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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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wollen; daß sie sich nach gewissen Richtungen hin fremd bleiben, und daß
dieses Befremden und Verfremden häufiger, als es nöthig wäre, auch äußerlich
hervortritt. Und das ist eben auch ein Punkt, der dem Elsässer von Geburt
sofort auffällt und ihm die Verschmelzung mit Altdeutschland nicht sonderlich
angenehm und reizend erscheinen lassen dürfte.

Dazu kommt, -- und das ist ein weiterer, dem kühlen Beobachter sofort
in die Augen springender wunder Fleck in dem gesellschaftlichen Leben der
reichsländischen Bevölkerung -- daß mit dem deutschen Beamtenelemente auch
ein gut Theil alten deutschen Beamtenzopfs und, sagen wir's kühn, einer in der
Heimath längst schon zu Grabe getragenen Art von preußischer Bureau¬
kratie sich eingenistet hat. Die Gradationen und Stufenleitern, welche hier
zwischen den einzelnen Beamten-Kategorien gemacht werden, ob sie zur Ver¬
waltung oder zur Justiz, zum niedern oder höhern Beamtenthum, zu den
besser oder minder gut besoldeten Kreisen gehören, sind, um mich des Aus¬
druckes mit Verlaub zu bedienen, geradezu lächerlich und für den einzelnen
Beamten äußerst peinlicher Natur. Dies ist, neben der an sehr vielen Orten
noch stark hervortretenden gesellschaftlichen Exclusive des bürgerlichen von
dem Beamtenelemente, mit ein Grund, weßhalb sich sehr viele Deutsche in
diesem von der Natur so reich gesegneten Lande und trotz einer durchschnitt¬
lich hohen und geradezu "gentlemenmäßigen" Besoldung niemals recht Wohl¬
befinden können und sich unwillkürlich nach den verlassenen Fleischtöpfen in
ihrem speziellen Heimathlande sehnen. Ich könnte hier mit einzelnen schla¬
genden Details dienen, wenn mich nicht der bekannte Grundsatz daran hinderte:
"nowing, sunt oäiosa!"

Thatsache ist, daß die größere Mehrzahl der hiesigen Beamten mit ihrem
Geschicke nicht sonderlich zufrieden ist, trotzdem, wie gesagt, die Höhe ihrer
Besoldungsziffer ihnen eine sorgenfreie Existenz und für Einzelne sogar eine
weit bessere gesellschaftliche Stellung sichert, was wenigstens die Geldfrage
anbelangt, als sie in der Heimath jemals erreicht haben würden. Wenn bei¬
spielsweise, um von den höhern Beamten zu schweigen, schon das Jahrgehalt
eines Secretärs bei dem Bezirks-Präsidium oder der Steuerdireetion durch¬
schnittlich 1000 -- 1200 Thaler beträgt, so ist das eine Summe, die ganz
genau dem Durchschnittsgehalt des ersten Oberlehrers an einem kleinern
rheinischen Gymnasium resp, dem jährlichen Einkommen einer ganzen Kategorie
höherer richterlicher Beamten in den ältern preußischen Provinzen entspricht.
Nach den von dem Landgerichtsrath Mitscher in Straßburg gesammelten
und in der von ihm herausgegebenen Broschüre über Elsaß-Lothringen nieder¬
gelegten Erfahrungen ist übrigens auch im Reichslande das Verhältniß bezügl.
der Friedensrichter, die durchschnittlich 1000 Thaler beziehen, ein ähn¬
liches. Danach ergiebt sich an vielen Orten das Eigenthümliche, daß die


wollen; daß sie sich nach gewissen Richtungen hin fremd bleiben, und daß
dieses Befremden und Verfremden häufiger, als es nöthig wäre, auch äußerlich
hervortritt. Und das ist eben auch ein Punkt, der dem Elsässer von Geburt
sofort auffällt und ihm die Verschmelzung mit Altdeutschland nicht sonderlich
angenehm und reizend erscheinen lassen dürfte.

Dazu kommt, — und das ist ein weiterer, dem kühlen Beobachter sofort
in die Augen springender wunder Fleck in dem gesellschaftlichen Leben der
reichsländischen Bevölkerung — daß mit dem deutschen Beamtenelemente auch
ein gut Theil alten deutschen Beamtenzopfs und, sagen wir's kühn, einer in der
Heimath längst schon zu Grabe getragenen Art von preußischer Bureau¬
kratie sich eingenistet hat. Die Gradationen und Stufenleitern, welche hier
zwischen den einzelnen Beamten-Kategorien gemacht werden, ob sie zur Ver¬
waltung oder zur Justiz, zum niedern oder höhern Beamtenthum, zu den
besser oder minder gut besoldeten Kreisen gehören, sind, um mich des Aus¬
druckes mit Verlaub zu bedienen, geradezu lächerlich und für den einzelnen
Beamten äußerst peinlicher Natur. Dies ist, neben der an sehr vielen Orten
noch stark hervortretenden gesellschaftlichen Exclusive des bürgerlichen von
dem Beamtenelemente, mit ein Grund, weßhalb sich sehr viele Deutsche in
diesem von der Natur so reich gesegneten Lande und trotz einer durchschnitt¬
lich hohen und geradezu „gentlemenmäßigen" Besoldung niemals recht Wohl¬
befinden können und sich unwillkürlich nach den verlassenen Fleischtöpfen in
ihrem speziellen Heimathlande sehnen. Ich könnte hier mit einzelnen schla¬
genden Details dienen, wenn mich nicht der bekannte Grundsatz daran hinderte:
«nowing, sunt oäiosa!"

Thatsache ist, daß die größere Mehrzahl der hiesigen Beamten mit ihrem
Geschicke nicht sonderlich zufrieden ist, trotzdem, wie gesagt, die Höhe ihrer
Besoldungsziffer ihnen eine sorgenfreie Existenz und für Einzelne sogar eine
weit bessere gesellschaftliche Stellung sichert, was wenigstens die Geldfrage
anbelangt, als sie in der Heimath jemals erreicht haben würden. Wenn bei¬
spielsweise, um von den höhern Beamten zu schweigen, schon das Jahrgehalt
eines Secretärs bei dem Bezirks-Präsidium oder der Steuerdireetion durch¬
schnittlich 1000 — 1200 Thaler beträgt, so ist das eine Summe, die ganz
genau dem Durchschnittsgehalt des ersten Oberlehrers an einem kleinern
rheinischen Gymnasium resp, dem jährlichen Einkommen einer ganzen Kategorie
höherer richterlicher Beamten in den ältern preußischen Provinzen entspricht.
Nach den von dem Landgerichtsrath Mitscher in Straßburg gesammelten
und in der von ihm herausgegebenen Broschüre über Elsaß-Lothringen nieder¬
gelegten Erfahrungen ist übrigens auch im Reichslande das Verhältniß bezügl.
der Friedensrichter, die durchschnittlich 1000 Thaler beziehen, ein ähn¬
liches. Danach ergiebt sich an vielen Orten das Eigenthümliche, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/523>, abgerufen am 23.07.2024.