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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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drei Gesetzentwürfe umfassend, führte indeß nicht gerade zur Hervorkehrung
eines einheitlichen Gedankens der ganzen Reform. Die Redner wandten sich
bald dem einen bald dem andern Gesetz mit ihren Bemerkungen zu. Wir
thun deßhalb am Besten, den Discussionsstoff nicht nach den Sitzungen,
sondern nach den drei Gesetzen einzutheilen, um welche er sich sammelte.

Trotz des etwas sporadischen Charakters ist auch die viertägige Ver¬
handlung über die Jüstizreform des deutschen Reichstages durchaus würdig
gewesen, würdig eines großen Volkes, dem das seltene Glück zu Theil wird,
ein tiefes langentbehrtes Bedürfniß seines nationalen Lebens in gereifter
Stunde mit gereifter Kraft lösen zu dürfen.

Das formelle Ergebniß der drei ersten Lesungen war die Wahl einer
Commission von 28 Mitgliedern zur gemeinschaftlichen Vorberathung der
drei Entwürfe. Am Schluß der ersten Lesung des dritten Gesetzes wurde ein
Antrag des Abgeordneten Laster zum Beschluß erhoben, die Bereitwilligkeit
des Reichstags auszusprechen, einem Gesetz zuzustimmen, welches die zur Vor¬
berathung der drei Justizgesetze ernannte Commission ermächtigen würde, ihre
Berathungen über die Dauer der gegenwärtigen Session zu erstrecken, und
welches den Reichstag ermächtigen würde, das Resultat seiner jetzt gewählten
Commission während einer folgenden Session der gegenwärtigen Legislatur-
Periode in Berathung zu ziehen. Vom Tisch des Bundesrathes erfolgte so¬
gleich die Zusage der Vorlegung eines solchen Gesetzes, und der Antrag
Laster ward einstimmig angenommen.

Wir wenden uns nun zu der Würdigung, welche jedes der drei Justiz¬
gesetze bei der ersten Lesung im Reichstag erfuhr. Zuerst das Gerichts¬
verfassungsgesetz. Bekanntlich enthält die in Betracht kommende Vorlage
nicht eine vollständige Gerichtsverfassung, sondern nur Normen für die Or¬
gane der streitigen Gerichtsbarkeit, und auch diese Normen nicht vollständig.
Man kann es nicht tadeln, daß die Reichsgesetzgebung vermeidet, in die ver¬
waltende Thätigkeit der Justiz z. B. in Vormundschafts-, Grundbuchwesen !c.
einzugreifen. Ebenso mag die Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit den
Einzelstaaten überlassen bleiben. Die einheitliche Regelung der Organe der
streitigen Gerichtsbarkeit sollte aber durchgreifend erfolgen, und daß dies nicht
geschehen, ward mit Recht in dem vorgelegten Entwurf als ein schwerer
Mangel hervorgehoben. Der preußische Justizminister, welcher diesen Gesetz¬
entwurf mit einem Einleitungsvortrag befürwortete, berief sich, um die Un-
vollständigkeit des Entwurfs, deren Tadel er voraussah, zu entschuldigen, auf
den Wortlaut der Reichsverfassung. Man erinnert sich, daß im Mai 1872
die Abgeordneten Laster und Miquel im Reichstag einen Antrag einbrachten
und durchsetzten, auf Erweiterung der No. 13 des Artikel 4 der Reichs-
Verfassung. In dieser No. 13 war ursprünglich auf dem Rechtsgebiet als


Grenzboten IV" 1874. 6^

drei Gesetzentwürfe umfassend, führte indeß nicht gerade zur Hervorkehrung
eines einheitlichen Gedankens der ganzen Reform. Die Redner wandten sich
bald dem einen bald dem andern Gesetz mit ihren Bemerkungen zu. Wir
thun deßhalb am Besten, den Discussionsstoff nicht nach den Sitzungen,
sondern nach den drei Gesetzen einzutheilen, um welche er sich sammelte.

Trotz des etwas sporadischen Charakters ist auch die viertägige Ver¬
handlung über die Jüstizreform des deutschen Reichstages durchaus würdig
gewesen, würdig eines großen Volkes, dem das seltene Glück zu Theil wird,
ein tiefes langentbehrtes Bedürfniß seines nationalen Lebens in gereifter
Stunde mit gereifter Kraft lösen zu dürfen.

Das formelle Ergebniß der drei ersten Lesungen war die Wahl einer
Commission von 28 Mitgliedern zur gemeinschaftlichen Vorberathung der
drei Entwürfe. Am Schluß der ersten Lesung des dritten Gesetzes wurde ein
Antrag des Abgeordneten Laster zum Beschluß erhoben, die Bereitwilligkeit
des Reichstags auszusprechen, einem Gesetz zuzustimmen, welches die zur Vor¬
berathung der drei Justizgesetze ernannte Commission ermächtigen würde, ihre
Berathungen über die Dauer der gegenwärtigen Session zu erstrecken, und
welches den Reichstag ermächtigen würde, das Resultat seiner jetzt gewählten
Commission während einer folgenden Session der gegenwärtigen Legislatur-
Periode in Berathung zu ziehen. Vom Tisch des Bundesrathes erfolgte so¬
gleich die Zusage der Vorlegung eines solchen Gesetzes, und der Antrag
Laster ward einstimmig angenommen.

Wir wenden uns nun zu der Würdigung, welche jedes der drei Justiz¬
gesetze bei der ersten Lesung im Reichstag erfuhr. Zuerst das Gerichts¬
verfassungsgesetz. Bekanntlich enthält die in Betracht kommende Vorlage
nicht eine vollständige Gerichtsverfassung, sondern nur Normen für die Or¬
gane der streitigen Gerichtsbarkeit, und auch diese Normen nicht vollständig.
Man kann es nicht tadeln, daß die Reichsgesetzgebung vermeidet, in die ver¬
waltende Thätigkeit der Justiz z. B. in Vormundschafts-, Grundbuchwesen !c.
einzugreifen. Ebenso mag die Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit den
Einzelstaaten überlassen bleiben. Die einheitliche Regelung der Organe der
streitigen Gerichtsbarkeit sollte aber durchgreifend erfolgen, und daß dies nicht
geschehen, ward mit Recht in dem vorgelegten Entwurf als ein schwerer
Mangel hervorgehoben. Der preußische Justizminister, welcher diesen Gesetz¬
entwurf mit einem Einleitungsvortrag befürwortete, berief sich, um die Un-
vollständigkeit des Entwurfs, deren Tadel er voraussah, zu entschuldigen, auf
den Wortlaut der Reichsverfassung. Man erinnert sich, daß im Mai 1872
die Abgeordneten Laster und Miquel im Reichstag einen Antrag einbrachten
und durchsetzten, auf Erweiterung der No. 13 des Artikel 4 der Reichs-
Verfassung. In dieser No. 13 war ursprünglich auf dem Rechtsgebiet als


Grenzboten IV» 1874. 6^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/397>, abgerufen am 27.07.2024.