Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schweren Aufgabe nicht gewachsen, die er schon mit 18 Jahren auf sich nehmen
mußte. Die ersten Jahre ging er in leidlichem Einvernehmen mit den Fürsten.
Aber gerade dem rücksichtslosesten unter diesen, dem Erzbischof Adolf von
Mainz gegenüber hatte ihm schon der Vater eine schiefe Stellung hinterlassen,
die er aus eigner Kraft nicht zu bessern wußte. Es war kein gutes Omen für
sein Ansehen, daß er den trotzigen Grafen, noch dazu unter vortheilhaften Be¬
dingungen, im Besitze des Erzbisthums ließ; er gewann keinen Anhänger an
ihm. Von dem Verhalten aber zu den vier rheinischen Kurfürsten hing seine
Stellung ab ; ihnen verdankte er seine Wahl, sie waren in der Frage der Städte-
bünde besonders interessirt; aber offen für sie und gegen die Städte Partei
zu nehmen, konnte er sich nicht entschließen, und aus dem Conflict der strei'
deuten Mächte für seine Königsgewalt Vortheil zu ziehen, verstand er nicht-
Wenn er z. B. 1384 die Heidelberger Stallung, einen Waffenstillstand zwischen
Fürsten und Städten auf 4 Jahre, verwickelt, so erscheint er dabei nicht als
Träger der Reichsgewalt, sondern wie ein von den Parteien angerufener guter
Freund. Das Schlimmere aber ist, daß ihn bald nach diesem Ereignis; seine
Familienpolitik so tief in die Verhältnisse des Ostens verstrickte, daß er den
deutschen Dingen völlig den Rücken kehrte und zwei volle Jahre nicht im
Reiche erschien, wo inzwischen die Gegensätze immer gespannter wurden und
das Gewitter in der Sempacher Schlacht sich zum ersten Male entlud. Als
er 1387 wieder ins Reich kam. ist bereits von seiner Absetzung die Rede, die
Gefahr treibt ihn zur Annäherung an die Städte.

Die Entscheidung der hier in ihrem Anfang und Wachsthum skizzirten
Dinge hat der Verfasser dem zweiten Bande vorbehalten. Der erste enthält
sonst noch höchst interessante Kapitel über den westfälischen Landfrieden und
die Verhältnisse im nordwestlichen Deutschland, die auch als völlig neu zu
bezeichnen sind, und eine sehr sorgfältige Darlegung des Antheils, den Wen¬
zel an der großen Politik nahm. Der englisch-französische Gegensatz, die
Thronfolge seines Bruders Sigismund in Ungarn, die Verwicklungen in Ita¬
lien, das in alle Verhältnisse eingreifende Schisma der Kirche sind große und
schwierige Fragen, in denen Wenzel überall mehr im Interesse seines Hauses
als des Reiches handelnd auftritt. Doch ihnen nachzugehen, gehört nicht zum
Zweck dieser Zeilen, so sehr auch das Verdienst des Verfassers gerade darum
anzuerkennen ist, weil diese Beziehungen hier zum ersten Male im großen,
fast ganz Europa umfassenden Zusammenhange dargestellt sind. Hier aber
handelte es sich nur darum auf die Erscheinungen und Vorgänge im Reiche
hinzuweisen, die das Charakteristische der Zeit ausmachen und das nationale
Interesse in erster Reihe in Anspruch nehmen. Bon ihrer Darstellung wird
doch, irren wir nicht, der Erfolg des Werkes abhängen, wenn es dem Ver¬
fasser gelingt, es in nicht allzu großen Pausen weiterzuführen; bis zur Voll-


schweren Aufgabe nicht gewachsen, die er schon mit 18 Jahren auf sich nehmen
mußte. Die ersten Jahre ging er in leidlichem Einvernehmen mit den Fürsten.
Aber gerade dem rücksichtslosesten unter diesen, dem Erzbischof Adolf von
Mainz gegenüber hatte ihm schon der Vater eine schiefe Stellung hinterlassen,
die er aus eigner Kraft nicht zu bessern wußte. Es war kein gutes Omen für
sein Ansehen, daß er den trotzigen Grafen, noch dazu unter vortheilhaften Be¬
dingungen, im Besitze des Erzbisthums ließ; er gewann keinen Anhänger an
ihm. Von dem Verhalten aber zu den vier rheinischen Kurfürsten hing seine
Stellung ab ; ihnen verdankte er seine Wahl, sie waren in der Frage der Städte-
bünde besonders interessirt; aber offen für sie und gegen die Städte Partei
zu nehmen, konnte er sich nicht entschließen, und aus dem Conflict der strei'
deuten Mächte für seine Königsgewalt Vortheil zu ziehen, verstand er nicht-
Wenn er z. B. 1384 die Heidelberger Stallung, einen Waffenstillstand zwischen
Fürsten und Städten auf 4 Jahre, verwickelt, so erscheint er dabei nicht als
Träger der Reichsgewalt, sondern wie ein von den Parteien angerufener guter
Freund. Das Schlimmere aber ist, daß ihn bald nach diesem Ereignis; seine
Familienpolitik so tief in die Verhältnisse des Ostens verstrickte, daß er den
deutschen Dingen völlig den Rücken kehrte und zwei volle Jahre nicht im
Reiche erschien, wo inzwischen die Gegensätze immer gespannter wurden und
das Gewitter in der Sempacher Schlacht sich zum ersten Male entlud. Als
er 1387 wieder ins Reich kam. ist bereits von seiner Absetzung die Rede, die
Gefahr treibt ihn zur Annäherung an die Städte.

