Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

führten, hier hielt man den ruchlosen Papst Johann in Verwahr, als er sich
während eines Ningelstechens in Botenkleider warf und vom Concile floh.

Ja selbst die letzte Hand. die zur Wiederherstellung und zum Schmucke
des alten Schlosses thätig ward, war ohne Segen. es war die Hand des
dritten Bonaparte. Louis Napoleon, der den Bau in gothischem Style reno-
viren wollte. Wie bekannt wohnte er in dem nahen Arenenberg, das die
Königin Hortense von einer Patrizierfamilie erworben und durch reizende
Anlagen verschönert hatte; von hier aus ging er nach Paris als Präsident
der Republik, der bald genug der zweite Dezember folgte. Er hatte den
stillen beschaulichen Landsitz vertauscht mit den Tuilerien und fast zwei Jahr¬
zehnte lang folgte Europa bange seinen verschleierten Worten; er hatte die
Schlachten von Sebastopol und Magenta geplant; einsam und'vergessen lag
das kleine Arenenberg.

Nun ist es wieder bewohnt, der Park ist dem Fremden verschlossen, aber
drinnen auf den feinbekiesten schattigen Wegen, wo einst die Mutter des Prinzen
ging, wandelt jetzt eine schwarze Frau mit bekümmerten Mienen -- die Wittwe
des Kaisers. Arenenberg ist der Ausgangspunkt und der Schlußpunkt für diesen
cüreuws vitiosus, den die Weltgeschichte das zweite Kaiserreich benennt.

Immer schmaler wird nun der See. schon krümmt sich das enge Becken,
wie der Lauf eines Stromes, der den Hindernissen auszuweichen sucht, schon
tritt das Wasser des Rheines deutlich hervor aus dem Wasser des Sees.

Der Ort. wo die Lösung vollzogen ist, wo der große Strom wieder frei
und eigen herrscht, heißt Stein am Rhein, ein Städtlein, das sich merovin-
gischer Abkunft rühmt. Es hatte Mauer und Graben und war eifersüchtig
auf seine Freiheit bedacht, denn hoch zu ihren Häupten saßen die Herren von
Klingen und mancher streitbare Feind lag in der Nachbarschaft bereit. Hatte
sich doch der eigene Bürgermeister eines Tages mit den Burgherren des Hos¬
gau verschworen, ihnen die Stadt in die Hände zu spielen; ein nächtlicher
Ueberfall fand statt, aber die Bürger erwehrten sich mit ungeahnter Kraft
des Feindes und stürzten den Verräther in einem Sacke in den Rhein.

Ohne Zweifel zählt der Hosgau. den wir eben genannt, zu den wichtigsten
Strichen im ganzen Gebiete des Bodensees; sein Name aber, der schon zu
Zeiten Karl Martell's erscheint, will die zahlreichen Felsenkegel bedeuten die
wie erratische Blöcke Flur und Wald überragen. Welch' geheimnißvolle
Gewalt hat sie aus dem Schooß der Erde emporgeschleudert oder aus uner¬
meßlichen Höhen herabgewälzt. Feuer und Wasser sind hier thätig gewesen
und auf den trotzenden Kuppen bauten die Menschen ihr Haus und krönten
mit ihrer Kraft die Kraft der Elemente. Mehr als vierzig Burgen standen
ehedem im Hosgau und die ältesten Geschlechter des Reichs waren hier daheim,
das schönste Bild deutscher Vergangenheit, das je geschaffen ward, in dem sich


führten, hier hielt man den ruchlosen Papst Johann in Verwahr, als er sich
während eines Ningelstechens in Botenkleider warf und vom Concile floh.

Ja selbst die letzte Hand. die zur Wiederherstellung und zum Schmucke
des alten Schlosses thätig ward, war ohne Segen. es war die Hand des
dritten Bonaparte. Louis Napoleon, der den Bau in gothischem Style reno-
viren wollte. Wie bekannt wohnte er in dem nahen Arenenberg, das die
Königin Hortense von einer Patrizierfamilie erworben und durch reizende
Anlagen verschönert hatte; von hier aus ging er nach Paris als Präsident
der Republik, der bald genug der zweite Dezember folgte. Er hatte den
stillen beschaulichen Landsitz vertauscht mit den Tuilerien und fast zwei Jahr¬
zehnte lang folgte Europa bange seinen verschleierten Worten; er hatte die
Schlachten von Sebastopol und Magenta geplant; einsam und'vergessen lag
das kleine Arenenberg.

Nun ist es wieder bewohnt, der Park ist dem Fremden verschlossen, aber
drinnen auf den feinbekiesten schattigen Wegen, wo einst die Mutter des Prinzen
ging, wandelt jetzt eine schwarze Frau mit bekümmerten Mienen — die Wittwe
des Kaisers. Arenenberg ist der Ausgangspunkt und der Schlußpunkt für diesen
cüreuws vitiosus, den die Weltgeschichte das zweite Kaiserreich benennt.

