Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.
Der Verlauf des Dramas lehrt, daß bei den gothischen Volksgenossen "geknechtet hat die Kirche ihre Seelen, Ihr Abfall hat die Maurenschlacht entschieden. Und somit hat allerdings Und zu leidenschaftlicher Höhe wird diese Empfindung, mit der wir dem
Der Verlauf des Dramas lehrt, daß bei den gothischen Volksgenossen „geknechtet hat die Kirche ihre Seelen, Ihr Abfall hat die Maurenschlacht entschieden. Und somit hat allerdings Und zu leidenschaftlicher Höhe wird diese Empfindung, mit der wir dem
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133396"/> <quote> <p xml:id="ID_342"> Ihr Höchstes finden! nein, die Menge sucht<lb/> Das eigne Wohl im Himmel und auf Erden:<lb/> Nicht die Begeisterung für das Vaterland,<lb/> Die Furcht vor Höllenstrafe ist das Stärkste:<lb/> Und wohl der Menschheit, daß dem also ist.<lb/> Daß eine Schranke Gott auf Erden setzte,<lb/> Sonst wüchsen Uebermuth und Lust und Sünde<lb/> Hochfärtig durch die Wolken in den Himmel.<lb/> Drum laß vom Kampf mit uns, Du kühner König,<lb/> Schon vor der Schlacht hast Du den Sieg verloren:<lb/> Es wär ein Kampf um dieses Volkes Seele<lb/> Und diese Seele — hat die Kirche ganz.</p><lb/> <p xml:id="ID_343"> Nein, Erzbischof, nein, bei dem Stern der Gothen!<lb/> Das Höchste ist dem Volk des Volkes Ehre,<lb/> Und nicht der Kirche Segen oder Fluch.<lb/> Ich setze Thron und Leben dafür ein:<lb/> Ich wette und ich ringe mit Dir, Priester,<lb/> Um meines Volkes Seele.</p> <note type="speaker"> Noderich: </note> <p xml:id="ID_344"> Es soll gelten!"</p> <note type="speaker"> Sind red:</note> </quote><lb/> <p xml:id="ID_345"> Der Verlauf des Dramas lehrt, daß bei den gothischen Volksgenossen<lb/> Noderich Recht behält, aber die Leibeigenen der Kirche — wie sie hier kurz<lb/> bezeichnet werden, die „Kirchenknechte" — folgen dem Worte des Bischofs ganz<lb/> anders als dem Befehle des Königs:</p><lb/> <quote> „geknechtet hat die Kirche ihre Seelen,<lb/> Und diese kann kein Königswort bcfrei'n." '</quote><lb/> <p xml:id="ID_346"> Ihr Abfall hat die Maurenschlacht entschieden. Und somit hat allerdings<lb/> zunächst im Bereiche dessen, was im Drama vorgeht, Sindred mit der Kirche<lb/> gesiegt; — in der Seele moderner Menschen aber ruft dieser zeitweilige Sieg<lb/> ganz andere Empfindungen und Reflexionen wach: der Eindruck der ganzen<lb/> Dichtung auf das heutige Publikum ist ganz gewiß nicht der, daß der Kirche<lb/> über den Staat der Sieg gebühre.</p><lb/> <p xml:id="ID_347"> Und zu leidenschaftlicher Höhe wird diese Empfindung, mit der wir dem<lb/> Drama folgen, in uns erregt grade durch die objektive und sichere Art, in<lb/> welcher der Dichter Sindred's Standpunkt sich dem Gebote des Staates ge¬<lb/> genüber offenbaren läßt. Ergreifend und aufregend ist sicher das Wechsel--<lb/> gespräch zwischen Noderich und Sindred am Ende des vierten Aktes. Nach¬<lb/> dem alle Bitten des Königs bei der feindlichen Kirche um Hülfe für das<lb/> Reich in seiner höchsten Gefahr vergeblich geblieben, ruft Roderich unwil¬<lb/> lig aus:</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_348"> „Bist Du ein Gothe? sprich, bist Du ein Mann?</p><lb/> <p xml:id="ID_349"> : Ich bin ein Priester und ich bin ein Christ.</p> <note type="speaker"> Sindrcd</note><lb/> <note type="speaker"> Noderich:</note> <p xml:id="ID_350"> Hast Du kein Herz für Deines Volkes Ehre?</p> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Ihr Höchstes finden! nein, die Menge sucht
Das eigne Wohl im Himmel und auf Erden:
Nicht die Begeisterung für das Vaterland,
Die Furcht vor Höllenstrafe ist das Stärkste:
Und wohl der Menschheit, daß dem also ist.
Daß eine Schranke Gott auf Erden setzte,
Sonst wüchsen Uebermuth und Lust und Sünde
Hochfärtig durch die Wolken in den Himmel.
Drum laß vom Kampf mit uns, Du kühner König,
Schon vor der Schlacht hast Du den Sieg verloren:
Es wär ein Kampf um dieses Volkes Seele
Und diese Seele — hat die Kirche ganz.
Nein, Erzbischof, nein, bei dem Stern der Gothen!
Das Höchste ist dem Volk des Volkes Ehre,
Und nicht der Kirche Segen oder Fluch.
Ich setze Thron und Leben dafür ein:
Ich wette und ich ringe mit Dir, Priester,
Um meines Volkes Seele.
Noderich: Es soll gelten!"
Sind red:
Der Verlauf des Dramas lehrt, daß bei den gothischen Volksgenossen
Noderich Recht behält, aber die Leibeigenen der Kirche — wie sie hier kurz
bezeichnet werden, die „Kirchenknechte" — folgen dem Worte des Bischofs ganz
anders als dem Befehle des Königs:
„geknechtet hat die Kirche ihre Seelen,
Und diese kann kein Königswort bcfrei'n." '
Ihr Abfall hat die Maurenschlacht entschieden. Und somit hat allerdings
zunächst im Bereiche dessen, was im Drama vorgeht, Sindred mit der Kirche
gesiegt; — in der Seele moderner Menschen aber ruft dieser zeitweilige Sieg
ganz andere Empfindungen und Reflexionen wach: der Eindruck der ganzen
Dichtung auf das heutige Publikum ist ganz gewiß nicht der, daß der Kirche
über den Staat der Sieg gebühre.
Und zu leidenschaftlicher Höhe wird diese Empfindung, mit der wir dem
Drama folgen, in uns erregt grade durch die objektive und sichere Art, in
welcher der Dichter Sindred's Standpunkt sich dem Gebote des Staates ge¬
genüber offenbaren läßt. Ergreifend und aufregend ist sicher das Wechsel--
gespräch zwischen Noderich und Sindred am Ende des vierten Aktes. Nach¬
dem alle Bitten des Königs bei der feindlichen Kirche um Hülfe für das
Reich in seiner höchsten Gefahr vergeblich geblieben, ruft Roderich unwil¬
lig aus:
„Bist Du ein Gothe? sprich, bist Du ein Mann?
: Ich bin ein Priester und ich bin ein Christ.
Sindrcd
Noderich: Hast Du kein Herz für Deines Volkes Ehre?
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