Die Entscheidung der hier in ihrem Anfang und Wachsthum skizzirten
Dinge hat der Verfasser dem zweiten Bande vorbehalten. Der erste enthält
sonst noch höchst interessante Kapitel über den westfälischen Landfrieden und
die Verhältnisse im nordwestlichen Deutschland, die auch als völlig neu zu
bezeichnen sind, und eine sehr sorgfältige Darlegung des Antheils, den Wen¬
zel an der großen Politik nahm. Der englisch-französische Gegensatz, die
Thronfolge seines Bruders Sigismund in Ungarn, die Verwicklungen in Ita¬
lien, das in alle Verhältnisse eingreifende Schisma der Kirche sind große und
schwierige Fragen, in denen Wenzel überall mehr im Interesse seines Hauses
als des Reiches handelnd auftritt. Doch ihnen nachzugehen, gehört nicht zum
Zweck dieser Zeilen, so sehr auch das Verdienst des Verfassers gerade darum
anzuerkennen ist, weil diese Beziehungen hier zum ersten Male im großen,
fast ganz Europa umfassenden Zusammenhange dargestellt sind. Hier aber
handelte es sich nur darum auf die Erscheinungen und Vorgänge im Reiche
hinzuweisen, die das Charakteristische der Zeit ausmachen und das nationale
Interesse in erster Reihe in Anspruch nehmen. Bon ihrer Darstellung wird
doch, irren wir nicht, der Erfolg des Werkes abhängen, wenn es dem Ver¬
fasser gelingt, es in nicht allzu großen Pausen weiterzuführen; bis zur Voll-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133080"/>
          <p xml:id="ID_1128" prev="#ID_1127"> schweren Aufgabe nicht gewachsen, die er schon mit 18 Jahren auf sich nehmen<lb/>
mußte. Die ersten Jahre ging er in leidlichem Einvernehmen mit den Fürsten.<lb/>
Aber gerade dem rücksichtslosesten unter diesen, dem Erzbischof Adolf von<lb/>
Mainz gegenüber hatte ihm schon der Vater eine schiefe Stellung hinterlassen,<lb/>
die er aus eigner Kraft nicht zu bessern wußte. Es war kein gutes Omen für<lb/>
sein Ansehen, daß er den trotzigen Grafen, noch dazu unter vortheilhaften Be¬<lb/>
dingungen, im Besitze des Erzbisthums ließ; er gewann keinen Anhänger an<lb/>
ihm. Von dem Verhalten aber zu den vier rheinischen Kurfürsten hing seine<lb/>
Stellung ab ; ihnen verdankte er seine Wahl, sie waren in der Frage der Städte-<lb/>
bünde besonders interessirt; aber offen für sie und gegen die Städte Partei<lb/>
zu nehmen, konnte er sich nicht entschließen, und aus dem Conflict der strei'<lb/>
deuten Mächte für seine Königsgewalt Vortheil zu ziehen, verstand er nicht-<lb/>
Wenn er z. B. 1384 die Heidelberger Stallung, einen Waffenstillstand zwischen<lb/>
Fürsten und Städten auf 4 Jahre, verwickelt, so erscheint er dabei nicht als<lb/>
Träger der Reichsgewalt, sondern wie ein von den Parteien angerufener guter<lb/>
Freund. Das Schlimmere aber ist, daß ihn bald nach diesem Ereignis; seine<lb/>
Familienpolitik so tief in die Verhältnisse des Ostens verstrickte, daß er den<lb/>
deutschen Dingen völlig den Rücken kehrte und zwei volle Jahre nicht im<lb/>
Reiche erschien, wo inzwischen die Gegensätze immer gespannter wurden und<lb/>
das Gewitter in der Sempacher Schlacht sich zum ersten Male entlud. Als<lb/>
er 1387 wieder ins Reich kam. ist bereits von seiner Absetzung die Rede, die<lb/>
Gefahr treibt ihn zur Annäherung an die Städte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1129" next="#ID_1130"> Die Entscheidung der hier in ihrem Anfang und Wachsthum skizzirten<lb/>
Dinge hat der Verfasser dem zweiten Bande vorbehalten. Der erste enthält<lb/>
sonst noch höchst interessante Kapitel über den westfälischen Landfrieden und<lb/>
die Verhältnisse im nordwestlichen Deutschland, die auch als völlig neu zu<lb/>
bezeichnen sind, und eine sehr sorgfältige Darlegung des Antheils, den Wen¬<lb/>
zel an der großen Politik nahm. Der englisch-französische Gegensatz, die<lb/>
Thronfolge seines Bruders Sigismund in Ungarn, die Verwicklungen in Ita¬<lb/>
lien, das in alle Verhältnisse eingreifende Schisma der Kirche sind große und<lb/>
