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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Gleichwohl vermehrte sich die landwirthschaftliche Production in Folge
der rationellen Verbesserung des Betriebs in einer Weise, daß die Einfuhr
von Lebensmitteln aus dem Auslande nicht in demselben Maßstabe wie die
Bevölkerung sich vermehrte, denn während die Bevölkerung von 1811 an in
Großbritannien in S0 Jahren von 12 auf 24 Millionen stieg, wurde im
zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts nur der 33. Theil derselben mit frem¬
dem Weizen ernährt, im 3. und 4. Jahrzehnt nur der 29. Theil, im 5. Jahr¬
zehnt der 7. Theil und auch gegenwärtig wird nur höchstens der 3. Theil des
in Großbritannien verzehrten Getreides aus dem Auslande bezogen.

Bevor diese Erscheinung in größerem Maßstabe zu Tag getreten, war
jene Verschiebung der Bevölkerung aber auch bereits durch den Aufschwung
in der Industrie und dem Verkehr selbst hervorgerufen worden, indem länd¬
liche Arbeiter durch die höheren Löhne in den Fabriken und Bergwerken an¬
gelockt und der Landwirthschaft entfremdet wurden; andererseits aber die Land¬
wirthschaft genöthigt wurde, Ersatz mittelst verbesserter Maschinen zu suchen.
Am stärksten war diese Umwälzung in der landwirthschaftlichen Production
nach der Aushebung der Korngesetze im Jahr 1846. Die englischen Land¬
wirthe, welche von dieser Maßregel ihren Untergang geweissagt hatten, waren
genöthigt, um sich der Concurrenz der billiger producirenden Getreide-Erzeuger
zu erwehren, ihren Betrieb zu reformiren. Es wurde die Drainirung im
größeren Maßstabe durchgeführt und dadurch, wie durch die Herbeischaffung
neuer, mächtigerer Dungmittel der Ungunst des feuchten Klimas ein Damm
gezogen. Die massenhafte Einführung des Guanos, die größere Verwendung
des Knochenmehls, Gypses und Salzes, die Befolgung des Liebig'schen Ge¬
setzes mittelst chemischer Düngersorten, die Einführung der Dampfdreschma¬
schinen, der Mähmaschinen und des Dampfpfluges bahnten in einem großen
Theile von England die Hochcultur an, während andererseits die beispiellose
Veredlung der Hausthiere, namentlich der Pferde- und Rindviehzucht die be¬
treffenden Züchter durch die erzielten enormen Preise mehr und mehr von dem
Getreidebau emancipirten. Die Folge war, daß viele Großgrundbesitzer, na¬
mentlich in Irland einen großen Theil ihrer Ländereien in Weideplätze um¬
wandelten, wodurch wieder zahlreiche Arbeitskräfte entbehrlich wurden.

Diese, nun in ihren großen Umrissen hier geschilderte Bewegung ist mit
Keilschrift in den Tafeln der Bevölkerungszählungen eingegraben. Die Be¬
völkerungszahl ist es ja, in deren Abnahme und Zunahme sich am deutlichsten
das Schicksal der Nationen abspiegelt. Dies läßt sich am klarsten bei dem
Vergleich eines Jahres, in welchem Krieg, Theuerung, oder epidemische Krank¬
heiten herrschten, mit den anderen Jahren erkennen. Ein Riß geht da durch
die Bevölkerung gleich der Lücke, welche eine Lawine oder ein Orkan in einem
Bergwald gerissen. Jede der zehnjährigen Volkszählungen seit 1811 weist


Gleichwohl vermehrte sich die landwirthschaftliche Production in Folge
der rationellen Verbesserung des Betriebs in einer Weise, daß die Einfuhr
von Lebensmitteln aus dem Auslande nicht in demselben Maßstabe wie die
Bevölkerung sich vermehrte, denn während die Bevölkerung von 1811 an in
Großbritannien in S0 Jahren von 12 auf 24 Millionen stieg, wurde im
zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts nur der 33. Theil derselben mit frem¬
dem Weizen ernährt, im 3. und 4. Jahrzehnt nur der 29. Theil, im 5. Jahr¬
zehnt der 7. Theil und auch gegenwärtig wird nur höchstens der 3. Theil des
in Großbritannien verzehrten Getreides aus dem Auslande bezogen.

