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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Calamität geworden, daß das Studium der Londoner in dieser Hinsicht ge¬
wiß viel gesundem Verhältnisse, sehr zu empfehlen ist.

Während nun diese Wohnungen im Innern mit allen möglichen Be¬
quemlichkeiten aufs reichlichste ausgestattet sind, und bei dieser Ausstattung
mit allem Zubehör in wirklichen Wohnungsgegenden bei 3--6 Zimmern für
300 -- 400 Thaler zu haben sind, so bieten sie dafür im Aeußern einen ge¬
radezu ärmlichen Anblick dar. Man denke sich ganze Straßen derartiger
schmaler Häuser, die der größern Billigkeit wegen eins wie das andere voll¬
ständig gleich, förmlich fabrikmäßig hergestellt worden sind und in ihrem ein¬
fachen glatten Ziegelrohbau ohne Verzierungen, ohne Hauptgesims, ja sogar
ohne Fensterverkleidungen sich dem Beschauer darbieten. Man vermuthet nicht
in denselben allen Comfort der reichen Weltstadt zu finden, die solidesten
Möbel, bei denen freilich oft die Eleganz fehlt, die feinsten Teppiche und
reichsten Vorhänge. Man möchte unwillkürlich aus der Straße eilen, weil
man ihres ärmlichen Eindrucks wegen glaubt, in schlechte Stadtviertel gerathen
zu sein, wenn nicht die vornehme Ruhe dafür zeugte, daß man sich doch
in guter Gesellschaft befinde und die unansehnliche Hülle doch einen guten
und soliden Kern einschließen müsse.

In neuerer Zeit hat man vielfach derartige Häusergruppen zu einem
Ganzen zusammenzufassen gesucht, wenigstens im Aeußern, indem man symme¬
trische Risalite, gemeinschaftliche Giebel, durchgehende Gesimse und dergl. mehr
anbrachte, aber alle derartigen Versuche, den äußern Eindruck zu bessern, werden
so lange mißlingen, als das einzelne Haus nicht mehr Frontbreite hat, und
da hierzu keine Aussicht vorhanden ist, so müssen die Londoner wohl über¬
haupt darauf verzichten ihre Wohnhäuser zu architeetonischer Wirkung kommen
zu lassen.

Da es in London althergebrachte Sitte ist, die Häuser auf 7, 14 oder
21 Jahre zu miethen und in letzterem Falle, der sehr häufig ist, der Miether
die Verpflichtung übernimmt, alle Reparaturen auszuführen, auch den Anstrich
des Hauses alle 7 Jahre erneuern zu lassen, so kann es bei einer der oben
erwähnten einheitlichen Facaden sehr leicht vorkommen, daß der eine Theil
nach einer Reihe von Jahren in ganz anderer Farbe prangt, als ein anderer,
selbst wenn die einzelnen Häuser nicht durch Veräußerung an andere Eigen¬
thümer übergehen sollten, was doch auch möglich ist. Derartige Fälle sind
denn auch schon mehrfach zu beobachten und wenn nun gar die Grenze nur
einen kleinen Theil eines Giebelfeldes abschneidet, oder mitten durch eine
Nische geht, so ist der hervorgebrachte Anblick ein so entsetzlicher, ein so ur¬
komischer, daß man als ernster Mensch nur wünschen kann, daß die Häuser,
jedes für sich, in ihrer nackten Einfachheit verbleiben mögen, daß man in dieser
Beziehung nicht in die Fußtapfen Wiens trete, wo derartige Häuserzusammen-


Calamität geworden, daß das Studium der Londoner in dieser Hinsicht ge¬
wiß viel gesundem Verhältnisse, sehr zu empfehlen ist.

Während nun diese Wohnungen im Innern mit allen möglichen Be¬
quemlichkeiten aufs reichlichste ausgestattet sind, und bei dieser Ausstattung
mit allem Zubehör in wirklichen Wohnungsgegenden bei 3—6 Zimmern für
300 — 400 Thaler zu haben sind, so bieten sie dafür im Aeußern einen ge¬
radezu ärmlichen Anblick dar. Man denke sich ganze Straßen derartiger
schmaler Häuser, die der größern Billigkeit wegen eins wie das andere voll¬
ständig gleich, förmlich fabrikmäßig hergestellt worden sind und in ihrem ein¬
fachen glatten Ziegelrohbau ohne Verzierungen, ohne Hauptgesims, ja sogar
ohne Fensterverkleidungen sich dem Beschauer darbieten. Man vermuthet nicht
in denselben allen Comfort der reichen Weltstadt zu finden, die solidesten
Möbel, bei denen freilich oft die Eleganz fehlt, die feinsten Teppiche und
reichsten Vorhänge. Man möchte unwillkürlich aus der Straße eilen, weil
man ihres ärmlichen Eindrucks wegen glaubt, in schlechte Stadtviertel gerathen
zu sein, wenn nicht die vornehme Ruhe dafür zeugte, daß man sich doch
in guter Gesellschaft befinde und die unansehnliche Hülle doch einen guten
und soliden Kern einschließen müsse.

