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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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im Hosgau lagen. Unter Widerspruch eines einzigen Lieutenants hatte das
Offiziercorps der Besatzung capitulirt, die Bedingungen aber, welche an die
Uebergabe geknüpft waren, blieben durch einen Handstreich der Franzosen ver¬
eitelt. Fast ein halbes Jahr dauerte die Schleifung und Sprengung der
Festungswerke, nicht nur in die Bauten, sondern in den Felsen selber wurden
Minen gelegt, aber es waren doch nur Splitter, die man dem trotzigen Sitze
der schönen Hadwig abgewann. Fünfhundert Bewohner der benachbarten
Dörfer waren dabei zum Frohndienst aufgeboten-

Das ist die letzte schwere Erinnerung, die den Hohentwiel umgiebt, aber
es soll nicht der letzte Eindruck sein, mit dem wir scheiden. Sie konnten das
Mauerwerk zu Boden reißen und die würdigen Bilder in den steinernen Hallen,
aber ein Bild war unantastbar und unvergänglich, es war den Händen der
Zerstörer ebenso wenig erreichbar, als es die entzückte Schilderung erreicht.
Blickt hinaus in die goldene Weite und in die blaue Tiefe, dann liegt es
vor Euch im hellen Morgenduft, dies herrliche Bild -- eine Bergeskette, die
vom Montblanc bis an den Ortler reicht, ein Land, das die Fülle seines
Segens kaum tragen kann. Die Perle aber, das funkelnde Juwel, das uns
aus dieser offenen Schatzkammer der Natur entgegenblinkt, das ist der blaue
leuchtende See, über dessen lange Fläche unser Auge schweift.

In uralter Zeit, weiter zurück als das Dasein und der Gedanke der
Menschen reicht, war auch der Hosgau ein Bestandtheil dieser Fluth, man
gräbt noch jetzt aus dem kiesigen Boden zuweilen Zähne aus, die fast einen
Zoll in der Länge haben und von riesigen Fischen stammen, wie M das
riesige Wasser gebar. Dann aber trat die Fluth langsam zurück, Zoll um
Zoll mit der Erde ringend, bis sie ihre Grenzen in dem tiefen Becken fand,
das heute lachend vor uns liegt, als friedliches Denkmal sturmvoller Gestal¬
tung. Welch ungeheurer Horizont, welche Wärme in diesen Farben, welcher
Vollklang in diesen Tönen, wenn alle Glocken zu Abend läuten!

Nun neigt sich der flammende Ball zum Untergang, wie der Widerschein
eines riesigen Feuers schimmert es über die Fluth, dann zieht das graue Ge¬
wölk seinen Schleier über den Rand der glühenden Scheibe, immermehr, immer¬
mehr von ihr verhüllend. Das Gold wird zum Purpur und der Purpur
wird violett, nun ist der letzte schmale Sonnenstreif hinabgesunken und mit
herber Frische kommt der Abendwind. Wie mag das mächtige Segel fliegen,
das wir in weiter Ferne auf der Fluth gewahren, aber bald ist auch das
Segel verschwunden in dem ungeheuren Weben der Dämmerung.

Das Schiff mit seinen Mannen gehört dem Abte der Reichenau, auf
dem Hohentwiel aber steht Hadwig in des Fensters Wölbung und lernt,
was ihr vorgeschrieben ist, leise und laut; bis zu Ekkehard's Saal klingt
ihr einförmig Hersagen- "amo -- amas -- uiNÄt." -----




im Hosgau lagen. Unter Widerspruch eines einzigen Lieutenants hatte das
Offiziercorps der Besatzung capitulirt, die Bedingungen aber, welche an die
Uebergabe geknüpft waren, blieben durch einen Handstreich der Franzosen ver¬
eitelt. Fast ein halbes Jahr dauerte die Schleifung und Sprengung der
Festungswerke, nicht nur in die Bauten, sondern in den Felsen selber wurden
Minen gelegt, aber es waren doch nur Splitter, die man dem trotzigen Sitze
der schönen Hadwig abgewann. Fünfhundert Bewohner der benachbarten
Dörfer waren dabei zum Frohndienst aufgeboten-

Das ist die letzte schwere Erinnerung, die den Hohentwiel umgiebt, aber
es soll nicht der letzte Eindruck sein, mit dem wir scheiden. Sie konnten das
Mauerwerk zu Boden reißen und die würdigen Bilder in den steinernen Hallen,
aber ein Bild war unantastbar und unvergänglich, es war den Händen der
Zerstörer ebenso wenig erreichbar, als es die entzückte Schilderung erreicht.
Blickt hinaus in die goldene Weite und in die blaue Tiefe, dann liegt es
vor Euch im hellen Morgenduft, dies herrliche Bild — eine Bergeskette, die
vom Montblanc bis an den Ortler reicht, ein Land, das die Fülle seines
Segens kaum tragen kann. Die Perle aber, das funkelnde Juwel, das uns
aus dieser offenen Schatzkammer der Natur entgegenblinkt, das ist der blaue
leuchtende See, über dessen lange Fläche unser Auge schweift.