Immer schmaler wird nun der See. schon krümmt sich das enge Becken,
wie der Lauf eines Stromes, der den Hindernissen auszuweichen sucht, schon
tritt das Wasser des Rheines deutlich hervor aus dem Wasser des Sees.

Der Ort. wo die Lösung vollzogen ist, wo der große Strom wieder frei
und eigen herrscht, heißt Stein am Rhein, ein Städtlein, das sich merovin-
gischer Abkunft rühmt. Es hatte Mauer und Graben und war eifersüchtig
auf seine Freiheit bedacht, denn hoch zu ihren Häupten saßen die Herren von
Klingen und mancher streitbare Feind lag in der Nachbarschaft bereit. Hatte
sich doch der eigene Bürgermeister eines Tages mit den Burgherren des Hos¬
gau verschworen, ihnen die Stadt in die Hände zu spielen; ein nächtlicher
Ueberfall fand statt, aber die Bürger erwehrten sich mit ungeahnter Kraft
des Feindes und stürzten den Verräther in einem Sacke in den Rhein.

Ohne Zweifel zählt der Hosgau. den wir eben genannt, zu den wichtigsten
Strichen im ganzen Gebiete des Bodensees; sein Name aber, der schon zu
Zeiten Karl Martell's erscheint, will die zahlreichen Felsenkegel bedeuten die
wie erratische Blöcke Flur und Wald überragen. Welch' geheimnißvolle
Gewalt hat sie aus dem Schooß der Erde emporgeschleudert oder aus uner¬
meßlichen Höhen herabgewälzt. Feuer und Wasser sind hier thätig gewesen
und auf den trotzenden Kuppen bauten die Menschen ihr Haus und krönten
mit ihrer Kraft die Kraft der Elemente. Mehr als vierzig Burgen standen
ehedem im Hosgau und die ältesten Geschlechter des Reichs waren hier daheim,
das schönste Bild deutscher Vergangenheit, das je geschaffen ward, in dem sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133072"/>
          <p xml:id="ID_1096" prev="#ID_1095"> führten, hier hielt man den ruchlosen Papst Johann in Verwahr, als er sich<lb/>
während eines Ningelstechens in Botenkleider warf und vom Concile floh.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1097"> Ja selbst die letzte Hand. die zur Wiederherstellung und zum Schmucke<lb/>
des alten Schlosses thätig ward, war ohne Segen. es war die Hand des<lb/>
dritten Bonaparte. Louis Napoleon, der den Bau in gothischem Style reno-<lb/>
viren wollte. Wie bekannt wohnte er in dem nahen Arenenberg, das die<lb/>
Königin Hortense von einer Patrizierfamilie erworben und durch reizende<lb/>
Anlagen verschönert hatte; von hier aus ging er nach Paris als Präsident<lb/>
der Republik, der bald genug der zweite Dezember folgte. Er hatte den<lb/>
stillen beschaulichen Landsitz vertauscht mit den Tuilerien und fast zwei Jahr¬<lb/>
zehnte lang folgte Europa bange seinen verschleierten Worten; er hatte die<lb/>
Schlachten von Sebastopol und Magenta geplant; einsam und'vergessen lag<lb/>
das kleine Arenenberg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1098"> Nun ist es wieder bewohnt, der Park ist dem Fremden verschlossen, aber<lb/>
drinnen auf den feinbekiesten schattigen Wegen, wo einst die Mutter des Prinzen<lb/>
ging, wandelt jetzt eine schwarze Frau mit bekümmerten Mienen &#x2014; die Wittwe<lb/>
des Kaisers. Arenenberg ist der Ausgangspunkt und der Schlußpunkt für diesen<lb/>
cüreuws vitiosus, den die Weltgeschichte das zweite Kaiserreich benennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1099"> Immer schmaler wird nun der See. schon krümmt sich das enge Becken,<lb/>
wie der Lauf eines Stromes, der den Hindernissen auszuweichen sucht, schon<lb/>
tritt das Wasser des Rheines deutlich hervor aus dem Wasser des Sees.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1100"> Der Ort. wo die Lösung vollzogen ist, wo der große Strom wieder frei<lb/>
und eigen herrscht, heißt Stein am Rhein, ein Städtlein, das sich merovin-<lb/>
gischer Abkunft rühmt. Es hatte Mauer und Graben und war eifersüchtig<lb/>
auf seine Freiheit bedacht, denn hoch zu ihren Häupten saßen die Herren von<lb/>
Klingen und mancher streitbare Feind lag in der Nachbarschaft bereit. Hatte<lb/>
sich doch der eigene Bürgermeister eines Tages mit den Burgherren des Hos¬<lb/>
gau verschworen, ihnen die Stadt in die Hände zu spielen; ein nächtlicher<lb/>
