Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Und auch auf eine andere Thatsache dürfen wir wohl andeutend noch
hinweisen. Grade bei Besetzung von Professuren, die zu den angesehensten
und maßgebendsten gezählt werden, hat man in letzter Zeit Aeußerungen des
Bedauerns gehört über die Abnahme des jüngeren akademischen und wissen¬
schaftlichen Nachwuchses. Dieser Satz, dessen Begründung wir hier nicht dis-
cutiren wollen, bezieht sich aber mehr auf die Qualität als die Zahl: an
Candidaten bei derartigen Stellungen hat es noch nicht gefehlt, wohl aber
bisweilen an hervorragenden Gelehrten, denen Negierung und Fakultät mit
einiger Freudigkeit des Entschlusses die wichtigeren Posten übertragen konnten.
Uns erfüllt mit Besorgniß um die Zukunft unserer Hochschulen nicht ein etwa
vorauszusehendes Deficit an Privatdozenten und Professoren (daran glauben
wir nicht), wohl aber die vielfach beobachtete Ueberschwemmung wissenschaft¬
licher Arbeitsgebiete durch die sich immer breiter machenden Mittelmäßigkeiten.
Eine geistige Null an einer Universität, sei es als Dozent oder Professor,
wirkt immer viel schlimmer oder schädlicher als eine zeitweise Lücke. Ist aber
die Beobachtung, die wir hier andeuten, eine richtige, so ist mit äußerlichen
Maßregeln nichts gethan. Nur von einem neuen Impulse unseres gei¬
stigen Lebens überhaupt ist eine Besserung zu erwarten, nicht von Ver¬
mehrung der ohnehin schon schädlichen mittelmäßigen Dozenten durch künst¬
liche Mittel.

Der Mangel an Dozenten vertheilt sich übrigens in sehr ungleicher Weise
auf die einzelnen Fakultäten und Wissenschaften. Besonders stark ist er her¬
vorgetreten und auch jetzt noch nicht gehoben bei Theologen und Juristen.
Und grade bei diesen Fakultäten lassen sich zu Allem, was wir bisher gesagt
haben, auch noch innere Gründe anführen. Die theologische Wissenschaft,
wie sie von Altersher auf unseren Universitäten vorgetragen worden, ist neuer¬
dings bei einem Zersetzungsprozeß angelangt, dessen Endresultat sich noch
nicht sicher voraussehen läßt: auf der einen Seite nähert die Entwickelung
der theologischen Wissenschaft sich einem Punkte, bei dem von Theologie nicht
mehr viel übrig bleibt, auf der anderen Seite ist die Theologie im Begriffe,
die Wissenschaft aus der bisherigen Verschmelzung der beiden Elemente aus¬
zuscheiden. Daß bei diesem Zustande der theologischen Universitätslehre ein
großer Zudrang von Dozenten nicht erwartet werden kann, liegt auf der
Hand. Und wenn der verflossene preußische Cultusminister von Muster
Jahre lang die Praxis verfolgte, statt der Dozenten beliebige Pastoren an den
Universitäten anzustellen, so wird man dies auch nicht als eine Ermuthigung
der Dozenten ausgeben wollen. Die letzte Zeit hat übrigens an einzelnen
Universitäten die neue Habilitation mehrerer theologischer Privatdozenten
gebracht.

Was die juristischen Fakultäten angeht, so tritt dem Nichtjuristen


Und auch auf eine andere Thatsache dürfen wir wohl andeutend noch
hinweisen. Grade bei Besetzung von Professuren, die zu den angesehensten
und maßgebendsten gezählt werden, hat man in letzter Zeit Aeußerungen des
Bedauerns gehört über die Abnahme des jüngeren akademischen und wissen¬
schaftlichen Nachwuchses. Dieser Satz, dessen Begründung wir hier nicht dis-
cutiren wollen, bezieht sich aber mehr auf die Qualität als die Zahl: an
Candidaten bei derartigen Stellungen hat es noch nicht gefehlt, wohl aber
bisweilen an hervorragenden Gelehrten, denen Negierung und Fakultät mit
einiger Freudigkeit des Entschlusses die wichtigeren Posten übertragen konnten.
Uns erfüllt mit Besorgniß um die Zukunft unserer Hochschulen nicht ein etwa
vorauszusehendes Deficit an Privatdozenten und Professoren (daran glauben
wir nicht), wohl aber die vielfach beobachtete Ueberschwemmung wissenschaft¬
licher Arbeitsgebiete durch die sich immer breiter machenden Mittelmäßigkeiten.
Eine geistige Null an einer Universität, sei es als Dozent oder Professor,
wirkt immer viel schlimmer oder schädlicher als eine zeitweise Lücke. Ist aber
die Beobachtung, die wir hier andeuten, eine richtige, so ist mit äußerlichen
Maßregeln nichts gethan. Nur von einem neuen Impulse unseres gei¬
stigen Lebens überhaupt ist eine Besserung zu erwarten, nicht von Ver¬
mehrung der ohnehin schon schädlichen mittelmäßigen Dozenten durch künst¬
liche Mittel.

