Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diamantenkreuz geboten hatte und daß es ihr beinahe gelungen war, die
Verlobte eines ihrer Galants vermittelst vergifteter Blumen aus dem Wege
zu räumen. Zwar lernte auch sie die inneren Räume der Bastille kennen,
behauptete aber dennoch, wahrscheinlich Dank den Reizen, die ihr die Natur ver¬
liehen hatte, ihren Platz in der besten Gesellschaft, unbekümmert um die Epi¬
gramme, mit denen de Coulanges sie verfolgte, oder die eleganten Sarcasmen
der Madame de Sevigne'. Uebrigens äußerte sich die allgemein herrschende
Furcht vor dem unheimlichen Gespenste in allerlei Vorsichtsmaßregeln, haupt¬
sächlich beim Essen und Trinken. Goldne, silberne und zinnerne Becher wurden
damals wegen der größern Sicherheit mehr und mehr durch gläserne ersetzt,
und Zeitgenossen erzählen, daß es Sitte wurde, zu Gastmählern und sonstigen
geselligen Vergnügungen das eigene Tafelgeschirr mitzubringen! Das Leinen¬
zeug wurde nur von Vertrauenspersonen besorgt, und zwar in Gegenwart
der Hausfrau, Briefe vor dem Eröffner ausgeräuchert, Kunstgärtner und
Blumenmädchen konnten ihre Waaren nicht mehr los werden, weil man sich
vor vergifteten Blumen fürchtete. Die unbehagliche Existenz, welche sich zwei
Jahrtausende früher der Syrakusaner mit seiner Zugbrücke vor dem Schlaf-
gemach, seinen glühenden Kohlen und ähnlichen Bollwerken seiner persönlichen
Sicherheit zu schaffen wußte, kann kaum dornenreicher gewesen sein, als die¬
jenige manches begüterten Zeitgenossen der zahlreichen großen Dichter, Künstler
und Gelehrten, und Staatsmänner, durch welche die französische Cultur die
herrschende in Europa ward, und zu einer Zeit, als die Außenwelt von den
Strahlen der Glückssonne des allerchristlichsten Königs geblendet wurde.

Inzwischen waren nun von 1670 bis 1680 außer den ungezählten
Massenopfern etliche so eclatante Einzelfälle vorgekommen, daß es unmöglich
war, den König ferner in Unwissenheit zu erhalten. Wurde doch der Ver¬
dacht unverhohlen ausgesprochen, daß die Prinzessin Henriette Colbert, und
Louvois vergiftet seien, ja der sanfte Racine, dem die bloße Ungnade seines
hohen Gönners das Herz brach, wurde eines Giftmordversuchs auf das Leben
der Fräulein du Para, Moliöre's gefeiertster Schauspielerin, beschuldigt. Es
kamen noch die in den^ Laboratorien der Goldmacher gemachten Entdeckungen
hinzu, und jetzt erst erging an alle höchsten Gerichtshöfe der Cabinetsbefehl
energisch einzuschreiten.

Ludwig wohnte wiederholt den Sitzungen des Ministerraths bei und ertheilte
de la Reynie den Befehl, rücksichtslos und ohne Ansehn der Person die, zur
Ausrottung des Uebels erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Die Bastille
füllte sich denn auch schon nach wenigen Wochen in so erschreckender Weise,
daß sich nicht bloß in Paris allein eine furchtbare Aufregung aller Gemüther
bemächtigte. Die königliche Untersuchungscommission der OK^mbre g.i-<1<znte
entfaltete eine unermüdliche Thätigkeit, und es gelang, eine erstaunliche Menge


Diamantenkreuz geboten hatte und daß es ihr beinahe gelungen war, die
Verlobte eines ihrer Galants vermittelst vergifteter Blumen aus dem Wege
zu räumen. Zwar lernte auch sie die inneren Räume der Bastille kennen,
behauptete aber dennoch, wahrscheinlich Dank den Reizen, die ihr die Natur ver¬
liehen hatte, ihren Platz in der besten Gesellschaft, unbekümmert um die Epi¬
gramme, mit denen de Coulanges sie verfolgte, oder die eleganten Sarcasmen
der Madame de Sevigne'. Uebrigens äußerte sich die allgemein herrschende
Furcht vor dem unheimlichen Gespenste in allerlei Vorsichtsmaßregeln, haupt¬
sächlich beim Essen und Trinken. Goldne, silberne und zinnerne Becher wurden
damals wegen der größern Sicherheit mehr und mehr durch gläserne ersetzt,
und Zeitgenossen erzählen, daß es Sitte wurde, zu Gastmählern und sonstigen
geselligen Vergnügungen das eigene Tafelgeschirr mitzubringen! Das Leinen¬
zeug wurde nur von Vertrauenspersonen besorgt, und zwar in Gegenwart
der Hausfrau, Briefe vor dem Eröffner ausgeräuchert, Kunstgärtner und
Blumenmädchen konnten ihre Waaren nicht mehr los werden, weil man sich
vor vergifteten Blumen fürchtete. Die unbehagliche Existenz, welche sich zwei
Jahrtausende früher der Syrakusaner mit seiner Zugbrücke vor dem Schlaf-
gemach, seinen glühenden Kohlen und ähnlichen Bollwerken seiner persönlichen
Sicherheit zu schaffen wußte, kann kaum dornenreicher gewesen sein, als die¬
jenige manches begüterten Zeitgenossen der zahlreichen großen Dichter, Künstler
und Gelehrten, und Staatsmänner, durch welche die französische Cultur die
herrschende in Europa ward, und zu einer Zeit, als die Außenwelt von den
Strahlen der Glückssonne des allerchristlichsten Königs geblendet wurde.

