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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sei und doch wer am meisten litt, das waren jene, die es redlich mit ihrem
Glauben meinten.

Um solchen Uebelstand zu bessern und die Kirche an Haupt und Gliedern
zu reformiren, ward das Concil zu Constanz berufen und so ward unsere
kleine Stadt vier Jahre lang der Mittelpunkt der europäischen Geschichte.

Mit reizender Lebendigkeit erzählt uns Ulrich von Reichenthal, ein Zeit¬
genosse jener Tage, den Aufzug der Fürsten und Prälaten, wie "allgemach
viele Herolden und Pfeifer kamen," und allerlei Knechte, um eine Herberge
auszurüsten. "Die bestellten Betten und Stroh, und schlugen ihrer Herren
Wappen an die Häuser und Thüren."

Schon um Mitte August kam der Cardinal von Ostia an, der als Erz-
kanzler der heiligen Kirche mit den Vorbereitungen betraut war; mehr als
80 Pferde standen in seinem Gefolge. In voller Rüstung, vom Kopfe bis
Fuß geharnischt, ritt der Erzbischof von Mainz herein; von Grafen und
Rittern umgeben, mit 21 gerüsteten Wagen und mehr als 500 Pferden der
Markgraf Friedrich von Meißen.

Immer mehr füllte sich die Stadt, verblüfft sahen die guten Bürger
drein, denn selbst aus dem Morgenland und aus dem fernsten Norden kamen
die Abgesandten, man wußte nicht, was aus all der Pracht noch werden sollte.

Erst im späten Herbst, als es in den Alpen schon zu schneien begann,
erschien auch der Papst (Johannes); der Schlitten, der ihn über den Arlberg
herüberbrachte, warf um und wäre fast im Schnee versunken, bevor er glücklich
nach Thurgau herunterkam. Dort empfing ihn mit allen Ehren der Herzog
Friedrich von Oesterreich, der ihn mit seinen Reisigen nach Constanz geleitete,
wo der feierliche Einzug statthaben sollte. Vor dem Thronhimmel, unter dem
er ritt, im weißen päpstlichen Ornate, schritt ein Pferd, das "eine Schelle
um den Hals" und das si. Sakrament auf dem Rücken trug; vier Raths¬
herren hielten den Baldachin und zu tausend und aber taufenden strömte das
jubelnde Volk herbei. Nur einer fehlte noch, das war der Kaiser Sigismund,
aber endlich am Weihnachtstage erschien auch er. an der Seite seiner Ge¬
mahlin und von zahllosem Gefolge umgeben. Immer mehr wuchs der Zuzug
der Fremden, die man nach einer mäßigen Schätzung auf 80,000 bezifferte;
zur Zeit des höchsten Andrangs sollen es 150,000 Menschen gewesen sein,
die über 30,000 Pferde verfügten. Alle Schaulust, alle Erwerbssucht Europas
strömte hier zusammen, Constanz war der Mittelpunkt des fürstlichen Hoch¬
lebens geworden, und mehr als tausend fahrende Frauen dienten zur Ergötzung
der würdigen Prälaten.

Wie aber stand es mit den großen Pflichten, zu deren Erfüllung die
Versammlung berufen war und mit den Reformen, deren die Christenheit so


sei und doch wer am meisten litt, das waren jene, die es redlich mit ihrem
Glauben meinten.

Um solchen Uebelstand zu bessern und die Kirche an Haupt und Gliedern
zu reformiren, ward das Concil zu Constanz berufen und so ward unsere
kleine Stadt vier Jahre lang der Mittelpunkt der europäischen Geschichte.

Mit reizender Lebendigkeit erzählt uns Ulrich von Reichenthal, ein Zeit¬
genosse jener Tage, den Aufzug der Fürsten und Prälaten, wie „allgemach
viele Herolden und Pfeifer kamen," und allerlei Knechte, um eine Herberge
auszurüsten. „Die bestellten Betten und Stroh, und schlugen ihrer Herren
Wappen an die Häuser und Thüren."

Schon um Mitte August kam der Cardinal von Ostia an, der als Erz-
kanzler der heiligen Kirche mit den Vorbereitungen betraut war; mehr als
80 Pferde standen in seinem Gefolge. In voller Rüstung, vom Kopfe bis
Fuß geharnischt, ritt der Erzbischof von Mainz herein; von Grafen und
Rittern umgeben, mit 21 gerüsteten Wagen und mehr als 500 Pferden der
Markgraf Friedrich von Meißen.

Immer mehr füllte sich die Stadt, verblüfft sahen die guten Bürger
drein, denn selbst aus dem Morgenland und aus dem fernsten Norden kamen
die Abgesandten, man wußte nicht, was aus all der Pracht noch werden sollte.

Erst im späten Herbst, als es in den Alpen schon zu schneien begann,
erschien auch der Papst (Johannes); der Schlitten, der ihn über den Arlberg
herüberbrachte, warf um und wäre fast im Schnee versunken, bevor er glücklich
nach Thurgau herunterkam. Dort empfing ihn mit allen Ehren der Herzog
Friedrich von Oesterreich, der ihn mit seinen Reisigen nach Constanz geleitete,
wo der feierliche Einzug statthaben sollte. Vor dem Thronhimmel, unter dem
er ritt, im weißen päpstlichen Ornate, schritt ein Pferd, das „eine Schelle
um den Hals" und das si. Sakrament auf dem Rücken trug; vier Raths¬
herren hielten den Baldachin und zu tausend und aber taufenden strömte das
jubelnde Volk herbei. Nur einer fehlte noch, das war der Kaiser Sigismund,
aber endlich am Weihnachtstage erschien auch er. an der Seite seiner Ge¬
mahlin und von zahllosem Gefolge umgeben. Immer mehr wuchs der Zuzug
der Fremden, die man nach einer mäßigen Schätzung auf 80,000 bezifferte;
zur Zeit des höchsten Andrangs sollen es 150,000 Menschen gewesen sein,
die über 30,000 Pferde verfügten. Alle Schaulust, alle Erwerbssucht Europas
strömte hier zusammen, Constanz war der Mittelpunkt des fürstlichen Hoch¬
lebens geworden, und mehr als tausend fahrende Frauen dienten zur Ergötzung
der würdigen Prälaten.

Wie aber stand es mit den großen Pflichten, zu deren Erfüllung die
Versammlung berufen war und mit den Reformen, deren die Christenheit so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/306>, abgerufen am 23.07.2024.