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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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gegen den Papst getroffen und zielte damit auf den Kanzler, ja höher
hinauf, nach dem Träger der deutschen Kaiserkrone selbst. Dem Verderben
geweiht ist Fürst und Volk, die dem Papstthum Widerstand leisten, war die
Moral seiner Fabel. Fürst Bismarck schlug die Anklage ab mit der für die
Söldner des Papstes geradezu vernichtenden Gegenbeschuldigung, daß der
gegenwärtige Papst schon vor Jahren durch seine höchsten Würdenträger den
Ausspruch gethan habe: nur durch den Bund mit der Revolution hoffe die
ultramontane Kirchenrichtung sich noch dem Geist der modernen Zeit gegen¬
über halten zu können.

Lauter Protest natürlich aus dem Munde des Herrn August Reichens-
perger, ein Protest, in die schlaue Form gekleidet, daß niemand die Wahr¬
heitsliebe des Kanzlers bezweifle, Irren aber menschlich sei. Da stieg der vor¬
malige württembergische Minister v. Varnbüler -- ein Mann, den nach seinen
großdeutsch-antipreußischen Antecedentien niemand im Verdacht haben wird, zur
Zeit seiner Amtsverwaltung dem damaligen Grafen Bismarck irgendwelchen
vorbereiteten Liebesdienst erwiesen zu haben -- auf die Tribüne des Reichs¬
tags, und begann in seinem Pianissimo zu reden. Das ganze Haus strömte
zu seinen Füßen. Der Kanzler selbst stellte sich zu seiner Rechten neben die
Tribüne, die Hand am Ohr, um keines der leisen Worte zu verlieren. Unge¬
heure Bewegung erfaßte das Haus, als Varnbüler geendigt und wirklich be¬
stätigt hatte, daß ihm in amtlicher Stellung bereits vor fünf Jahren und
länger der päpstliche Legat Meglia verkündigt habe, die Hoffnung der päpst¬
lichen Politik ruhe allein noch auf der Revolution.

Mit Entrüstung wies die deutsche Jesuitenpresse diese neue Ehrenkränkung
der treuherzigen vatikanischen Staatskunst von sich und appellirte laut an das
klassische Zeugniß des noch lebenden päpstlichen Legaten Meglia selbst. Das
Schweigen des Letzteren wurde gut jesuitisch nicht etwa nach dem Rechtssatz
<M ta,cet eonsontirc! viäetur, sondern als schweigende Verachtung der Nie¬
dertracht der Verläumder ausgelegt. Bis zum geringsten Gesellen der katho¬
lischen Kasinos hinab zweifelte bis zum 3. Februar d. I. (und sogar etwas
länger) kein Mitglied der ultramontanen Partei, daß am 5. December v. I.
der unfehlbare Papst und seine Getreuen wieder einmal unsträflich ver¬
kannter worden seien im "Berliner Reichstag" (wie Herr Liebknecht zu sagen
beliebt).

Und gerade zwei Monare später, am 5. Februar 1873 erließ Seine Un¬
fehlbarkeit in Rom eine Bulle, in der die Revolution weit massiver gepredigt
und gefordert wird, als je zuvor von Herrn Meglia, Herrn v. Varnbüler oder
sonst wem gegenüber. Denn der Papst Pius IX. begnügte sich keineswegs
etwa, wie sein Legat, mit einem theoretischen und abstracten Ausspruch über


gegen den Papst getroffen und zielte damit auf den Kanzler, ja höher
hinauf, nach dem Träger der deutschen Kaiserkrone selbst. Dem Verderben
geweiht ist Fürst und Volk, die dem Papstthum Widerstand leisten, war die
Moral seiner Fabel. Fürst Bismarck schlug die Anklage ab mit der für die
Söldner des Papstes geradezu vernichtenden Gegenbeschuldigung, daß der
gegenwärtige Papst schon vor Jahren durch seine höchsten Würdenträger den
Ausspruch gethan habe: nur durch den Bund mit der Revolution hoffe die
ultramontane Kirchenrichtung sich noch dem Geist der modernen Zeit gegen¬
über halten zu können.

Lauter Protest natürlich aus dem Munde des Herrn August Reichens-
perger, ein Protest, in die schlaue Form gekleidet, daß niemand die Wahr¬
heitsliebe des Kanzlers bezweifle, Irren aber menschlich sei. Da stieg der vor¬
malige württembergische Minister v. Varnbüler — ein Mann, den nach seinen
großdeutsch-antipreußischen Antecedentien niemand im Verdacht haben wird, zur
Zeit seiner Amtsverwaltung dem damaligen Grafen Bismarck irgendwelchen
vorbereiteten Liebesdienst erwiesen zu haben — auf die Tribüne des Reichs¬
tags, und begann in seinem Pianissimo zu reden. Das ganze Haus strömte
zu seinen Füßen. Der Kanzler selbst stellte sich zu seiner Rechten neben die
Tribüne, die Hand am Ohr, um keines der leisen Worte zu verlieren. Unge¬
heure Bewegung erfaßte das Haus, als Varnbüler geendigt und wirklich be¬
stätigt hatte, daß ihm in amtlicher Stellung bereits vor fünf Jahren und
länger der päpstliche Legat Meglia verkündigt habe, die Hoffnung der päpst¬
lichen Politik ruhe allein noch auf der Revolution.

