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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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same. Die Einreden der Schwester und des Freundes gegen Roderich's Hei¬
rath (Akt 3, Scene 3) sind tief und wahr empfunden; der eigene Vortrag
des Dichters senkt sie auch dem Leser und dem Zuschauer als nicht leichthin
abzuweisende ins Gedächtniß; und die Bemerkung Pelago's, mit der er zurück¬
zieht von dem früher Gesagten:


Ich gebe mich besiegt! was so gewaltig
So groß und recht, das trägt sein Recht in sich,
Und ob's Verderben ist -- es ist doch schon!

diese Aeußerung hat nicht für Jedermann überzeugende Kraft- Immer¬
hin macht die Darstellung der Sache, die der Dichter bis zur 7. Scene des
3. Aktes verfolgt hat, den Eindruck, als ob es seine Absicht gewesen, aus
des Königs Verbindung mit Cava einen ersten und schweren Conflikt entstehen
zu lassen; die Umgebung hatte ihn nachdrücklich gewarnt (schon in früheren
Gesprächen mit Pelago war diesen Warnungen präludirt worden) und die
öffentliche Verhandlung vor dem Gothenvolke mit ihren wuchtigen Erklä¬
rungen des "Rechtswartes", des Organes gothischer Volks- und Rechtsan¬
schauungen mußte nach dieser Richtung hin unsere Auffassung spannen und
lenken. Da plötzlich zerrinnt der drohende Conflikt, -- in der oben ange¬
gebenen Weise. Ueberraschend. ja befremdend ist sicherlich diese Ausbiegung,
mit der Decbr dem Drama eine andere Wendung giebt. Unzweifelhaft hat
ihn eins ganz bestimmte Absicht dabei geleitet: wenn wir richtig vermuthen,
so wollte er das mehr romantische Element in seiner Dichtung in möglichst
enge Schranken eindämmen, so wünschte er eine Theilung des Interesses
zu vermeiden, so fürchtete er die Sympathie für den Heidenkönig durch die
Theilnahme an dem Schicksal des Liebhabers leicht abzuschwächen: er aber
wollte -- so denken wir -- die dramatische Entwickelung des Kampfes der
feindlichen Prinzipien -- Staatssouverainetät und Priesterherrschaft -- unge¬
stört durch eine Einmischung andersgearteter Motive sich vollziehen lassen.

Mögen so oder anders die Gedanken lauten, die den Dichter zur Wahl
seiner dramatischen Motive bestimmt haben, wir haben es grade bei dem hohen
Interesse, das uns dies Drama eingeflößt hat, für richtig gehalten, auch
unsere kritischen Bedenken gegenüber dieser vom Dichter beliebten Wendung
nicht zu unterdrücken.

Mit den heranziehenden Mauren läßt Sindred sich in geheime Verbin¬
dungen ein, welche Roderich's Sturz vorbereiten sollen und herbeiführen. Zu¬
nächst war von den fanatisirten Anhängern der Kirche ein Mordanfall auf
Roderich versucht worden, der ihn zur höchsten Heftigkeit reizen mußte! Dann
verweigern die Bischöfe dem Könige alle und jede Hülfe und Unterstützung
für den bevorstehenden Maurenkrieg. Vergebens bittet und beschwört Roderich
seinen Gegner Sindred.


same. Die Einreden der Schwester und des Freundes gegen Roderich's Hei¬
rath (Akt 3, Scene 3) sind tief und wahr empfunden; der eigene Vortrag
des Dichters senkt sie auch dem Leser und dem Zuschauer als nicht leichthin
abzuweisende ins Gedächtniß; und die Bemerkung Pelago's, mit der er zurück¬
zieht von dem früher Gesagten:


Ich gebe mich besiegt! was so gewaltig
So groß und recht, das trägt sein Recht in sich,
Und ob's Verderben ist — es ist doch schon!

diese Aeußerung hat nicht für Jedermann überzeugende Kraft- Immer¬
hin macht die Darstellung der Sache, die der Dichter bis zur 7. Scene des
3. Aktes verfolgt hat, den Eindruck, als ob es seine Absicht gewesen, aus
des Königs Verbindung mit Cava einen ersten und schweren Conflikt entstehen
zu lassen; die Umgebung hatte ihn nachdrücklich gewarnt (schon in früheren
Gesprächen mit Pelago war diesen Warnungen präludirt worden) und die
öffentliche Verhandlung vor dem Gothenvolke mit ihren wuchtigen Erklä¬
rungen des „Rechtswartes", des Organes gothischer Volks- und Rechtsan¬
schauungen mußte nach dieser Richtung hin unsere Auffassung spannen und
lenken. Da plötzlich zerrinnt der drohende Conflikt, — in der oben ange¬
gebenen Weise. Ueberraschend. ja befremdend ist sicherlich diese Ausbiegung,
mit der Decbr dem Drama eine andere Wendung giebt. Unzweifelhaft hat
ihn eins ganz bestimmte Absicht dabei geleitet: wenn wir richtig vermuthen,
so wollte er das mehr romantische Element in seiner Dichtung in möglichst
enge Schranken eindämmen, so wünschte er eine Theilung des Interesses
zu vermeiden, so fürchtete er die Sympathie für den Heidenkönig durch die
Theilnahme an dem Schicksal des Liebhabers leicht abzuschwächen: er aber
wollte — so denken wir — die dramatische Entwickelung des Kampfes der
feindlichen Prinzipien — Staatssouverainetät und Priesterherrschaft — unge¬
stört durch eine Einmischung andersgearteter Motive sich vollziehen lassen.

Mögen so oder anders die Gedanken lauten, die den Dichter zur Wahl
seiner dramatischen Motive bestimmt haben, wir haben es grade bei dem hohen
Interesse, das uns dies Drama eingeflößt hat, für richtig gehalten, auch
unsere kritischen Bedenken gegenüber dieser vom Dichter beliebten Wendung
nicht zu unterdrücken.

Mit den heranziehenden Mauren läßt Sindred sich in geheime Verbin¬
dungen ein, welche Roderich's Sturz vorbereiten sollen und herbeiführen. Zu¬
nächst war von den fanatisirten Anhängern der Kirche ein Mordanfall auf
Roderich versucht worden, der ihn zur höchsten Heftigkeit reizen mußte! Dann
verweigern die Bischöfe dem Könige alle und jede Hülfe und Unterstützung
für den bevorstehenden Maurenkrieg. Vergebens bittet und beschwört Roderich
seinen Gegner Sindred.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/102>, abgerufen am 06.02.2025.