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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Richtung seines Autors aufgeprägt. Und die reiche Gelehrsamkeit, über die er
verfügt, dient dieser ausgleichenden, allen Extremen abholden und versöhnlichen
Auffassungsweise in ausgiebigster Weise zur Unterstützung und Flanken¬
deckung.

Das ganze Werk zählt nahezu 1600 enggedruckte Seiten; es verschmäht
nirgendwo Details und Belege zu bringen. Planmäßig ist die Zeitgeschichte,
soweit es irgend möglich war, mit Kürze behandelt; dafür ist der Inhalt der
Luther'schen Schriften ausführlich dargelegt und die theologische Thätigkeit
des Reformators ins Einzelne hinein verfolgt. Grade diese detaillirte Methode
seines Vortrages hat Kostim in den Stand gesetzt, von sehr verschiedenen
Ausgangspunkten aus Luther zu discutiren. Ein Leser, der nicht auf Kostim's
prinzipiellem Boden steht, wird in der That oft überrascht sein durch einzelne
Ausführungen und Zugeständnisse: im Detail des Buches gelangen an man¬
chen Stellen recht verschiedene Urtheile über Luther zum Ausdrucke. Kostim
hat es über sich vermocht an manchen Stellen Anknüpfungspunkte zu geben
oder das Material zuzubereiten für ein Urtheil, das dem seinigen vielleicht
gradezu entgegenlaufen würde. Für seinen Vorsatz nichts zu verschweigen oder
zu verbergen, legt dies ein günstiges Zeugniß ab; es ist Ausfluß seiner ver¬
mittelnden und versöhnlichen Absicht.

-Wir sehen also in der Vollständigkeit des Details und in der rückhalts¬
loser Mittheilung ganz verschieden gearteter Auffassungsweisen dieses Details
empfehlenswerthe Seiten des Buches. Und wie es von dem Autor, der 18K3
uns schon eine sehr gute übersichtliche Darstellung der "Theologie Luther's"
geliefert, ohne Zweifel erwartet werden durfte, so beruht in den theologischen
Darlegungen grade eine Hauptstärke Kostim's. Wie viel wird hieraus der
Nichttheologe, und wohl auch der Theologe, für sein eigenes Verständniß
Luther's zu lernen im Stande sein! Aber eine kleine Anmerkung möchte ich--
wenn auch mit aller Bescheidenheit und mit voller Bereitschaft mich belehren
zu lassen - mir doch hier erlauben. Von den meines Erachtens die Sache
sehr scharf auffassenden und für ein tieferes Verständniß von Luther's theo¬
logischen Charakter sehr förderlichen Studien über Luther's Prädestina-
tionslehre, welche 1858 Lütkens in Dorpat veröffentlicht hat"), ist hier
kein Gebrauch gewacht, zum Nachtheil der Sache. Ferner hat mich Kostim's
ablehnende Haltung gegenüber der bekannten Nachricht (die auf Melanchthon
sich zurückführt) von LuthSr's Wunsch einer versöhnlicheren Stellung zu den
Schweizern nicht von meiner Ueberzeugung abzubringen vermocht, daß die
Regeln quellenkritischer Methode eine Verwerfung dieser Nachricht nicht zu-



") Ich vermisse nicht nur ein Citat dieser Arbeit; auch eine Benutzung derselben ist mir
nicht ersichtlich.

Richtung seines Autors aufgeprägt. Und die reiche Gelehrsamkeit, über die er
verfügt, dient dieser ausgleichenden, allen Extremen abholden und versöhnlichen
Auffassungsweise in ausgiebigster Weise zur Unterstützung und Flanken¬
deckung.

Das ganze Werk zählt nahezu 1600 enggedruckte Seiten; es verschmäht
nirgendwo Details und Belege zu bringen. Planmäßig ist die Zeitgeschichte,
soweit es irgend möglich war, mit Kürze behandelt; dafür ist der Inhalt der
Luther'schen Schriften ausführlich dargelegt und die theologische Thätigkeit
des Reformators ins Einzelne hinein verfolgt. Grade diese detaillirte Methode
seines Vortrages hat Kostim in den Stand gesetzt, von sehr verschiedenen
Ausgangspunkten aus Luther zu discutiren. Ein Leser, der nicht auf Kostim's
prinzipiellem Boden steht, wird in der That oft überrascht sein durch einzelne
Ausführungen und Zugeständnisse: im Detail des Buches gelangen an man¬
chen Stellen recht verschiedene Urtheile über Luther zum Ausdrucke. Kostim
hat es über sich vermocht an manchen Stellen Anknüpfungspunkte zu geben
oder das Material zuzubereiten für ein Urtheil, das dem seinigen vielleicht
gradezu entgegenlaufen würde. Für seinen Vorsatz nichts zu verschweigen oder
zu verbergen, legt dies ein günstiges Zeugniß ab; es ist Ausfluß seiner ver¬
mittelnden und versöhnlichen Absicht.

-Wir sehen also in der Vollständigkeit des Details und in der rückhalts¬
loser Mittheilung ganz verschieden gearteter Auffassungsweisen dieses Details
empfehlenswerthe Seiten des Buches. Und wie es von dem Autor, der 18K3
uns schon eine sehr gute übersichtliche Darstellung der „Theologie Luther's"
geliefert, ohne Zweifel erwartet werden durfte, so beruht in den theologischen
Darlegungen grade eine Hauptstärke Kostim's. Wie viel wird hieraus der
Nichttheologe, und wohl auch der Theologe, für sein eigenes Verständniß
Luther's zu lernen im Stande sein! Aber eine kleine Anmerkung möchte ich—
wenn auch mit aller Bescheidenheit und mit voller Bereitschaft mich belehren
zu lassen - mir doch hier erlauben. Von den meines Erachtens die Sache
sehr scharf auffassenden und für ein tieferes Verständniß von Luther's theo¬
logischen Charakter sehr förderlichen Studien über Luther's Prädestina-
tionslehre, welche 1858 Lütkens in Dorpat veröffentlicht hat"), ist hier
kein Gebrauch gewacht, zum Nachtheil der Sache. Ferner hat mich Kostim's
ablehnende Haltung gegenüber der bekannten Nachricht (die auf Melanchthon
sich zurückführt) von LuthSr's Wunsch einer versöhnlicheren Stellung zu den
Schweizern nicht von meiner Ueberzeugung abzubringen vermocht, daß die
Regeln quellenkritischer Methode eine Verwerfung dieser Nachricht nicht zu-



") Ich vermisse nicht nur ein Citat dieser Arbeit; auch eine Benutzung derselben ist mir
nicht ersichtlich.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/412>, abgerufen am 23.07.2024.