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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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seine Leistungen, das die Vertreter seiner Wissenschaft überhaupt über dieselben
gewinnen. Zuletzt ruht die eigentliche Entscheidung über Anstellung
und Beförderung bei den deutschen Staatsregierungen, in deren Ländern sich
Universitäten befinden. Immer wird das Urtheil einer einzelnen Fakultät
über einen Dozenten compensirt oder controlirt durch die Erklärungen
anderer Universitäten. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt ja auch die
Anstellung eines Dozenten als Professor an einer andern Hochschule als an der,
bei der er habilttirt war; und jedenfalls wünscht sich Jeder diese Berufung
nach auswärts. Je lebendiger in unserer Zeit der Verkehr und der Austausch¬
unter Gelehrten, desto geringer ist die Besorgniß geworden, daß aus un¬
gerechter Malice einer localen Professorengröße ein fähiger Dozent bei der Be¬
förderung übersehen werden könnte.

Wir erwarten hier den Einwand, daß es der Willkür der Fakultäten
überlassen, einen Dozenten wieder zu entfernen, der sich, obwohl von ihr zu¬
gelassen, bei ihr mißliebig gemacht, -- ohne Weiteres fügt man, wie selbstver¬
ständlich, den freundlichen Zusatz hinzu, daß ein Dozent sich natürlich nur
mißliebig gemacht haben könne durch eine, einem Professor zugefügte, erdrü¬
ckende Concurrenz. Entspräche diese Vorstellung der Wirklichkeit der Dinge,
dann wäre allerdings der Dozent ein rechtloses Individuum. Aber auch hier
wird ein so allgemeines Urtheil, das nach einer bestimmten Voraussetzung
über alle Fälle in Bausch und Bogen aburtheilt, von vornherein abgelehnt
werden dürfen. Was die Disciplinargewalt der Fakultäten über ihre Do¬
zenten, was insbesondere die Befugniß angeht, einem Habilitirten die soge¬
nannte venia legemii wieder zu entziehen, so sind an den verschiedenen Uni¬
versitäten die Bestimmungen darüber ganz verschiedene, -- überall aber giebt
es feste, rechtliche Bestimmungen auch hierüber, und die Aufsicht der Regie¬
rung läßt keine Eigenmächtigkeit einer Fakultät zu. Und wer in solchen
Fragen unbefangen urtheilen will, muß objektiv die einzelnen Fälle prüfen.
Es ist nicht zu übersehen, daß der Dozent noch nicht Staatsbeamter ist; wir
erinnern daran, auch der Referendar kann ohne Weiteres, wenn er sich nicht
bewährt oder Anstoß gegeben, aus seinem Berufe entfernt werden. Sind fer¬
nerhin die Fälle ganz unerhört, daß ein Offizier oder Richter oder Beamten
quittiren muß? AHes derartige aber, wenn es einmal vorkommt, geht so still
als möglich vorüber, -- nur wenn es sich um einen Privatdozenten handelt,
dann schlägt durch das ganze Reich, so weit die deutsche Zunge klingt, die
gesammte Presse einen furchtbaren Lärmen, bei dem ohne Weiteres dem Do¬
zenten die Rolle des unschuldig gekränkten Märtyrers und der Fakultät die
Stellung des ungerechten Verfolgers angewiesen ist.

Im Jahre 1838 machte die Affaire Beckhaus in Bonn viel von sich
reden. In unverhülltester Weise rief man sich damals zu, der "Brodneid"


seine Leistungen, das die Vertreter seiner Wissenschaft überhaupt über dieselben
gewinnen. Zuletzt ruht die eigentliche Entscheidung über Anstellung
und Beförderung bei den deutschen Staatsregierungen, in deren Ländern sich
Universitäten befinden. Immer wird das Urtheil einer einzelnen Fakultät
über einen Dozenten compensirt oder controlirt durch die Erklärungen
anderer Universitäten. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt ja auch die
Anstellung eines Dozenten als Professor an einer andern Hochschule als an der,
bei der er habilttirt war; und jedenfalls wünscht sich Jeder diese Berufung
nach auswärts. Je lebendiger in unserer Zeit der Verkehr und der Austausch¬
unter Gelehrten, desto geringer ist die Besorgniß geworden, daß aus un¬
gerechter Malice einer localen Professorengröße ein fähiger Dozent bei der Be¬
förderung übersehen werden könnte.

Wir erwarten hier den Einwand, daß es der Willkür der Fakultäten
überlassen, einen Dozenten wieder zu entfernen, der sich, obwohl von ihr zu¬
gelassen, bei ihr mißliebig gemacht, — ohne Weiteres fügt man, wie selbstver¬
ständlich, den freundlichen Zusatz hinzu, daß ein Dozent sich natürlich nur
mißliebig gemacht haben könne durch eine, einem Professor zugefügte, erdrü¬
ckende Concurrenz. Entspräche diese Vorstellung der Wirklichkeit der Dinge,
dann wäre allerdings der Dozent ein rechtloses Individuum. Aber auch hier
wird ein so allgemeines Urtheil, das nach einer bestimmten Voraussetzung
über alle Fälle in Bausch und Bogen aburtheilt, von vornherein abgelehnt
werden dürfen. Was die Disciplinargewalt der Fakultäten über ihre Do¬
zenten, was insbesondere die Befugniß angeht, einem Habilitirten die soge¬
nannte venia legemii wieder zu entziehen, so sind an den verschiedenen Uni¬
versitäten die Bestimmungen darüber ganz verschiedene, — überall aber giebt
es feste, rechtliche Bestimmungen auch hierüber, und die Aufsicht der Regie¬
rung läßt keine Eigenmächtigkeit einer Fakultät zu. Und wer in solchen
Fragen unbefangen urtheilen will, muß objektiv die einzelnen Fälle prüfen.
Es ist nicht zu übersehen, daß der Dozent noch nicht Staatsbeamter ist; wir
erinnern daran, auch der Referendar kann ohne Weiteres, wenn er sich nicht
bewährt oder Anstoß gegeben, aus seinem Berufe entfernt werden. Sind fer¬
nerhin die Fälle ganz unerhört, daß ein Offizier oder Richter oder Beamten
quittiren muß? AHes derartige aber, wenn es einmal vorkommt, geht so still
als möglich vorüber, — nur wenn es sich um einen Privatdozenten handelt,
dann schlägt durch das ganze Reich, so weit die deutsche Zunge klingt, die
gesammte Presse einen furchtbaren Lärmen, bei dem ohne Weiteres dem Do¬
zenten die Rolle des unschuldig gekränkten Märtyrers und der Fakultät die
Stellung des ungerechten Verfolgers angewiesen ist.

Im Jahre 1838 machte die Affaire Beckhaus in Bonn viel von sich
reden. In unverhülltester Weise rief man sich damals zu, der „Brodneid"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/128>, abgerufen am 06.02.2025.