Mit Entrüstung wies die deutsche Jesuitenpresse diese neue Ehrenkränkung
der treuherzigen vatikanischen Staatskunst von sich und appellirte laut an das
klassische Zeugniß des noch lebenden päpstlichen Legaten Meglia selbst. Das
Schweigen des Letzteren wurde gut jesuitisch nicht etwa nach dem Rechtssatz
<M ta,cet eonsontirc! viäetur, sondern als schweigende Verachtung der Nie¬
dertracht der Verläumder ausgelegt. Bis zum geringsten Gesellen der katho¬
lischen Kasinos hinab zweifelte bis zum 3. Februar d. I. (und sogar etwas
länger) kein Mitglied der ultramontanen Partei, daß am 5. December v. I.
der unfehlbare Papst und seine Getreuen wieder einmal unsträflich ver¬
kannter worden seien im „Berliner Reichstag" (wie Herr Liebknecht zu sagen
beliebt).

Und gerade zwei Monare später, am 5. Februar 1873 erließ Seine Un¬
fehlbarkeit in Rom eine Bulle, in der die Revolution weit massiver gepredigt
und gefordert wird, als je zuvor von Herrn Meglia, Herrn v. Varnbüler oder
sonst wem gegenüber. Denn der Papst Pius IX. begnügte sich keineswegs
etwa, wie sein Legat, mit einem theoretischen und abstracten Ausspruch über


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[0406] gegen den Papst getroffen und zielte damit auf den Kanzler, ja höher hinauf, nach dem Träger der deutschen Kaiserkrone selbst. Dem Verderben geweiht ist Fürst und Volk, die dem Papstthum Widerstand leisten, war die Moral seiner Fabel. Fürst Bismarck schlug die Anklage ab mit der für die Söldner des Papstes geradezu vernichtenden Gegenbeschuldigung, daß der gegenwärtige Papst schon vor Jahren durch seine höchsten Würdenträger den Ausspruch gethan habe: nur durch den Bund mit der Revolution hoffe die ultramontane Kirchenrichtung sich noch dem Geist der modernen Zeit gegen¬ über halten zu können. Lauter Protest natürlich aus dem Munde des Herrn August Reichens- perger, ein Protest, in die schlaue Form gekleidet, daß niemand die Wahr¬ heitsliebe des Kanzlers bezweifle, Irren aber menschlich sei. Da stieg der vor¬ malige württembergische Minister v. Varnbüler — ein Mann, den nach seinen großdeutsch-antipreußischen Antecedentien niemand im Verdacht haben wird, zur Zeit seiner Amtsverwaltung dem damaligen Grafen Bismarck irgendwelchen vorbereiteten Liebesdienst erwiesen zu haben — auf die Tribüne des Reichs¬ tags, und begann in seinem Pianissimo zu reden. Das ganze Haus strömte zu seinen Füßen. Der Kanzler selbst stellte sich zu seiner Rechten neben die Tribüne, die Hand am Ohr, um keines der leisen Worte zu verlieren. Unge¬ heure Bewegung erfaßte das Haus, als Varnbüler geendigt und wirklich be¬ stätigt hatte, daß ihm in amtlicher Stellung bereits vor fünf Jahren und länger der päpstliche Legat Meglia verkündigt habe, die Hoffnung der päpst¬ lichen Politik ruhe allein noch auf der Revolution. Mit Entrüstung wies die deutsche Jesuitenpresse diese neue Ehrenkränkung der treuherzigen vatikanischen Staatskunst von sich und appellirte laut an das klassische Zeugniß des noch lebenden päpstlichen Legaten Meglia selbst. Das Schweigen des Letzteren wurde gut jesuitisch nicht etwa nach dem Rechtssatz <M ta,cet eonsontirc! viäetur, sondern als schweigende Verachtung der Nie¬ dertracht der Verläumder ausgelegt. Bis zum geringsten Gesellen der katho¬ lischen Kasinos hinab zweifelte bis zum 3. Februar d. I. (und sogar etwas länger) kein Mitglied der ultramontanen Partei, daß am 5. December v. I. der unfehlbare Papst und seine Getreuen wieder einmal unsträflich ver¬ kannter worden seien im „Berliner Reichstag" (wie Herr Liebknecht zu sagen beliebt). Und gerade zwei Monare später, am 5. Februar 1873 erließ Seine Un¬ fehlbarkeit in Rom eine Bulle, in der die Revolution weit massiver gepredigt und gefordert wird, als je zuvor von Herrn Meglia, Herrn v. Varnbüler oder sonst wem gegenüber. Denn der Papst Pius IX. begnügte sich keineswegs etwa, wie sein Legat, mit einem theoretischen und abstracten Ausspruch über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/406>, abgerufen am 23.07.2024.