstigen Lobe über Stein selbst an allgemeiner, wie an poli¬ tischer Bildung Stein unendlich überlegen gewesen zu sein. Seit wann Schön in diesem Sinn über Stein geurtheilt, scheint bisher nicht constatirt zu sein; auch diese Publikation giebt dazu weder Anhalt noch Schlüssel. Aber daß in späteren Jahren in dieser abfälligen Richtung sich Schön's Erinnerungen an die Freiheitskriege bewegt haben, das war bekannt schon vor dem Erscheinen dieses Buches. Schon bald nach 1840 hatte Schön für sich die Vaterschaft des sog. Stein'schen Testamentes von 1808 in Anspruch genommen. Daß er die Feder geführt bei dein Entwürfe dieses herrlichen Manifestes, wie er durch Facsimi-- lirung des Originales nachwies, diente ihm zum Beweise auch für die geistige Conception des im Namen und Auftrag Stein's geschriebenen Entwurfes: so argumentirte er 1846 gegen Pertz, der im Leben Stein's die Beweiskraft dieses Argumentes sehr richtig mit der Bemerkung abwies, „daß nicht der vorbereitende Rath, sondern der beauftragende und unterzeichnende Minister Verantwortlichkeit wie Verdienst der Urkunde haben müsse" (II. S. 618). Bald nachher trat Schön mit der Behauptung auf, die günstige Wendung des Februar 1813 in Ostpreußen, die Erhebung der Provinz sei im wesent¬ lichen sein Werk, das er gradezu im Widerspruch zu Stein habe durchführen müssen. Er richtete eine ausführliche Darlegung darüber 3. März 1849 an den Historiker Schlosser, welche unter den Quellenzeugnissen für den Be¬ ginn der Freiheitskriege bis heute eine hervorragende Stelle einnimmt"). Bei der Abwägung ihres Werthes darf man aber diesen Umstand nicht übersehen, daß dies Zeugniß eines Zeitgenossen nicht etwa eine gleichzeitige Aufzeichnung ") Dieser merkwürdige Brief Schön's an Schlosser steht schon im Leben Stein's III. 649 — i>LK. Die Preußischen Jahrbücher haben 1872 ihn »och einmal abgedruckt <!w,2>:; ff.) ohne zu sagen daß er schon einmal vollständig (nur die Formalia des Einganges l»ß Pertz weg) gedruckt war. Die neue Schön'sche Publikation druckt ihn zum Male ab und zwar in seltsamer Laune als Einschiebsel in die Selbstbiographie!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/169>, abgerufen am 23.07.2024.