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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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fertigt und die Kanonen unter einander verbunden hatte, trafen sich die Tau¬
sendfüße in Bailey's Scheune, und ließen das Loos entscheiden, wer die
heroische That des Anzündens thun sollte. "Zwölf Streifen zusammengefalteten
Papiers, auf deren einem die Worte "Du bist der Mann" standen, wurden
in ein Quartmaß gethan und tüchtig durcheinander geschüttelt, dann trat
jedes Mitglied des Clubs heran und zog sich sein Schicksal. Auf ein ge¬
gebnes Zeichen öffneten wir unsre Zettel. "Du bist der Mann," sagte der
zwischen meinen Fingern zitternde Papierstreifen. Die Süßigkeiten und Be¬
ängstigungen, die sich an die Stellung eines Führers knüpfen, sielen mir für
den Rest des Nachmittags zu. Unmittelbar nach Einbruch der Dämmerung
stahl sich Phil Adams nach der Werfte hinunter und befestigte die Lunten
an die Kanonen, worauf er eine Leitung losen Pulvers von der Hauptlunte
bis nach der Umzäunung streute, durch welche ich an einer Spalte um Mitter¬
nacht das Zündhölzchen hineinfallen lassen sollte.

"Um zehn Uhr geht Rivermouth zu Bett. Um elf Uhr ist Rivermouth
so still wie ein Dorfkirchhof. Um zwölf Uhr giebt es nichts auf Erden, was
sich mit der Stille vergleichen ließe, die dann über der kleinen Stadt brütet.
Inmitten dieser Stille stand ich auf und glitt aus dem Hause wie ein Ge¬
spenst, das ein Unheil anzurichten vorhat; wie ein Gespenst flatterte ich durch
die schweigende Straße und schöpfte kaum Athem, ehe ich an der mir ange¬
wiesenen Stelle vor dem Zaune hinkniete. Nachdem ich einen Augenblick
innegehalten, um mein Herzklopfen sich beruhigen zu lassen, brannte ich das
Zündhölzchen an, schützte es mit beiden Händen vor Luftzug, bis es gut im
Gange war, und ließ sodann den helllodernden Splitter aus den dünnen
Pulverfaden fallen. Augenblicklich folgte ein geräuschloses Aufblitzen, und
Alles war wieder dunkel. Ich gukte durch die Spalte in der Umzäunung
und sah, wie die Hauptlunte Funken sprühte wie ein Taschenspieler aus dem
Munde Feuer speit. Nachdem ich mich versichert hatte, daß die Leitung nicht
versagt, gab ich Fersengeld; denn ich fürchtete, die Lunte könnte rascher brennen,
als wir berechnet hatten, und eine Explosion veranlassen, bevor ich nach
Hause kommen könnte. Das geschah glücklicher Weise nicht. Es giebt eine
besondere Vorsehung, die über Blödsinnigen, Betrunkenen und Knaben wacht."

"Ich umging die Ceremonie des Auskleidens, indem ich mich mit Jacke,
Stiefeln und allem Andern ins Bett warf. Ich weiß nicht bestimmt, ob ich
meine Mütze abnahm, aber ich weiß, daß, nachdem ich kaum die Bettdecke
über mich gezogen hatte -- "Bumm!" die erste Kanone von Bailey's Batterie
losdonnerte. Ich lag so still da wie ein Mäuschen. In weniger als zwei
Minuten folgte ein zweiter Donnerschlag und dann ein dritter. Das dritte
Kanonenrohr war ein fürchterlicher Kerl und ließ geradezu das Haus erzittern."

"Jetzt erwachte die Stadt. Fenster wurden hier und da aufgestoßen, und


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fertigt und die Kanonen unter einander verbunden hatte, trafen sich die Tau¬
sendfüße in Bailey's Scheune, und ließen das Loos entscheiden, wer die
heroische That des Anzündens thun sollte. „Zwölf Streifen zusammengefalteten
Papiers, auf deren einem die Worte „Du bist der Mann" standen, wurden
in ein Quartmaß gethan und tüchtig durcheinander geschüttelt, dann trat
jedes Mitglied des Clubs heran und zog sich sein Schicksal. Auf ein ge¬
gebnes Zeichen öffneten wir unsre Zettel. „Du bist der Mann," sagte der
zwischen meinen Fingern zitternde Papierstreifen. Die Süßigkeiten und Be¬
ängstigungen, die sich an die Stellung eines Führers knüpfen, sielen mir für
den Rest des Nachmittags zu. Unmittelbar nach Einbruch der Dämmerung
stahl sich Phil Adams nach der Werfte hinunter und befestigte die Lunten
an die Kanonen, worauf er eine Leitung losen Pulvers von der Hauptlunte
bis nach der Umzäunung streute, durch welche ich an einer Spalte um Mitter¬
nacht das Zündhölzchen hineinfallen lassen sollte.

„Um zehn Uhr geht Rivermouth zu Bett. Um elf Uhr ist Rivermouth
so still wie ein Dorfkirchhof. Um zwölf Uhr giebt es nichts auf Erden, was
sich mit der Stille vergleichen ließe, die dann über der kleinen Stadt brütet.
Inmitten dieser Stille stand ich auf und glitt aus dem Hause wie ein Ge¬
spenst, das ein Unheil anzurichten vorhat; wie ein Gespenst flatterte ich durch
die schweigende Straße und schöpfte kaum Athem, ehe ich an der mir ange¬
wiesenen Stelle vor dem Zaune hinkniete. Nachdem ich einen Augenblick
innegehalten, um mein Herzklopfen sich beruhigen zu lassen, brannte ich das
Zündhölzchen an, schützte es mit beiden Händen vor Luftzug, bis es gut im
Gange war, und ließ sodann den helllodernden Splitter aus den dünnen
Pulverfaden fallen. Augenblicklich folgte ein geräuschloses Aufblitzen, und
Alles war wieder dunkel. Ich gukte durch die Spalte in der Umzäunung
und sah, wie die Hauptlunte Funken sprühte wie ein Taschenspieler aus dem
Munde Feuer speit. Nachdem ich mich versichert hatte, daß die Leitung nicht
versagt, gab ich Fersengeld; denn ich fürchtete, die Lunte könnte rascher brennen,
als wir berechnet hatten, und eine Explosion veranlassen, bevor ich nach
Hause kommen könnte. Das geschah glücklicher Weise nicht. Es giebt eine
besondere Vorsehung, die über Blödsinnigen, Betrunkenen und Knaben wacht."

„Ich umging die Ceremonie des Auskleidens, indem ich mich mit Jacke,
Stiefeln und allem Andern ins Bett warf. Ich weiß nicht bestimmt, ob ich
meine Mütze abnahm, aber ich weiß, daß, nachdem ich kaum die Bettdecke
über mich gezogen hatte — „Bumm!" die erste Kanone von Bailey's Batterie
losdonnerte. Ich lag so still da wie ein Mäuschen. In weniger als zwei
Minuten folgte ein zweiter Donnerschlag und dann ein dritter. Das dritte
Kanonenrohr war ein fürchterlicher Kerl und ließ geradezu das Haus erzittern."

„Jetzt erwachte die Stadt. Fenster wurden hier und da aufgestoßen, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/441>, abgerufen am 23.07.2024.