schwierige Fragen, in denen Wenzel überall mehr im Interesse seines Hauses<lb/>
als des Reiches handelnd auftritt. Doch ihnen nachzugehen, gehört nicht zum<lb/>
Zweck dieser Zeilen, so sehr auch das Verdienst des Verfassers gerade darum<lb/>
anzuerkennen ist, weil diese Beziehungen hier zum ersten Male im großen,<lb/>
fast ganz Europa umfassenden Zusammenhange dargestellt sind. Hier aber<lb/>
handelte es sich nur darum auf die Erscheinungen und Vorgänge im Reiche<lb/>
hinzuweisen, die das Charakteristische der Zeit ausmachen und das nationale<lb/>
Interesse in erster Reihe in Anspruch nehmen. Bon ihrer Darstellung wird<lb/>
doch, irren wir nicht, der Erfolg des Werkes abhängen, wenn es dem Ver¬<lb/>
fasser gelingt, es in nicht allzu großen Pausen weiterzuführen; bis zur Voll-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] schweren Aufgabe nicht gewachsen, die er schon mit 18 Jahren auf sich nehmen mußte. Die ersten Jahre ging er in leidlichem Einvernehmen mit den Fürsten. Aber gerade dem rücksichtslosesten unter diesen, dem Erzbischof Adolf von Mainz gegenüber hatte ihm schon der Vater eine schiefe Stellung hinterlassen, die er aus eigner Kraft nicht zu bessern wußte. Es war kein gutes Omen für sein Ansehen, daß er den trotzigen Grafen, noch dazu unter vortheilhaften Be¬ dingungen, im Besitze des Erzbisthums ließ; er gewann keinen Anhänger an ihm. Von dem Verhalten aber zu den vier rheinischen Kurfürsten hing seine Stellung ab ; ihnen verdankte er seine Wahl, sie waren in der Frage der Städte- bünde besonders interessirt; aber offen für sie und gegen die Städte Partei zu nehmen, konnte er sich nicht entschließen, und aus dem Conflict der strei' deuten Mächte für seine Königsgewalt Vortheil zu ziehen, verstand er nicht- Wenn er z. B. 1384 die Heidelberger Stallung, einen Waffenstillstand zwischen Fürsten und Städten auf 4 Jahre, verwickelt, so erscheint er dabei nicht als Träger der Reichsgewalt, sondern wie ein von den Parteien angerufener guter Freund. Das Schlimmere aber ist, daß ihn bald nach diesem Ereignis; seine Familienpolitik so tief in die Verhältnisse des Ostens verstrickte, daß er den deutschen Dingen völlig den Rücken kehrte und zwei volle Jahre nicht im Reiche erschien, wo inzwischen die Gegensätze immer gespannter wurden und das Gewitter in der Sempacher Schlacht sich zum ersten Male entlud. Als er 1387 wieder ins Reich kam. ist bereits von seiner Absetzung die Rede, die Gefahr treibt ihn zur Annäherung an die Städte. Die Entscheidung der hier in ihrem Anfang und Wachsthum skizzirten Dinge hat der Verfasser dem zweiten Bande vorbehalten. Der erste enthält sonst noch höchst interessante Kapitel über den westfälischen Landfrieden und die Verhältnisse im nordwestlichen Deutschland, die auch als völlig neu zu bezeichnen sind, und eine sehr sorgfältige Darlegung des Antheils, den Wen¬ zel an der großen Politik nahm. Der englisch-französische Gegensatz, die Thronfolge seines Bruders Sigismund in Ungarn, die Verwicklungen in Ita¬ lien, das in alle Verhältnisse eingreifende Schisma der Kirche sind große und schwierige Fragen, in denen Wenzel überall mehr im Interesse seines Hauses als des Reiches handelnd auftritt. Doch ihnen nachzugehen, gehört nicht zum Zweck dieser Zeilen, so sehr auch das Verdienst des Verfassers gerade darum anzuerkennen ist, weil diese Beziehungen hier zum ersten Male im großen, fast ganz Europa umfassenden Zusammenhange dargestellt sind. Hier aber handelte es sich nur darum auf die Erscheinungen und Vorgänge im Reiche hinzuweisen, die das Charakteristische der Zeit ausmachen und das nationale Interesse in erster Reihe in Anspruch nehmen. Bon ihrer Darstellung wird doch, irren wir nicht, der Erfolg des Werkes abhängen, wenn es dem Ver¬ fasser gelingt, es in nicht allzu großen Pausen weiterzuführen; bis zur Voll-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/320>, abgerufen am 23.07.2024.