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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Innere hinein anzulegen. Da kann man Deklamationen hören wie: "die
Pferdebahn störe und vermehre den sonstigen Straßenverkehr", während doch
gerade durch die bequemere und schnellere Beförderung, welche dieselbe den
Personen darbietet, die Zahl der schlechten Droschken und Omnibusse sich ver¬
mindern und der ganze Verkehr sich schneller also weniger störend abwickeln
wird; oder: "in Straßen mit Pferdeeisenbahnen nehme die Zahl der Fu߬
gänger ab und dadurch würden die Inhaber von großen Läden mit schönen
Schaufenstern in ihrem Gewerbebetrieb gestört, indem sich nun auch die Zahl
der Käufer vermindere."

Derartige Argumente, so lächerlich sie auch scheinen mögen, kann man
leider oft genug selbst von ernsthaften Männern hören. Sie gehören in die¬
selbe Categorie wie die Einwendungen gegen die Canalisation von Berlin, die
mehrere Jahre hindurch die Inangriffnahme dieser so überaus nothwendigen
Anlage verhindern konnten, weil sie einen so großen Theil der maßgebenden
Kreise befangen hielten. Wenn allerdings die städtischen Behörden denjenigen
Gesellschaften, die verkehrserleichternde Anlagen schaffen wollen, nicht allein
nicht zuvorkommend und entgegenkommend begegnen, sondern denselben sogar
noch alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg legen; wenn sie die Ausfüh¬
rung von schon längst nothwendigen Straßenverbreiterungen und dergleichen
mehr, die bisher nur zu Folge eines wenig erbaulichen Knickerthums unter¬
blieben sind -- wie z. B. die Verbreiterung der Potsdamerstraße in Berlin;
die Beseitigung der Apotheke auf dem Potsdamerplatz ebendaselbst, -- auch
noch diesen Privatgesellschaften aufbürden; wenn die Erbauung von Pferde¬
bahnen in Berlin in Straßen von der Breite der Leipzigerstraße, der Linden,
der Friedrichsstraße nicht genehmigt wird, während solche selbst in der Königs¬
straße und der Gertraudenstraße recht gut angelegt werden könnten -- dann
muß man sich nicht wundern, wenn dieselben Privatgesellschaften einzig und
allein nur ihre Dividende im Auge haben und wenn Zustände einreihen, die
sich wohl am passendsten und richtigsten mit dem Ausdruck "Berliner
Zustände" bezeichnen lassen.

Ich bin durchaus kein unbedingter Anhänger aller englischen Einrichtun¬
gen, aber überall da, wo es sich um Verkehrserleichterungen, vor allen Dingen
um möglichste Abkürzung von Weg und Zeit handelt, sind die Briten uns
Deutschen weit überlegen; sie haben nicht umsonst das Sprüchwort: "Zeit
ist Geld." Und nicht nur der Weg wird überall möglichst verkürzt, sondern
auch die Zeit unmittelbar durch möglichst rasche Aufeinanderfolge der Pferde¬
bahnwagen. Es trägt das sehr wesentlich mit dazu bei, daß alle diese Bahnen
unausgesetzt sehr stark besucht sind. Nichts ist lästiger, als wenn man an
den Haltestellen viertelstundenlang warten muß, ehe man sich des Wagens be¬
dienen kann; nichts hält das Publikum mehr von der Benutzung derartiger


Grenzboten I. 1875. ü

Innere hinein anzulegen. Da kann man Deklamationen hören wie: „die
Pferdebahn störe und vermehre den sonstigen Straßenverkehr", während doch
gerade durch die bequemere und schnellere Beförderung, welche dieselbe den
Personen darbietet, die Zahl der schlechten Droschken und Omnibusse sich ver¬
mindern und der ganze Verkehr sich schneller also weniger störend abwickeln
wird; oder: „in Straßen mit Pferdeeisenbahnen nehme die Zahl der Fu߬
gänger ab und dadurch würden die Inhaber von großen Läden mit schönen
Schaufenstern in ihrem Gewerbebetrieb gestört, indem sich nun auch die Zahl
der Käufer vermindere."

Derartige Argumente, so lächerlich sie auch scheinen mögen, kann man
leider oft genug selbst von ernsthaften Männern hören. Sie gehören in die¬
selbe Categorie wie die Einwendungen gegen die Canalisation von Berlin, die
mehrere Jahre hindurch die Inangriffnahme dieser so überaus nothwendigen
Anlage verhindern konnten, weil sie einen so großen Theil der maßgebenden
Kreise befangen hielten. Wenn allerdings die städtischen Behörden denjenigen
Gesellschaften, die verkehrserleichternde Anlagen schaffen wollen, nicht allein
nicht zuvorkommend und entgegenkommend begegnen, sondern denselben sogar
noch alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg legen; wenn sie die Ausfüh¬
rung von schon längst nothwendigen Straßenverbreiterungen und dergleichen
mehr, die bisher nur zu Folge eines wenig erbaulichen Knickerthums unter¬
blieben sind — wie z. B. die Verbreiterung der Potsdamerstraße in Berlin;
die Beseitigung der Apotheke auf dem Potsdamerplatz ebendaselbst, — auch
noch diesen Privatgesellschaften aufbürden; wenn die Erbauung von Pferde¬
bahnen in Berlin in Straßen von der Breite der Leipzigerstraße, der Linden,
der Friedrichsstraße nicht genehmigt wird, während solche selbst in der Königs¬
straße und der Gertraudenstraße recht gut angelegt werden könnten — dann
muß man sich nicht wundern, wenn dieselben Privatgesellschaften einzig und
allein nur ihre Dividende im Auge haben und wenn Zustände einreihen, die
sich wohl am passendsten und richtigsten mit dem Ausdruck „Berliner
Zustände" bezeichnen lassen.