Ueberfall fand statt, aber die Bürger erwehrten sich mit ungeahnter Kraft<lb/>
des Feindes und stürzten den Verräther in einem Sacke in den Rhein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1101" next="#ID_1102"> Ohne Zweifel zählt der Hosgau. den wir eben genannt, zu den wichtigsten<lb/>
Strichen im ganzen Gebiete des Bodensees; sein Name aber, der schon zu<lb/>
Zeiten Karl Martell's erscheint, will die zahlreichen Felsenkegel bedeuten die<lb/>
wie erratische Blöcke Flur und Wald überragen. Welch' geheimnißvolle<lb/>
Gewalt hat sie aus dem Schooß der Erde emporgeschleudert oder aus uner¬<lb/>
meßlichen Höhen herabgewälzt. Feuer und Wasser sind hier thätig gewesen<lb/>
und auf den trotzenden Kuppen bauten die Menschen ihr Haus und krönten<lb/>
mit ihrer Kraft die Kraft der Elemente. Mehr als vierzig Burgen standen<lb/>
ehedem im Hosgau und die ältesten Geschlechter des Reichs waren hier daheim,<lb/>
das schönste Bild deutscher Vergangenheit, das je geschaffen ward, in dem sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] führten, hier hielt man den ruchlosen Papst Johann in Verwahr, als er sich während eines Ningelstechens in Botenkleider warf und vom Concile floh. Ja selbst die letzte Hand. die zur Wiederherstellung und zum Schmucke des alten Schlosses thätig ward, war ohne Segen. es war die Hand des dritten Bonaparte. Louis Napoleon, der den Bau in gothischem Style reno- viren wollte. Wie bekannt wohnte er in dem nahen Arenenberg, das die Königin Hortense von einer Patrizierfamilie erworben und durch reizende Anlagen verschönert hatte; von hier aus ging er nach Paris als Präsident der Republik, der bald genug der zweite Dezember folgte. Er hatte den stillen beschaulichen Landsitz vertauscht mit den Tuilerien und fast zwei Jahr¬ zehnte lang folgte Europa bange seinen verschleierten Worten; er hatte die Schlachten von Sebastopol und Magenta geplant; einsam und'vergessen lag das kleine Arenenberg. Nun ist es wieder bewohnt, der Park ist dem Fremden verschlossen, aber drinnen auf den feinbekiesten schattigen Wegen, wo einst die Mutter des Prinzen ging, wandelt jetzt eine schwarze Frau mit bekümmerten Mienen — die Wittwe des Kaisers. Arenenberg ist der Ausgangspunkt und der Schlußpunkt für diesen cüreuws vitiosus, den die Weltgeschichte das zweite Kaiserreich benennt. Immer schmaler wird nun der See. schon krümmt sich das enge Becken, wie der Lauf eines Stromes, der den Hindernissen auszuweichen sucht, schon tritt das Wasser des Rheines deutlich hervor aus dem Wasser des Sees. Der Ort. wo die Lösung vollzogen ist, wo der große Strom wieder frei und eigen herrscht, heißt Stein am Rhein, ein Städtlein, das sich merovin- gischer Abkunft rühmt. Es hatte Mauer und Graben und war eifersüchtig auf seine Freiheit bedacht, denn hoch zu ihren Häupten saßen die Herren von Klingen und mancher streitbare Feind lag in der Nachbarschaft bereit. Hatte sich doch der eigene Bürgermeister eines Tages mit den Burgherren des Hos¬ gau verschworen, ihnen die Stadt in die Hände zu spielen; ein nächtlicher Ueberfall fand statt, aber die Bürger erwehrten sich mit ungeahnter Kraft des Feindes und stürzten den Verräther in einem Sacke in den Rhein. Ohne Zweifel zählt der Hosgau. den wir eben genannt, zu den wichtigsten Strichen im ganzen Gebiete des Bodensees; sein Name aber, der schon zu Zeiten Karl Martell's erscheint, will die zahlreichen Felsenkegel bedeuten die wie erratische Blöcke Flur und Wald überragen. Welch' geheimnißvolle Gewalt hat sie aus dem Schooß der Erde emporgeschleudert oder aus uner¬ meßlichen Höhen herabgewälzt. Feuer und Wasser sind hier thätig gewesen und auf den trotzenden Kuppen bauten die Menschen ihr Haus und krönten mit ihrer Kraft die Kraft der Elemente. Mehr als vierzig Burgen standen ehedem im Hosgau und die ältesten Geschlechter des Reichs waren hier daheim, das schönste Bild deutscher Vergangenheit, das je geschaffen ward, in dem sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/312>, abgerufen am 23.07.2024.