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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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schwer rächen, wenn der Historiker der Reformationszeit die Arbeiten der Theo¬
logen über dieses Gebiet, etwa weil ihm ihre theologischen Tendenzen nicht
gefallen, unbenutzt zur Seite lassen wollte!

Faktisch gilt auf diesem Gebiete als Regel eine gewisse Arbeitstheilung.
Die Theologen pflegen die theologischen und kirchlichen Partien vo ehmlich
zu behandeln, die Historiker die politischen, wirthschaftlichen, literarischen Fragen.
Eine wirklich umfassende und die Wirklichkeit des historischen Lebens vollstän¬
dig wiedergebende Reformationsgeschichte, eine Darstellung des Neformations-
zeitalters, die dem bisher noch unerreichten Muster und Vorbild Leopold
von Ranke's nachahmen wollte, sie würde eine selten anzutreffende Meister¬
schaft sowohl auf den theologischen als den anderen Gebieten erheischen: bei
einer wirklich wissenschaftlichen Reformationsgeschichte fallen die Schranken
zwischen Theologen und Historikern zu Boden, wird die übliche Arbeitstheilung
nicht aufrecht gehalten. So lange uns eine solche Arbeit nicht zu Theil ge¬
worden, werden wir eine jede wissenschaftlich historische Leistung, die vorbe¬
reitende Schritte thut, freudig willkommen heißen müssen.

Ueber die Leistungen und Arbeiten für die politische und allgemeine Seite
der Reformationsgeschichte soll hier in diesem Augenblick nicht geredet werden.
Es liegt uns vielmehr ob, eine ansehnliche und sehr empfehlenswerthe theo¬
logische Arbeit aus diesem Gebiete den Lesern dieser Zeitschrift bekannt zu
machen und zu empfehlen.

Man wird überhaupt sagen dürfen, daß sich neuerdings auch unsere theo¬
logischen Mitarbeiter auf dem Felde der Reformationsgeschichte bestrebt zeigen,
von den Arbeiten der Historiker zu lernen, sie zu benutzen und zu studiren.
Allgemein ist allerdings diese lobenswerthe Eigenschaft noch nicht geworden:
wie vor einigen Jahren Dorn er (Geschichte der protestantischen Theologie, 1867)
so hat neuerdings auch Kahnis (Die deutsche Reformation. I. 1872) gegen
die Einwirkung der neueren historischen Arbeiten seine Darstellung möglichst
abzusperren verstanden. Dagegen muß man den vor kurzem durch Gaß her¬
ausgegebenen Vorlesungen des verstorbenen Henke*) nachrühmen, daß sie
überall sich bemühen von den Arbeiten der Theologen und Nichttheologen
zu lernen, sorgfältig und maßvoll das von den verschiedensten Seiten Geleistete
abzuwägen und zu verwerthen. Und auch Pult, dessen Auffassung bekannt¬
lich eine gewisse Verwandtschaft mit Kahnis nicht verleugnen kann, hat ein
Recht auf eine Anerkennung und Beachtung durch jeden ernsthaften und vor-
urtheilsfreien Forscher sich erworben**); seine Studien haben in mancher De-




') Henke's Neuere Kirchengeschichte. I.Band: Geschichte der Reformation. Nachgelassene
Vorlesungen für den Druck bearbeitet und herausgegeben von W. Gaß. Halle 1874.
"') Pult. Einleitung in die Augustana, (2 Bände. 18N7. 1808.) Die Apologie der
Augustana, geschichtlich erklärt. 1873.

schwer rächen, wenn der Historiker der Reformationszeit die Arbeiten der Theo¬
logen über dieses Gebiet, etwa weil ihm ihre theologischen Tendenzen nicht
gefallen, unbenutzt zur Seite lassen wollte!

Faktisch gilt auf diesem Gebiete als Regel eine gewisse Arbeitstheilung.
Die Theologen pflegen die theologischen und kirchlichen Partien vo ehmlich
zu behandeln, die Historiker die politischen, wirthschaftlichen, literarischen Fragen.
Eine wirklich umfassende und die Wirklichkeit des historischen Lebens vollstän¬
dig wiedergebende Reformationsgeschichte, eine Darstellung des Neformations-
zeitalters, die dem bisher noch unerreichten Muster und Vorbild Leopold
von Ranke's nachahmen wollte, sie würde eine selten anzutreffende Meister¬
schaft sowohl auf den theologischen als den anderen Gebieten erheischen: bei
einer wirklich wissenschaftlichen Reformationsgeschichte fallen die Schranken
zwischen Theologen und Historikern zu Boden, wird die übliche Arbeitstheilung
nicht aufrecht gehalten. So lange uns eine solche Arbeit nicht zu Theil ge¬
worden, werden wir eine jede wissenschaftlich historische Leistung, die vorbe¬
reitende Schritte thut, freudig willkommen heißen müssen.

Ueber die Leistungen und Arbeiten für die politische und allgemeine Seite
der Reformationsgeschichte soll hier in diesem Augenblick nicht geredet werden.
Es liegt uns vielmehr ob, eine ansehnliche und sehr empfehlenswerthe theo¬
logische Arbeit aus diesem Gebiete den Lesern dieser Zeitschrift bekannt zu
machen und zu empfehlen.

Man wird überhaupt sagen dürfen, daß sich neuerdings auch unsere theo¬
logischen Mitarbeiter auf dem Felde der Reformationsgeschichte bestrebt zeigen,
von den Arbeiten der Historiker zu lernen, sie zu benutzen und zu studiren.
Allgemein ist allerdings diese lobenswerthe Eigenschaft noch nicht geworden:
wie vor einigen Jahren Dorn er (Geschichte der protestantischen Theologie, 1867)
so hat neuerdings auch Kahnis (Die deutsche Reformation. I. 1872) gegen
die Einwirkung der neueren historischen Arbeiten seine Darstellung möglichst
abzusperren verstanden. Dagegen muß man den vor kurzem durch Gaß her¬
ausgegebenen Vorlesungen des verstorbenen Henke*) nachrühmen, daß sie
überall sich bemühen von den Arbeiten der Theologen und Nichttheologen
zu lernen, sorgfältig und maßvoll das von den verschiedensten Seiten Geleistete
abzuwägen und zu verwerthen. Und auch Pult, dessen Auffassung bekannt¬
lich eine gewisse Verwandtschaft mit Kahnis nicht verleugnen kann, hat ein
Recht auf eine Anerkennung und Beachtung durch jeden ernsthaften und vor-
urtheilsfreien Forscher sich erworben**); seine Studien haben in mancher De-




') Henke's Neuere Kirchengeschichte. I.Band: Geschichte der Reformation. Nachgelassene
Vorlesungen für den Druck bearbeitet und herausgegeben von W. Gaß. Halle 1874.
"') Pult. Einleitung in die Augustana, (2 Bände. 18N7. 1808.) Die Apologie der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/410>, abgerufen am 25.08.2024.