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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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den und steigernden Eingriffen des Papstthumes strebte man in den einzelnen
Ländern Europas nach einer Art von Selbständigkeit der kirchlichen Verhält¬
nisse, nach einem Zustande, bei dem die Landesregierung und die Landesgeist¬
lichen die Landeskirche regieren und zu dem Papstthums nur lose Beziehungen
unterhalten sollten. Ja es war damals nach der Mitte des 14. Jahrhunderts
nahe daran, daß die allgemeine Kirche sich in Landeskirchen überhaupt theilte
und auflöste.

Daß diese Eventualität nicht eingetreten ist, dies ist das Resultat der
cvnziliaren Bestrebungen, deren Erinnerung an die Namen der Conzile von
Pisa, Constanz und Basel geknüpft.

In dem absoluten und keiner Gewalt untergeordneten römischen Bisthum
war ein Schisma ausgebrochen: 1378 erschienen zwei Päpste auf der Bühne,
jeder mit dem Anspruch, der wahre Stellvertreter Gottes zu sein; es gab kein
Mittel auf hergebrachten Wege diesen Streit zu erledigen. Als Rettungs¬
mittel in dieser Noth rief man den Gedanken des Conziles wieder wach; und
man verband damit sehr bald die weitere Idee, daß dies Conzil die Verfassung
und Ordnung der Kirche revidiren und verbessern könne. Und das Schisma
wurde auch wirklich aus der Welt geschafft, dem Zerfall der allgemeinen Kirche
in selbständige Landeskirchen vorgebeugt: Reformen in den Beziehungen
zwischen dem Papstthum und den Landeskirchen wurden mehrfach erstrebt
versucht, angebahnt; aber eine durchgreifende Aenderung, geschah nicht; und
der ConfMt, in welchen das Basler Conzil mit dem Papstthum sich zu ver¬
wickeln unklug genug war, warf alle Ansätze einer Reform wieder um. Der
Anlauf, die Kirchenverfassung auf das Conzil, statt aus das Papstthum zu
begründen, hatte nicht zum Ziel geführt: das Papstthum behauptete siegreich
das Feld.

Es ist bezeichnend für jene Zeit wie für die Methode päpstlicher Welt¬
regierung, daß die Päpste selbst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ihre
Allmacht über die kirchlichen Organe dadurch wieder erlangt und von nun an
sich gesichert haben, daß sie mit den einzelnen Staatsregierungen über einen
gewissen Antheil derselben an der Leitung kirchlicher Angelegenheiten sich ab¬
färben: Compromisse wurden zwischen Päpsten und Fürsten geschlossen, nach
welchen diese beiden Mächte sich in die Kirchenregierung theilten; so in
Spanien, in England, in Frankreich, so aber auch in den meisten deutschen
Landesfürstenthümern. Man hat nun sehr oft jene durch die großen Conzile
des 13. Jahrhunderts erstrebte Reform der kirchlichen Zustände in Beziehung
gesetzt zu der deutschen Reformation des 16. Jahrhunderts, eine Verwandtschaft
der Tendenzen zwischen ihnen angenommen und die jüngere gleichsam als
Sprößling der älteren angesehen. Diese sehr verbreitete Ansicht halte ich
für falsch.


den und steigernden Eingriffen des Papstthumes strebte man in den einzelnen
Ländern Europas nach einer Art von Selbständigkeit der kirchlichen Verhält¬
nisse, nach einem Zustande, bei dem die Landesregierung und die Landesgeist¬
lichen die Landeskirche regieren und zu dem Papstthums nur lose Beziehungen
unterhalten sollten. Ja es war damals nach der Mitte des 14. Jahrhunderts
nahe daran, daß die allgemeine Kirche sich in Landeskirchen überhaupt theilte
und auflöste.

Daß diese Eventualität nicht eingetreten ist, dies ist das Resultat der
cvnziliaren Bestrebungen, deren Erinnerung an die Namen der Conzile von
Pisa, Constanz und Basel geknüpft.

In dem absoluten und keiner Gewalt untergeordneten römischen Bisthum
war ein Schisma ausgebrochen: 1378 erschienen zwei Päpste auf der Bühne,
jeder mit dem Anspruch, der wahre Stellvertreter Gottes zu sein; es gab kein
Mittel auf hergebrachten Wege diesen Streit zu erledigen. Als Rettungs¬
mittel in dieser Noth rief man den Gedanken des Conziles wieder wach; und
man verband damit sehr bald die weitere Idee, daß dies Conzil die Verfassung
und Ordnung der Kirche revidiren und verbessern könne. Und das Schisma
wurde auch wirklich aus der Welt geschafft, dem Zerfall der allgemeinen Kirche
in selbständige Landeskirchen vorgebeugt: Reformen in den Beziehungen
zwischen dem Papstthum und den Landeskirchen wurden mehrfach erstrebt
versucht, angebahnt; aber eine durchgreifende Aenderung, geschah nicht; und
der ConfMt, in welchen das Basler Conzil mit dem Papstthum sich zu ver¬
wickeln unklug genug war, warf alle Ansätze einer Reform wieder um. Der
Anlauf, die Kirchenverfassung auf das Conzil, statt aus das Papstthum zu
begründen, hatte nicht zum Ziel geführt: das Papstthum behauptete siegreich
das Feld.

Es ist bezeichnend für jene Zeit wie für die Methode päpstlicher Welt¬
regierung, daß die Päpste selbst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ihre
Allmacht über die kirchlichen Organe dadurch wieder erlangt und von nun an
sich gesichert haben, daß sie mit den einzelnen Staatsregierungen über einen
gewissen Antheil derselben an der Leitung kirchlicher Angelegenheiten sich ab¬
färben: Compromisse wurden zwischen Päpsten und Fürsten geschlossen, nach
welchen diese beiden Mächte sich in die Kirchenregierung theilten; so in
Spanien, in England, in Frankreich, so aber auch in den meisten deutschen
Landesfürstenthümern. Man hat nun sehr oft jene durch die großen Conzile
des 13. Jahrhunderts erstrebte Reform der kirchlichen Zustände in Beziehung
gesetzt zu der deutschen Reformation des 16. Jahrhunderts, eine Verwandtschaft
der Tendenzen zwischen ihnen angenommen und die jüngere gleichsam als
Sprößling der älteren angesehen. Diese sehr verbreitete Ansicht halte ich
für falsch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/333>, abgerufen am 23.07.2024.