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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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der That ein Kerngehalt aufweisen läßt, der die Verbindung eingehen kann
mit den seither herangearbeiteten Ergebnissen ruhiger, exacter Einzelforschung.
Nach dem begeisterten Aufblicke zum Helden unsers Tags, den ich Ihnen zu-
muthete, darf ich hierüber meine Gedanken nicht zurückhalten. So zeige sich
denn unsere Festfeier als den Januskopf, der, nach der Vergangenheit zurück¬
blickend, zugleich sein anderes Antlitz gegen die Zukunft wendet. Gestatten Sie
mir, meine innigste persönliche Ueberzeugung, daß wir jetzt, an der Neige des
Jahrhunderts, im Begriffe stehen, den Jdealgehalt unserer Genialitätsperiode
in Eins zu verschmelzen mit den Früchten der strengen Einzelarbeit und der
äußerlichen Thatsachenforschung, --- gestatten Sie mir, diese Ueberzeugung in
kurzen Zügen vor Ihnen zu begründen, indem ich dafür im Besonderen die
Vereinbarkeit der Schelling'schen Grundanschauungen mit den Ergebnissen und
Forderungen des modernen naturwissenschaftlichen Monismus ins Auge fasse.

Schelling's Jugendphilosophie und Altersperiode gelten mir dabei als
wesentlich abirrend, die eine nach der naturalistischen oder auch abstract ratio¬
nalistischen Seite, die andre nach der supranaturalistischen und traditionell
kirchlichen. Ich halte mich statt dessen an die Jahre seiner vollen und unge¬
schwächten Mannesreife, etwa vom dreißigsten bis zum vollendeten fünfund¬
vierzigsten Lebensjahre, an die Jahre 1806 -- 1820, an die Zeit des ersten
Münchener Aufenthalts.

Nachdem Schelling schon in seinen frühesten philosophischen Jugendschrif¬
ten den Subjectivismus Kant's und auch den Fichte's durch die Entdeckung
des Unbedingten in unserem Denken, welches über dem Gegensatze von Subject
und Object steht, überwunden hatte, faßte er dieses Unbedingte des Näheren
als die ewig-göttliche Vernunft auf, aus welcher durch logische Ableitung
in systematischer Abfolge die Vielheit der in ihr ruhenden entgegengesetzten
Arten des Daseins, sowie deren manchfaltige Verknüpfungen, sollten entwickelt
werden. Charakterisirt sich hierdurch vornehmlich die Jenaische Zeit Schelling's,
so zeigt uns sein Würzburger Aufenthalt ihn bald eingetreten in eine Ueber¬
gangsphase, in welcher jenes Vernunftabsolute allmählich sich umgestaltet zu
einem realeren Princip, zu einem Drange oder Triebe des Werdens, zu einer
Lust und Liebe sich zu offenbaren. Auf diesem Wege bereitet sich die Verän¬
derung vor, welche, im Jahre 1809 vollendet, sich hier am Kürzester in den
Worten seiner Schrift über die Freiheit ausspricht: "Wollen ist Ursein." Die
bloße Vernunft, ob auch als göttliche oder absolute aufgefaßt, ist nicht fähig,
sich zur Realität aufzuschließen; alle Ableitungen aus ihr haben nur das Er¬
gebniß einer Uebersicht des in ihr Eingeschlossenen und eingeschlossen Bleibenden;
so ist in der That die altschelling'sche Identitätsphilosophie Nichts als eine
classificirende, systematische Uebersicht Dessen, was in der Urvernunft als ein
Mögliches eingeschlossen ist, ohne je erkennen zu lassen, daß und wie und


der That ein Kerngehalt aufweisen läßt, der die Verbindung eingehen kann
mit den seither herangearbeiteten Ergebnissen ruhiger, exacter Einzelforschung.
Nach dem begeisterten Aufblicke zum Helden unsers Tags, den ich Ihnen zu-
muthete, darf ich hierüber meine Gedanken nicht zurückhalten. So zeige sich
denn unsere Festfeier als den Januskopf, der, nach der Vergangenheit zurück¬
blickend, zugleich sein anderes Antlitz gegen die Zukunft wendet. Gestatten Sie
mir, meine innigste persönliche Ueberzeugung, daß wir jetzt, an der Neige des
Jahrhunderts, im Begriffe stehen, den Jdealgehalt unserer Genialitätsperiode
in Eins zu verschmelzen mit den Früchten der strengen Einzelarbeit und der
äußerlichen Thatsachenforschung, —- gestatten Sie mir, diese Ueberzeugung in
kurzen Zügen vor Ihnen zu begründen, indem ich dafür im Besonderen die
Vereinbarkeit der Schelling'schen Grundanschauungen mit den Ergebnissen und
Forderungen des modernen naturwissenschaftlichen Monismus ins Auge fasse.

Schelling's Jugendphilosophie und Altersperiode gelten mir dabei als
wesentlich abirrend, die eine nach der naturalistischen oder auch abstract ratio¬
nalistischen Seite, die andre nach der supranaturalistischen und traditionell
kirchlichen. Ich halte mich statt dessen an die Jahre seiner vollen und unge¬
schwächten Mannesreife, etwa vom dreißigsten bis zum vollendeten fünfund¬
vierzigsten Lebensjahre, an die Jahre 1806 — 1820, an die Zeit des ersten
Münchener Aufenthalts.

Nachdem Schelling schon in seinen frühesten philosophischen Jugendschrif¬
ten den Subjectivismus Kant's und auch den Fichte's durch die Entdeckung
des Unbedingten in unserem Denken, welches über dem Gegensatze von Subject
und Object steht, überwunden hatte, faßte er dieses Unbedingte des Näheren
als die ewig-göttliche Vernunft auf, aus welcher durch logische Ableitung
in systematischer Abfolge die Vielheit der in ihr ruhenden entgegengesetzten
Arten des Daseins, sowie deren manchfaltige Verknüpfungen, sollten entwickelt
werden. Charakterisirt sich hierdurch vornehmlich die Jenaische Zeit Schelling's,
so zeigt uns sein Würzburger Aufenthalt ihn bald eingetreten in eine Ueber¬
gangsphase, in welcher jenes Vernunftabsolute allmählich sich umgestaltet zu
einem realeren Princip, zu einem Drange oder Triebe des Werdens, zu einer
Lust und Liebe sich zu offenbaren. Auf diesem Wege bereitet sich die Verän¬
derung vor, welche, im Jahre 1809 vollendet, sich hier am Kürzester in den
Worten seiner Schrift über die Freiheit ausspricht: „Wollen ist Ursein." Die
bloße Vernunft, ob auch als göttliche oder absolute aufgefaßt, ist nicht fähig,
sich zur Realität aufzuschließen; alle Ableitungen aus ihr haben nur das Er¬
gebniß einer Uebersicht des in ihr Eingeschlossenen und eingeschlossen Bleibenden;
so ist in der That die altschelling'sche Identitätsphilosophie Nichts als eine
classificirende, systematische Uebersicht Dessen, was in der Urvernunft als ein
Mögliches eingeschlossen ist, ohne je erkennen zu lassen, daß und wie und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/14>, abgerufen am 06.02.2025.