Inzwischen waren nun von 1670 bis 1680 außer den ungezählten
Massenopfern etliche so eclatante Einzelfälle vorgekommen, daß es unmöglich
war, den König ferner in Unwissenheit zu erhalten. Wurde doch der Ver¬
dacht unverhohlen ausgesprochen, daß die Prinzessin Henriette Colbert, und
Louvois vergiftet seien, ja der sanfte Racine, dem die bloße Ungnade seines
hohen Gönners das Herz brach, wurde eines Giftmordversuchs auf das Leben
der Fräulein du Para, Moliöre's gefeiertster Schauspielerin, beschuldigt. Es
kamen noch die in den^ Laboratorien der Goldmacher gemachten Entdeckungen
hinzu, und jetzt erst erging an alle höchsten Gerichtshöfe der Cabinetsbefehl
energisch einzuschreiten.

Ludwig wohnte wiederholt den Sitzungen des Ministerraths bei und ertheilte
de la Reynie den Befehl, rücksichtslos und ohne Ansehn der Person die, zur
Ausrottung des Uebels erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Die Bastille
füllte sich denn auch schon nach wenigen Wochen in so erschreckender Weise,
daß sich nicht bloß in Paris allein eine furchtbare Aufregung aller Gemüther
bemächtigte. Die königliche Untersuchungscommission der OK^mbre g.i-<1<znte
entfaltete eine unermüdliche Thätigkeit, und es gelang, eine erstaunliche Menge