Ich bin durchaus kein unbedingter Anhänger aller englischen Einrichtun¬
gen, aber überall da, wo es sich um Verkehrserleichterungen, vor allen Dingen
um möglichste Abkürzung von Weg und Zeit handelt, sind die Briten uns
Deutschen weit überlegen; sie haben nicht umsonst das Sprüchwort: „Zeit
ist Geld." Und nicht nur der Weg wird überall möglichst verkürzt, sondern
auch die Zeit unmittelbar durch möglichst rasche Aufeinanderfolge der Pferde¬
bahnwagen. Es trägt das sehr wesentlich mit dazu bei, daß alle diese Bahnen
unausgesetzt sehr stark besucht sind. Nichts ist lästiger, als wenn man an
den Haltestellen viertelstundenlang warten muß, ehe man sich des Wagens be¬
dienen kann; nichts hält das Publikum mehr von der Benutzung derartiger


Grenzboten I. 1875. ü
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[0041] Innere hinein anzulegen. Da kann man Deklamationen hören wie: „die Pferdebahn störe und vermehre den sonstigen Straßenverkehr", während doch gerade durch die bequemere und schnellere Beförderung, welche dieselbe den Personen darbietet, die Zahl der schlechten Droschken und Omnibusse sich ver¬ mindern und der ganze Verkehr sich schneller also weniger störend abwickeln wird; oder: „in Straßen mit Pferdeeisenbahnen nehme die Zahl der Fu߬ gänger ab und dadurch würden die Inhaber von großen Läden mit schönen Schaufenstern in ihrem Gewerbebetrieb gestört, indem sich nun auch die Zahl der Käufer vermindere." Derartige Argumente, so lächerlich sie auch scheinen mögen, kann man leider oft genug selbst von ernsthaften Männern hören. Sie gehören in die¬ selbe Categorie wie die Einwendungen gegen die Canalisation von Berlin, die mehrere Jahre hindurch die Inangriffnahme dieser so überaus nothwendigen Anlage verhindern konnten, weil sie einen so großen Theil der maßgebenden Kreise befangen hielten. Wenn allerdings die städtischen Behörden denjenigen Gesellschaften, die verkehrserleichternde Anlagen schaffen wollen, nicht allein nicht zuvorkommend und entgegenkommend begegnen, sondern denselben sogar noch alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg legen; wenn sie die Ausfüh¬ rung von schon längst nothwendigen Straßenverbreiterungen und dergleichen mehr, die bisher nur zu Folge eines wenig erbaulichen Knickerthums unter¬ blieben sind — wie z. B. die Verbreiterung der Potsdamerstraße in Berlin; die Beseitigung der Apotheke auf dem Potsdamerplatz ebendaselbst, — auch noch diesen Privatgesellschaften aufbürden; wenn die Erbauung von Pferde¬ bahnen in Berlin in Straßen von der Breite der Leipzigerstraße, der Linden, der Friedrichsstraße nicht genehmigt wird, während solche selbst in der Königs¬ straße und der Gertraudenstraße recht gut angelegt werden könnten — dann muß man sich nicht wundern, wenn dieselben Privatgesellschaften einzig und allein nur ihre Dividende im Auge haben und wenn Zustände einreihen, die sich wohl am passendsten und richtigsten mit dem Ausdruck „Berliner Zustände" bezeichnen lassen. Ich bin durchaus kein unbedingter Anhänger aller englischen Einrichtun¬ gen, aber überall da, wo es sich um Verkehrserleichterungen, vor allen Dingen um möglichste Abkürzung von Weg und Zeit handelt, sind die Briten uns Deutschen weit überlegen; sie haben nicht umsonst das Sprüchwort: „Zeit ist Geld." Und nicht nur der Weg wird überall möglichst verkürzt, sondern auch die Zeit unmittelbar durch möglichst rasche Aufeinanderfolge der Pferde¬ bahnwagen. Es trägt das sehr wesentlich mit dazu bei, daß alle diese Bahnen unausgesetzt sehr stark besucht sind. Nichts ist lästiger, als wenn man an den Haltestellen viertelstundenlang warten muß, ehe man sich des Wagens be¬ dienen kann; nichts hält das Publikum mehr von der Benutzung derartiger Grenzboten I. 1875. ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/41>, abgerufen am 23.07.2024.