Der Mangel an Dozenten vertheilt sich übrigens in sehr ungleicher Weise
auf die einzelnen Fakultäten und Wissenschaften. Besonders stark ist er her¬
vorgetreten und auch jetzt noch nicht gehoben bei Theologen und Juristen.
Und grade bei diesen Fakultäten lassen sich zu Allem, was wir bisher gesagt
haben, auch noch innere Gründe anführen. Die theologische Wissenschaft,
wie sie von Altersher auf unseren Universitäten vorgetragen worden, ist neuer¬
dings bei einem Zersetzungsprozeß angelangt, dessen Endresultat sich noch
nicht sicher voraussehen läßt: auf der einen Seite nähert die Entwickelung
der theologischen Wissenschaft sich einem Punkte, bei dem von Theologie nicht
mehr viel übrig bleibt, auf der anderen Seite ist die Theologie im Begriffe,
die Wissenschaft aus der bisherigen Verschmelzung der beiden Elemente aus¬
zuscheiden. Daß bei diesem Zustande der theologischen Universitätslehre ein
großer Zudrang von Dozenten nicht erwartet werden kann, liegt auf der
Hand. Und wenn der verflossene preußische Cultusminister von Muster
Jahre lang die Praxis verfolgte, statt der Dozenten beliebige Pastoren an den
Universitäten anzustellen, so wird man dies auch nicht als eine Ermuthigung
der Dozenten ausgeben wollen. Die letzte Zeit hat übrigens an einzelnen
Universitäten die neue Habilitation mehrerer theologischer Privatdozenten
gebracht.

