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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Einige der tollsten und grausamsten Leistungen des deutschen Kleincäsaren-
hochmuths sind nun von Karl Braun in den beiden Bänden "Mord¬
geschichten" zusammengestellt, die bei Carl Rümpler in Hannover soeben
erschienen sind. Darunter sind die lebensfähigsten Schilderungen, welche die
vier Bände "Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei" enthielten, und aus der
Sammlung "Während des Krieges" die düstere venetianische "Mordgeschichte"
Ziolck, und "Deutsche in Paris" hier herübergenommen. Ganz neu ist dagegen
in dieser Sammlung die werthvollste Studie beider Bände, die an den Schluß des
ersten Theiles gestellt ist: "Deutsche Studentenbilder und Mordgeschichten aus
dem tollen Jahr Neunzehn!" Diese ernste, und durchaus auf zeitgenössische
Quellen, mündliche Ueberlieferungen u. s. w. gestützte Arbeit bietet die interessan-
testen Aufschlüsse über die politische Stimmung der deutschen Jugend nach den
Freiheitskriegen, die erste deutsche Burschenschaft, das Wartburgsest und den
inneren causalen Zusammenhang des Treibens der drei Brüder Follen und
der "Schwarzen" in Gießen mit der unseligen Mordthat Ludwig Sand's
und dem Mordversuch des Apothekers Löning auf den nassauischen Staats¬
rath van Jbell u. s. w. -- Da selbstverständlich alle diese Mordgeschichten
keineswegs etwa im larmoyanten Ton sentimentaler Criminalgeschichren ge¬
schrieben sind, sondern wie alle Sachen Braun's dem Humor überall zu
seinem Rechte verhelfen, wo immer dessen Recht begründet ist -- und dieses
Gebiet ist bei Bildern aus der deutschen Kleinstaaterei um so weitläufiger, als
wir selbst für an sich und in ihrer Zeit tragische Ereignisse heute den Humor
besitzen, sie von der heitern Seite zu betrachten -- so waren wir wohl be¬
rechtigt, diese neueste Schöpfung der Braun'schen Feder, trotz ihres düsteren
Titels, sogar unter der Weihnachtsliteratur zu empfehlen.

Eine humorvolle, oftmals satirische, überall aber von hohem Fluge der
Gedanken und Poesie getragene dichterische Gabe zum Weihnachtsfeste ist
der "Till Eulenspiegel redivivus" von Julius Wolff (Meyer'sche
Hofbuchhandlung. Detmold). Hier ist der Reiz der deutschen Landschaft, vor
allem der Rheinlande, das deutsche Bürgerthum in allen Klassen und Ständen,
hier sind die höchsten Strebungen der Gegenwart auf allen Gebieten des
öffentlichen, socialen, wissenschaftlichen Lebens -- an dem Faden einer Reise
des Dichters mit Till Eulenspiegel durch Deutschland -- mit feinem Humor
und mit vollendeter poetischer Kraft geschildert. Sehr häufig erinnert die
Sprache und die Gedankenform und -Richtung an Goethe's Faust. Die
Ausstattung des Werkes ist geschmackvoll. -- Auf die neueste, sehr W
deutende Dichtung Friedrich's von Schack "Nächte des Orients"
(Stuttgart, I. G. Cotta). welche die meisterhafte Sprachgewandtheit des
Dichters und seine treue Sehnsucht zum Wunderlande des Ostens so rein und
schön ausprägt, gedenken wir bei Gelegenheit eines besonderen Essays über


Einige der tollsten und grausamsten Leistungen des deutschen Kleincäsaren-
hochmuths sind nun von Karl Braun in den beiden Bänden „Mord¬
geschichten" zusammengestellt, die bei Carl Rümpler in Hannover soeben
erschienen sind. Darunter sind die lebensfähigsten Schilderungen, welche die
vier Bände „Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei" enthielten, und aus der
Sammlung „Während des Krieges" die düstere venetianische „Mordgeschichte"
Ziolck, und „Deutsche in Paris" hier herübergenommen. Ganz neu ist dagegen
in dieser Sammlung die werthvollste Studie beider Bände, die an den Schluß des
ersten Theiles gestellt ist: „Deutsche Studentenbilder und Mordgeschichten aus
dem tollen Jahr Neunzehn!" Diese ernste, und durchaus auf zeitgenössische
Quellen, mündliche Ueberlieferungen u. s. w. gestützte Arbeit bietet die interessan-
testen Aufschlüsse über die politische Stimmung der deutschen Jugend nach den
Freiheitskriegen, die erste deutsche Burschenschaft, das Wartburgsest und den
inneren causalen Zusammenhang des Treibens der drei Brüder Follen und
der „Schwarzen" in Gießen mit der unseligen Mordthat Ludwig Sand's
und dem Mordversuch des Apothekers Löning auf den nassauischen Staats¬
rath van Jbell u. s. w. — Da selbstverständlich alle diese Mordgeschichten
keineswegs etwa im larmoyanten Ton sentimentaler Criminalgeschichren ge¬
schrieben sind, sondern wie alle Sachen Braun's dem Humor überall zu
seinem Rechte verhelfen, wo immer dessen Recht begründet ist — und dieses
Gebiet ist bei Bildern aus der deutschen Kleinstaaterei um so weitläufiger, als
wir selbst für an sich und in ihrer Zeit tragische Ereignisse heute den Humor
besitzen, sie von der heitern Seite zu betrachten — so waren wir wohl be¬
rechtigt, diese neueste Schöpfung der Braun'schen Feder, trotz ihres düsteren
Titels, sogar unter der Weihnachtsliteratur zu empfehlen.

Eine humorvolle, oftmals satirische, überall aber von hohem Fluge der
Gedanken und Poesie getragene dichterische Gabe zum Weihnachtsfeste ist
der „Till Eulenspiegel redivivus" von Julius Wolff (Meyer'sche
Hofbuchhandlung. Detmold). Hier ist der Reiz der deutschen Landschaft, vor
allem der Rheinlande, das deutsche Bürgerthum in allen Klassen und Ständen,
hier sind die höchsten Strebungen der Gegenwart auf allen Gebieten des
öffentlichen, socialen, wissenschaftlichen Lebens — an dem Faden einer Reise
des Dichters mit Till Eulenspiegel durch Deutschland — mit feinem Humor
und mit vollendeter poetischer Kraft geschildert. Sehr häufig erinnert die
Sprache und die Gedankenform und -Richtung an Goethe's Faust. Die
Ausstattung des Werkes ist geschmackvoll. — Auf die neueste, sehr W
deutende Dichtung Friedrich's von Schack „Nächte des Orients"
(Stuttgart, I. G. Cotta). welche die meisterhafte Sprachgewandtheit des
Dichters und seine treue Sehnsucht zum Wunderlande des Ostens so rein und
schön ausprägt, gedenken wir bei Gelegenheit eines besonderen Essays über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/482>, abgerufen am 27.07.2024.