In neuerer Zeit hat man vielfach derartige Häusergruppen zu einem
Ganzen zusammenzufassen gesucht, wenigstens im Aeußern, indem man symme¬
trische Risalite, gemeinschaftliche Giebel, durchgehende Gesimse und dergl. mehr
anbrachte, aber alle derartigen Versuche, den äußern Eindruck zu bessern, werden
so lange mißlingen, als das einzelne Haus nicht mehr Frontbreite hat, und
da hierzu keine Aussicht vorhanden ist, so müssen die Londoner wohl über¬
haupt darauf verzichten ihre Wohnhäuser zu architeetonischer Wirkung kommen
zu lassen.

Da es in London althergebrachte Sitte ist, die Häuser auf 7, 14 oder
21 Jahre zu miethen und in letzterem Falle, der sehr häufig ist, der Miether
die Verpflichtung übernimmt, alle Reparaturen auszuführen, auch den Anstrich
des Hauses alle 7 Jahre erneuern zu lassen, so kann es bei einer der oben
erwähnten einheitlichen Facaden sehr leicht vorkommen, daß der eine Theil
nach einer Reihe von Jahren in ganz anderer Farbe prangt, als ein anderer,
selbst wenn die einzelnen Häuser nicht durch Veräußerung an andere Eigen¬
thümer übergehen sollten, was doch auch möglich ist. Derartige Fälle sind
denn auch schon mehrfach zu beobachten und wenn nun gar die Grenze nur
einen kleinen Theil eines Giebelfeldes abschneidet, oder mitten durch eine
Nische geht, so ist der hervorgebrachte Anblick ein so entsetzlicher, ein so ur¬
komischer, daß man als ernster Mensch nur wünschen kann, daß die Häuser,
jedes für sich, in ihrer nackten Einfachheit verbleiben mögen, daß man in dieser
Beziehung nicht in die Fußtapfen Wiens trete, wo derartige Häuserzusammen-


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[0423] Calamität geworden, daß das Studium der Londoner in dieser Hinsicht ge¬ wiß viel gesundem Verhältnisse, sehr zu empfehlen ist. Während nun diese Wohnungen im Innern mit allen möglichen Be¬ quemlichkeiten aufs reichlichste ausgestattet sind, und bei dieser Ausstattung mit allem Zubehör in wirklichen Wohnungsgegenden bei 3—6 Zimmern für 300 — 400 Thaler zu haben sind, so bieten sie dafür im Aeußern einen ge¬ radezu ärmlichen Anblick dar. Man denke sich ganze Straßen derartiger schmaler Häuser, die der größern Billigkeit wegen eins wie das andere voll¬ ständig gleich, förmlich fabrikmäßig hergestellt worden sind und in ihrem ein¬ fachen glatten Ziegelrohbau ohne Verzierungen, ohne Hauptgesims, ja sogar ohne Fensterverkleidungen sich dem Beschauer darbieten. Man vermuthet nicht in denselben allen Comfort der reichen Weltstadt zu finden, die solidesten Möbel, bei denen freilich oft die Eleganz fehlt, die feinsten Teppiche und reichsten Vorhänge. Man möchte unwillkürlich aus der Straße eilen, weil man ihres ärmlichen Eindrucks wegen glaubt, in schlechte Stadtviertel gerathen zu sein, wenn nicht die vornehme Ruhe dafür zeugte, daß man sich doch in guter Gesellschaft befinde und die unansehnliche Hülle doch einen guten und soliden Kern einschließen müsse. In neuerer Zeit hat man vielfach derartige Häusergruppen zu einem Ganzen zusammenzufassen gesucht, wenigstens im Aeußern, indem man symme¬ trische Risalite, gemeinschaftliche Giebel, durchgehende Gesimse und dergl. mehr anbrachte, aber alle derartigen Versuche, den äußern Eindruck zu bessern, werden so lange mißlingen, als das einzelne Haus nicht mehr Frontbreite hat, und da hierzu keine Aussicht vorhanden ist, so müssen die Londoner wohl über¬ haupt darauf verzichten ihre Wohnhäuser zu architeetonischer Wirkung kommen zu lassen. Da es in London althergebrachte Sitte ist, die Häuser auf 7, 14 oder 21 Jahre zu miethen und in letzterem Falle, der sehr häufig ist, der Miether die Verpflichtung übernimmt, alle Reparaturen auszuführen, auch den Anstrich des Hauses alle 7 Jahre erneuern zu lassen, so kann es bei einer der oben erwähnten einheitlichen Facaden sehr leicht vorkommen, daß der eine Theil nach einer Reihe von Jahren in ganz anderer Farbe prangt, als ein anderer, selbst wenn die einzelnen Häuser nicht durch Veräußerung an andere Eigen¬ thümer übergehen sollten, was doch auch möglich ist. Derartige Fälle sind denn auch schon mehrfach zu beobachten und wenn nun gar die Grenze nur einen kleinen Theil eines Giebelfeldes abschneidet, oder mitten durch eine Nische geht, so ist der hervorgebrachte Anblick ein so entsetzlicher, ein so ur¬ komischer, daß man als ernster Mensch nur wünschen kann, daß die Häuser, jedes für sich, in ihrer nackten Einfachheit verbleiben mögen, daß man in dieser Beziehung nicht in die Fußtapfen Wiens trete, wo derartige Häuserzusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/423>, abgerufen am 27.07.2024.