In uralter Zeit, weiter zurück als das Dasein und der Gedanke der
Menschen reicht, war auch der Hosgau ein Bestandtheil dieser Fluth, man
gräbt noch jetzt aus dem kiesigen Boden zuweilen Zähne aus, die fast einen
Zoll in der Länge haben und von riesigen Fischen stammen, wie M das
riesige Wasser gebar. Dann aber trat die Fluth langsam zurück, Zoll um
Zoll mit der Erde ringend, bis sie ihre Grenzen in dem tiefen Becken fand,
das heute lachend vor uns liegt, als friedliches Denkmal sturmvoller Gestal¬
tung. Welch ungeheurer Horizont, welche Wärme in diesen Farben, welcher
Vollklang in diesen Tönen, wenn alle Glocken zu Abend läuten!

Nun neigt sich der flammende Ball zum Untergang, wie der Widerschein
eines riesigen Feuers schimmert es über die Fluth, dann zieht das graue Ge¬
wölk seinen Schleier über den Rand der glühenden Scheibe, immermehr, immer¬
mehr von ihr verhüllend. Das Gold wird zum Purpur und der Purpur
wird violett, nun ist der letzte schmale Sonnenstreif hinabgesunken und mit
herber Frische kommt der Abendwind. Wie mag das mächtige Segel fliegen,
das wir in weiter Ferne auf der Fluth gewahren, aber bald ist auch das
Segel verschwunden in dem ungeheuren Weben der Dämmerung.

Das Schiff mit seinen Mannen gehört dem Abte der Reichenau, auf
dem Hohentwiel aber steht Hadwig in des Fensters Wölbung und lernt,
was ihr vorgeschrieben ist, leise und laut; bis zu Ekkehard's Saal klingt
ihr einförmig Hersagen- „amo — amas — uiNÄt." —---




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[0314] im Hosgau lagen. Unter Widerspruch eines einzigen Lieutenants hatte das Offiziercorps der Besatzung capitulirt, die Bedingungen aber, welche an die Uebergabe geknüpft waren, blieben durch einen Handstreich der Franzosen ver¬ eitelt. Fast ein halbes Jahr dauerte die Schleifung und Sprengung der Festungswerke, nicht nur in die Bauten, sondern in den Felsen selber wurden Minen gelegt, aber es waren doch nur Splitter, die man dem trotzigen Sitze der schönen Hadwig abgewann. Fünfhundert Bewohner der benachbarten Dörfer waren dabei zum Frohndienst aufgeboten- Das ist die letzte schwere Erinnerung, die den Hohentwiel umgiebt, aber es soll nicht der letzte Eindruck sein, mit dem wir scheiden. Sie konnten das Mauerwerk zu Boden reißen und die würdigen Bilder in den steinernen Hallen, aber ein Bild war unantastbar und unvergänglich, es war den Händen der Zerstörer ebenso wenig erreichbar, als es die entzückte Schilderung erreicht. Blickt hinaus in die goldene Weite und in die blaue Tiefe, dann liegt es vor Euch im hellen Morgenduft, dies herrliche Bild — eine Bergeskette, die vom Montblanc bis an den Ortler reicht, ein Land, das die Fülle seines Segens kaum tragen kann. Die Perle aber, das funkelnde Juwel, das uns aus dieser offenen Schatzkammer der Natur entgegenblinkt, das ist der blaue leuchtende See, über dessen lange Fläche unser Auge schweift. In uralter Zeit, weiter zurück als das Dasein und der Gedanke der Menschen reicht, war auch der Hosgau ein Bestandtheil dieser Fluth, man gräbt noch jetzt aus dem kiesigen Boden zuweilen Zähne aus, die fast einen Zoll in der Länge haben und von riesigen Fischen stammen, wie M das riesige Wasser gebar. Dann aber trat die Fluth langsam zurück, Zoll um Zoll mit der Erde ringend, bis sie ihre Grenzen in dem tiefen Becken fand, das heute lachend vor uns liegt, als friedliches Denkmal sturmvoller Gestal¬ tung. Welch ungeheurer Horizont, welche Wärme in diesen Farben, welcher Vollklang in diesen Tönen, wenn alle Glocken zu Abend läuten! Nun neigt sich der flammende Ball zum Untergang, wie der Widerschein eines riesigen Feuers schimmert es über die Fluth, dann zieht das graue Ge¬ wölk seinen Schleier über den Rand der glühenden Scheibe, immermehr, immer¬ mehr von ihr verhüllend. Das Gold wird zum Purpur und der Purpur wird violett, nun ist der letzte schmale Sonnenstreif hinabgesunken und mit herber Frische kommt der Abendwind. Wie mag das mächtige Segel fliegen, das wir in weiter Ferne auf der Fluth gewahren, aber bald ist auch das Segel verschwunden in dem ungeheuren Weben der Dämmerung. Das Schiff mit seinen Mannen gehört dem Abte der Reichenau, auf dem Hohentwiel aber steht Hadwig in des Fensters Wölbung und lernt, was ihr vorgeschrieben ist, leise und laut; bis zu Ekkehard's Saal klingt ihr einförmig Hersagen- „amo — amas — uiNÄt." —---

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/314>, abgerufen am 23.07.2024.