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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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kommen als aus protestantischen Kassen? Die Katholiken brauchen ihr Geld
für Peterspfennige und alle möglichen Brüderschaften und Congregationen:
wer will ihnen zumuthen, es dem Präsidenten des evangelischen Consistoriums
zu geben, damit er davon ein katholisches Frauenkloster baue?

Selbst für die Minister wurde die Sache bedenklich. Sogar auf den
Hofhallen sollten sie den Beschützerinnen des Herrn von Golther Rede und
Antwort stehen über das Neichsstrafgesetzbuch und die verbotenen Lotterien.
Was aber dort gesprochen wird, verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die
Residenz. Geht doch, hieß es jetzt, der Uebermuth der katholischen Kreise
schon soweit, von den Protestanten zu verlangen, daß sie den Aschermittwoch
feiern! Eine katholische Jnterpellation des Ministers von Sick aus Hofkreisen
wegen des Tanzens einer Honoratiorengesellschaft in der Fastenzeit macht so¬
fort die Runde: und andern Tags schon bilden die Uebergriffe des Papis-
mus das allgemeine Gespräch in den Tanzkränzchen und Casinos! Kleine
Ursachen haben schon oft große Wirkungen erzeugt.

Der Stuttgarter erwachte plötzlich aus langem Schlaf und nahm auf
einmal wahr, wie die schwarze Schmeißfliege sich während seines Schlummers
überall eingenistet und sogar auf seinem Antlitz häßliche Spuren hinterlassen
hatte. Daß ein früher in Rom dem Jesuitenorden beigetretener und jetzt in
Stuttgart fungirender Kaplan die von ihm nach der Jesuitenregel gegründeten
marianischen Verbindungen bis in das protestantische Gymnasium hinein ver¬
breiten konnte, war schon arg genug, um von dem Treiben der katholischen
Gesellenvereins ganz abzusehen. Noch schlimmer erschien Vielen -- wir
hatten längst darauf aufmerksam gemacht -- die plötzliche Wahrnehmung
wie die, Katholiken durch ihre Demuth nach Oben, durch den fortwährenden,
an den "Gruß der Maria" erinnernden Bortrag des "Hie gut Württemberg
allewege" sich in den Besitz aller fetten Pöstchen und Nebenämtchen zu setzen
gewußt, und daß man nachgerade in Württemberg nur katholisch zu werden
braucht, um seine Kinder auf Staatskosten umsonst studiren lassen zu können.
(Man erwartet jetzt mit Recht von der Negierung die Vorlage einer Statistik
über die in den letzten 25 Jahren im württembergisch-katholischen Kirchendienst
verbliebenen, im Verhältniß zu der Gesammrzahl der auf Staatskosten all¬
jährlich auferzogenen Eleven!) Auch daß der aus der vorhergeschilderten gro߬
deutschen Professorenpartei nach Stuttgart berufene Oberbürgermeister der Re¬
sidenz sich in öffentlicher Rathhaussitzung zu Gunsten der Überlassung des
Schulunterrichts an die katholischen Schulschwestern ausgesprochen, erregte
nicht geringe Bestürzung.

Ganz unerträglich findet man es aber, daß neuerdings die "gesperrten"
Preußischen Priester sich mehr und mehr einnisten. Bisher waren es nur
wenige heimathlose Literaten gewesen, welche aus Preußen gekommen, um sich


kommen als aus protestantischen Kassen? Die Katholiken brauchen ihr Geld
für Peterspfennige und alle möglichen Brüderschaften und Congregationen:
wer will ihnen zumuthen, es dem Präsidenten des evangelischen Consistoriums
zu geben, damit er davon ein katholisches Frauenkloster baue?

Selbst für die Minister wurde die Sache bedenklich. Sogar auf den
Hofhallen sollten sie den Beschützerinnen des Herrn von Golther Rede und
Antwort stehen über das Neichsstrafgesetzbuch und die verbotenen Lotterien.
Was aber dort gesprochen wird, verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die
Residenz. Geht doch, hieß es jetzt, der Uebermuth der katholischen Kreise
schon soweit, von den Protestanten zu verlangen, daß sie den Aschermittwoch
feiern! Eine katholische Jnterpellation des Ministers von Sick aus Hofkreisen
wegen des Tanzens einer Honoratiorengesellschaft in der Fastenzeit macht so¬
fort die Runde: und andern Tags schon bilden die Uebergriffe des Papis-
mus das allgemeine Gespräch in den Tanzkränzchen und Casinos! Kleine
Ursachen haben schon oft große Wirkungen erzeugt.

Der Stuttgarter erwachte plötzlich aus langem Schlaf und nahm auf
einmal wahr, wie die schwarze Schmeißfliege sich während seines Schlummers
überall eingenistet und sogar auf seinem Antlitz häßliche Spuren hinterlassen
hatte. Daß ein früher in Rom dem Jesuitenorden beigetretener und jetzt in
Stuttgart fungirender Kaplan die von ihm nach der Jesuitenregel gegründeten
marianischen Verbindungen bis in das protestantische Gymnasium hinein ver¬
breiten konnte, war schon arg genug, um von dem Treiben der katholischen
Gesellenvereins ganz abzusehen. Noch schlimmer erschien Vielen — wir
hatten längst darauf aufmerksam gemacht — die plötzliche Wahrnehmung
wie die, Katholiken durch ihre Demuth nach Oben, durch den fortwährenden,
an den „Gruß der Maria" erinnernden Bortrag des „Hie gut Württemberg
allewege" sich in den Besitz aller fetten Pöstchen und Nebenämtchen zu setzen
gewußt, und daß man nachgerade in Württemberg nur katholisch zu werden
braucht, um seine Kinder auf Staatskosten umsonst studiren lassen zu können.
(Man erwartet jetzt mit Recht von der Negierung die Vorlage einer Statistik
über die in den letzten 25 Jahren im württembergisch-katholischen Kirchendienst
verbliebenen, im Verhältniß zu der Gesammrzahl der auf Staatskosten all¬
jährlich auferzogenen Eleven!) Auch daß der aus der vorhergeschilderten gro߬
deutschen Professorenpartei nach Stuttgart berufene Oberbürgermeister der Re¬
sidenz sich in öffentlicher Rathhaussitzung zu Gunsten der Überlassung des
Schulunterrichts an die katholischen Schulschwestern ausgesprochen, erregte
nicht geringe Bestürzung.

Ganz unerträglich findet man es aber, daß neuerdings die „gesperrten"
Preußischen Priester sich mehr und mehr einnisten. Bisher waren es nur
wenige heimathlose Literaten gewesen, welche aus Preußen gekommen, um sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/511>, abgerufen am 23.07.2024.