Bevor diese Erscheinung in größerem Maßstabe zu Tag getreten, war
jene Verschiebung der Bevölkerung aber auch bereits durch den Aufschwung
in der Industrie und dem Verkehr selbst hervorgerufen worden, indem länd¬
liche Arbeiter durch die höheren Löhne in den Fabriken und Bergwerken an¬
gelockt und der Landwirthschaft entfremdet wurden; andererseits aber die Land¬
wirthschaft genöthigt wurde, Ersatz mittelst verbesserter Maschinen zu suchen.
Am stärksten war diese Umwälzung in der landwirthschaftlichen Production
nach der Aushebung der Korngesetze im Jahr 1846. Die englischen Land¬
wirthe, welche von dieser Maßregel ihren Untergang geweissagt hatten, waren
genöthigt, um sich der Concurrenz der billiger producirenden Getreide-Erzeuger
zu erwehren, ihren Betrieb zu reformiren. Es wurde die Drainirung im
größeren Maßstabe durchgeführt und dadurch, wie durch die Herbeischaffung
neuer, mächtigerer Dungmittel der Ungunst des feuchten Klimas ein Damm
gezogen. Die massenhafte Einführung des Guanos, die größere Verwendung
des Knochenmehls, Gypses und Salzes, die Befolgung des Liebig'schen Ge¬
setzes mittelst chemischer Düngersorten, die Einführung der Dampfdreschma¬
schinen, der Mähmaschinen und des Dampfpfluges bahnten in einem großen
Theile von England die Hochcultur an, während andererseits die beispiellose
Veredlung der Hausthiere, namentlich der Pferde- und Rindviehzucht die be¬
treffenden Züchter durch die erzielten enormen Preise mehr und mehr von dem
Getreidebau emancipirten. Die Folge war, daß viele Großgrundbesitzer, na¬
mentlich in Irland einen großen Theil ihrer Ländereien in Weideplätze um¬
wandelten, wodurch wieder zahlreiche Arbeitskräfte entbehrlich wurden.

Diese, nun in ihren großen Umrissen hier geschilderte Bewegung ist mit
Keilschrift in den Tafeln der Bevölkerungszählungen eingegraben. Die Be¬
völkerungszahl ist es ja, in deren Abnahme und Zunahme sich am deutlichsten
das Schicksal der Nationen abspiegelt. Dies läßt sich am klarsten bei dem
Vergleich eines Jahres, in welchem Krieg, Theuerung, oder epidemische Krank¬
heiten herrschten, mit den anderen Jahren erkennen. Ein Riß geht da durch
die Bevölkerung gleich der Lücke, welche eine Lawine oder ein Orkan in einem
Bergwald gerissen. Jede der zehnjährigen Volkszählungen seit 1811 weist


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[0392] Gleichwohl vermehrte sich die landwirthschaftliche Production in Folge der rationellen Verbesserung des Betriebs in einer Weise, daß die Einfuhr von Lebensmitteln aus dem Auslande nicht in demselben Maßstabe wie die Bevölkerung sich vermehrte, denn während die Bevölkerung von 1811 an in Großbritannien in S0 Jahren von 12 auf 24 Millionen stieg, wurde im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts nur der 33. Theil derselben mit frem¬ dem Weizen ernährt, im 3. und 4. Jahrzehnt nur der 29. Theil, im 5. Jahr¬ zehnt der 7. Theil und auch gegenwärtig wird nur höchstens der 3. Theil des in Großbritannien verzehrten Getreides aus dem Auslande bezogen. Bevor diese Erscheinung in größerem Maßstabe zu Tag getreten, war jene Verschiebung der Bevölkerung aber auch bereits durch den Aufschwung in der Industrie und dem Verkehr selbst hervorgerufen worden, indem länd¬ liche Arbeiter durch die höheren Löhne in den Fabriken und Bergwerken an¬ gelockt und der Landwirthschaft entfremdet wurden; andererseits aber die Land¬ wirthschaft genöthigt wurde, Ersatz mittelst verbesserter Maschinen zu suchen. Am stärksten war diese Umwälzung in der landwirthschaftlichen Production nach der Aushebung der Korngesetze im Jahr 1846. Die englischen Land¬ wirthe, welche von dieser Maßregel ihren Untergang geweissagt hatten, waren genöthigt, um sich der Concurrenz der billiger producirenden Getreide-Erzeuger zu erwehren, ihren Betrieb zu reformiren. Es wurde die Drainirung im größeren Maßstabe durchgeführt und dadurch, wie durch die Herbeischaffung neuer, mächtigerer Dungmittel der Ungunst des feuchten Klimas ein Damm gezogen. Die massenhafte Einführung des Guanos, die größere Verwendung des Knochenmehls, Gypses und Salzes, die Befolgung des Liebig'schen Ge¬ setzes mittelst chemischer Düngersorten, die Einführung der Dampfdreschma¬ schinen, der Mähmaschinen und des Dampfpfluges bahnten in einem großen Theile von England die Hochcultur an, während andererseits die beispiellose Veredlung der Hausthiere, namentlich der Pferde- und Rindviehzucht die be¬ treffenden Züchter durch die erzielten enormen Preise mehr und mehr von dem Getreidebau emancipirten. Die Folge war, daß viele Großgrundbesitzer, na¬ mentlich in Irland einen großen Theil ihrer Ländereien in Weideplätze um¬ wandelten, wodurch wieder zahlreiche Arbeitskräfte entbehrlich wurden. Diese, nun in ihren großen Umrissen hier geschilderte Bewegung ist mit Keilschrift in den Tafeln der Bevölkerungszählungen eingegraben. Die Be¬ völkerungszahl ist es ja, in deren Abnahme und Zunahme sich am deutlichsten das Schicksal der Nationen abspiegelt. Dies läßt sich am klarsten bei dem Vergleich eines Jahres, in welchem Krieg, Theuerung, oder epidemische Krank¬ heiten herrschten, mit den anderen Jahren erkennen. Ein Riß geht da durch die Bevölkerung gleich der Lücke, welche eine Lawine oder ein Orkan in einem Bergwald gerissen. Jede der zehnjährigen Volkszählungen seit 1811 weist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/392>, abgerufen am 23.07.2024.