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132900"/>
          <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> Diamantenkreuz geboten hatte und daß es ihr beinahe gelungen war, die<lb/>
Verlobte eines ihrer Galants vermittelst vergifteter Blumen aus dem Wege<lb/>
zu räumen. Zwar lernte auch sie die inneren Räume der Bastille kennen,<lb/>
behauptete aber dennoch, wahrscheinlich Dank den Reizen, die ihr die Natur ver¬<lb/>
liehen hatte, ihren Platz in der besten Gesellschaft, unbekümmert um die Epi¬<lb/>
gramme, mit denen de Coulanges sie verfolgte, oder die eleganten Sarcasmen<lb/>
der Madame de Sevigne'. Uebrigens äußerte sich die allgemein herrschende<lb/>
Furcht vor dem unheimlichen Gespenste in allerlei Vorsichtsmaßregeln, haupt¬<lb/>
sächlich beim Essen und Trinken. Goldne, silberne und zinnerne Becher wurden<lb/>
damals wegen der größern Sicherheit mehr und mehr durch gläserne ersetzt,<lb/>
und Zeitgenossen erzählen, daß es Sitte wurde, zu Gastmählern und sonstigen<lb/>
geselligen Vergnügungen das eigene Tafelgeschirr mitzubringen! Das Leinen¬<lb/>
zeug wurde nur von Vertrauenspersonen besorgt, und zwar in Gegenwart<lb/>
der Hausfrau, Briefe vor dem Eröffner ausgeräuchert, Kunstgärtner und<lb/>
Blumenmädchen konnten ihre Waaren nicht mehr los werden, weil man sich<lb/>
vor vergifteten Blumen fürchtete. Die unbehagliche Existenz, welche sich zwei<lb/>
Jahrtausende früher der Syrakusaner mit seiner Zugbrücke vor dem Schlaf-<lb/>
gemach, seinen glühenden Kohlen und ähnlichen Bollwerken seiner persönlichen<lb/>
Sicherheit zu schaffen wußte, kann kaum dornenreicher gewesen sein, als die¬<lb/>
jenige manches begüterten Zeitgenossen der zahlreichen großen Dichter, Künstler<lb/>
und Gelehrten, und Staatsmänner, durch welche die französische Cultur die<lb/>
herrschende in Europa ward, und zu einer Zeit, als die Außenwelt von den<lb/>
Strahlen der Glückssonne des allerchristlichsten Königs geblendet wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> Inzwischen waren nun von 1670 bis 1680 außer den ungezählten<lb/>
Massenopfern etliche so eclatante Einzelfälle vorgekommen, daß es unmöglich<lb/>
war, den König ferner in Unwissenheit zu erhalten. Wurde doch der Ver¬<lb/>
dacht unverhohlen ausgesprochen, daß die Prinzessin Henriette Colbert, und<lb/>
Louvois vergiftet seien, ja der sanfte Racine, dem die bloße Ungnade seines<lb/>
hohen Gönners das Herz brach, wurde eines Giftmordversuchs auf das Leben<lb/>
der Fräulein du Para, Moliöre's gefeiertster Schauspielerin, beschuldigt. Es<lb/>
kamen noch die in den^ Laboratorien der Goldmacher gemachten Entdeckungen<lb/>
hinzu, und jetzt erst erging an alle höchsten Gerichtshöfe der Cabinetsbefehl<lb/>
energisch einzuschreiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Ludwig wohnte wiederholt den Sitzungen des Ministerraths bei und ertheilte<lb/>
de la Reynie den Befehl, rücksichtslos und ohne Ansehn der Person die, zur<lb/>
Ausrottung des Uebels erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Die Bastille<lb/>
füllte sich denn auch schon nach wenigen Wochen in so erschreckender Weise,<lb/>
daß sich nicht bloß in Paris allein eine furchtbare Aufregung aller Gemüther<lb/>
bemächtigte. Die königliche Untersuchungscommission der OK^mbre g.i-&lt;1&lt;znte<lb/>
entfaltete eine unermüdliche Thätigkeit, und es gelang, eine erstaunliche Menge</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Diamantenkreuz geboten hatte und daß es ihr beinahe gelungen war, die Verlobte eines ihrer Galants vermittelst vergifteter Blumen aus dem Wege zu räumen. Zwar lernte auch sie die inneren Räume der Bastille kennen, behauptete aber dennoch, wahrscheinlich Dank den Reizen, die ihr die Natur ver¬ liehen hatte, ihren Platz in der besten Gesellschaft, unbekümmert um die Epi¬ gramme, mit denen de Coulanges sie verfolgte, oder die eleganten Sarcasmen der Madame de Sevigne'. Uebrigens äußerte sich die allgemein herrschende Furcht vor dem unheimlichen Gespenste in allerlei Vorsichtsmaßregeln, haupt¬ sächlich beim Essen und Trinken. Goldne, silberne und zinnerne Becher wurden damals wegen der größern Sicherheit mehr und mehr durch gläserne ersetzt, und Zeitgenossen erzählen, daß es Sitte wurde, zu Gastmählern und sonstigen geselligen Vergnügungen das eigene Tafelgeschirr mitzubringen! Das Leinen¬ zeug wurde nur von Vertrauenspersonen besorgt, und zwar in Gegenwart der Hausfrau, Briefe vor dem Eröffner ausgeräuchert, Kunstgärtner und Blumenmädchen konnten ihre Waaren nicht mehr los werden, weil man sich vor vergifteten Blumen fürchtete. Die unbehagliche Existenz, welche sich zwei Jahrtausende früher der Syrakusaner mit seiner Zugbrücke vor dem Schlaf- gemach, seinen glühenden Kohlen und ähnlichen Bollwerken seiner persönlichen Sicherheit zu schaffen wußte, kann kaum dornenreicher gewesen sein, als die¬ jenige manches begüterten Zeitgenossen der zahlreichen großen Dichter, Künstler und Gelehrten, und Staatsmänner, durch welche die französische Cultur die herrschende in Europa ward, und zu einer Zeit, als die Außenwelt von den Strahlen der Glückssonne des allerchristlichsten Königs geblendet wurde. Inzwischen waren nun von 1670 bis 1680 außer den ungezählten Massenopfern etliche so eclatante Einzelfälle vorgekommen, daß es unmöglich war, den König ferner in Unwissenheit zu erhalten. Wurde doch der Ver¬ dacht unverhohlen ausgesprochen, daß die Prinzessin Henriette Colbert, und Louvois vergiftet seien, ja der sanfte Racine, dem die bloße Ungnade seines hohen Gönners das Herz brach, wurde eines Giftmordversuchs auf das Leben der Fräulein du Para, Moliöre's gefeiertster Schauspielerin, beschuldigt. Es kamen noch die in den^ Laboratorien der Goldmacher gemachten Entdeckungen hinzu, und jetzt erst erging an alle höchsten Gerichtshöfe der Cabinetsbefehl energisch einzuschreiten. Ludwig wohnte wiederholt den Sitzungen des Ministerraths bei und ertheilte de la Reynie den Befehl, rücksichtslos und ohne Ansehn der Person die, zur Ausrottung des Uebels erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Die Bastille füllte sich denn auch schon nach wenigen Wochen in so erschreckender Weise, daß sich nicht bloß in Paris allein eine furchtbare Aufregung aller Gemüther bemächtigte. Die königliche Untersuchungscommission der OK^mbre g.i-<1<znte entfaltete eine unermüdliche Thätigkeit, und es gelang, eine erstaunliche Menge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/140>, abgerufen am 23.07.2024.