Was die juristischen Fakultäten angeht, so tritt dem Nichtjuristen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133420"/>
          <p xml:id="ID_432"> Und auch auf eine andere Thatsache dürfen wir wohl andeutend noch<lb/>
hinweisen. Grade bei Besetzung von Professuren, die zu den angesehensten<lb/>
und maßgebendsten gezählt werden, hat man in letzter Zeit Aeußerungen des<lb/>
Bedauerns gehört über die Abnahme des jüngeren akademischen und wissen¬<lb/>
schaftlichen Nachwuchses. Dieser Satz, dessen Begründung wir hier nicht dis-<lb/>
cutiren wollen, bezieht sich aber mehr auf die Qualität als die Zahl: an<lb/>
Candidaten bei derartigen Stellungen hat es noch nicht gefehlt, wohl aber<lb/>
bisweilen an hervorragenden Gelehrten, denen Negierung und Fakultät mit<lb/>
einiger Freudigkeit des Entschlusses die wichtigeren Posten übertragen konnten.<lb/>
Uns erfüllt mit Besorgniß um die Zukunft unserer Hochschulen nicht ein etwa<lb/>
vorauszusehendes Deficit an Privatdozenten und Professoren (daran glauben<lb/>
wir nicht), wohl aber die vielfach beobachtete Ueberschwemmung wissenschaft¬<lb/>
licher Arbeitsgebiete durch die sich immer breiter machenden Mittelmäßigkeiten.<lb/>
Eine geistige Null an einer Universität, sei es als Dozent oder Professor,<lb/>
wirkt immer viel schlimmer oder schädlicher als eine zeitweise Lücke. Ist aber<lb/>
die Beobachtung, die wir hier andeuten, eine richtige, so ist mit äußerlichen<lb/>
Maßregeln nichts gethan. Nur von einem neuen Impulse unseres gei¬<lb/>
stigen Lebens überhaupt ist eine Besserung zu erwarten, nicht von Ver¬<lb/>
mehrung der ohnehin schon schädlichen mittelmäßigen Dozenten durch künst¬<lb/>
liche Mittel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_433"> Der Mangel an Dozenten vertheilt sich übrigens in sehr ungleicher Weise<lb/>
auf die einzelnen Fakultäten und Wissenschaften. Besonders stark ist er her¬<lb/>
vorgetreten und auch jetzt noch nicht gehoben bei Theologen und Juristen.<lb/>
Und grade bei diesen Fakultäten lassen sich zu Allem, was wir bisher gesagt<lb/>
haben, auch noch innere Gründe anführen. Die theologische Wissenschaft,<lb/>
wie sie von Altersher auf unseren Universitäten vorgetragen worden, ist neuer¬<lb/>
dings bei einem Zersetzungsprozeß angelangt, dessen Endresultat sich noch<lb/>
nicht sicher voraussehen läßt: auf der einen Seite nähert die Entwickelung<lb/>
der theologischen Wissenschaft sich einem Punkte, bei dem von Theologie nicht<lb/>
mehr viel übrig bleibt, auf der anderen Seite ist die Theologie im Begriffe,<lb/>
die Wissenschaft aus der bisherigen Verschmelzung der beiden Elemente aus¬<lb/>
zuscheiden. Daß bei diesem Zustande der theologischen Universitätslehre ein<lb/>
großer Zudrang von Dozenten nicht erwartet werden kann, liegt auf der<lb/>
Hand. Und wenn der verflossene preußische Cultusminister von Muster<lb/>
Jahre lang die Praxis verfolgte, statt der Dozenten beliebige Pastoren an den<lb/>
Universitäten anzustellen, so wird man dies auch nicht als eine Ermuthigung<lb/>
der Dozenten ausgeben wollen. Die letzte Zeit hat übrigens an einzelnen<lb/>
Universitäten die neue Habilitation mehrerer theologischer Privatdozenten<lb/>
gebracht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_434" next="#ID_435"> Was die juristischen Fakultäten angeht, so tritt dem Nichtjuristen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] Und auch auf eine andere Thatsache dürfen wir wohl andeutend noch hinweisen. Grade bei Besetzung von Professuren, die zu den angesehensten und maßgebendsten gezählt werden, hat man in letzter Zeit Aeußerungen des Bedauerns gehört über die Abnahme des jüngeren akademischen und wissen¬ schaftlichen Nachwuchses. Dieser Satz, dessen Begründung wir hier nicht dis- cutiren wollen, bezieht sich aber mehr auf die Qualität als die Zahl: an Candidaten bei derartigen Stellungen hat es noch nicht gefehlt, wohl aber bisweilen an hervorragenden Gelehrten, denen Negierung und Fakultät mit einiger Freudigkeit des Entschlusses die wichtigeren Posten übertragen konnten. Uns erfüllt mit Besorgniß um die Zukunft unserer Hochschulen nicht ein etwa vorauszusehendes Deficit an Privatdozenten und Professoren (daran glauben wir nicht), wohl aber die vielfach beobachtete Ueberschwemmung wissenschaft¬ licher Arbeitsgebiete durch die sich immer breiter machenden Mittelmäßigkeiten. Eine geistige Null an einer Universität, sei es als Dozent oder Professor, wirkt immer viel schlimmer oder schädlicher als eine zeitweise Lücke. Ist aber die Beobachtung, die wir hier andeuten, eine richtige, so ist mit äußerlichen Maßregeln nichts gethan. Nur von einem neuen Impulse unseres gei¬ stigen Lebens überhaupt ist eine Besserung zu erwarten, nicht von Ver¬ mehrung der ohnehin schon schädlichen mittelmäßigen Dozenten durch künst¬ liche Mittel. Der Mangel an Dozenten vertheilt sich übrigens in sehr ungleicher Weise auf die einzelnen Fakultäten und Wissenschaften. Besonders stark ist er her¬ vorgetreten und auch jetzt noch nicht gehoben bei Theologen und Juristen. Und grade bei diesen Fakultäten lassen sich zu Allem, was wir bisher gesagt haben, auch noch innere Gründe anführen. Die theologische Wissenschaft, wie sie von Altersher auf unseren Universitäten vorgetragen worden, ist neuer¬ dings bei einem Zersetzungsprozeß angelangt, dessen Endresultat sich noch nicht sicher voraussehen läßt: auf der einen Seite nähert die Entwickelung der theologischen Wissenschaft sich einem Punkte, bei dem von Theologie nicht mehr viel übrig bleibt, auf der anderen Seite ist die Theologie im Begriffe, die Wissenschaft aus der bisherigen Verschmelzung der beiden Elemente aus¬ zuscheiden. Daß bei diesem Zustande der theologischen Universitätslehre ein großer Zudrang von Dozenten nicht erwartet werden kann, liegt auf der Hand. Und wenn der verflossene preußische Cultusminister von Muster Jahre lang die Praxis verfolgte, statt der Dozenten beliebige Pastoren an den Universitäten anzustellen, so wird man dies auch nicht als eine Ermuthigung der Dozenten ausgeben wollen. Die letzte Zeit hat übrigens an einzelnen Universitäten die neue Habilitation mehrerer theologischer Privatdozenten gebracht. Was die juristischen Fakultäten angeht, so tritt dem Nichtjuristen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/132>, abgerufen am 06.02.2025.