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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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eine von ihnen heirathet, hat eine That christlicher Barmherzigkeit vollbracht,
die ihm ein Anrecht aus den freundlichen Beifall der Menschheit, nicht auf
ihren harten Tadel verleiht -- und der Mann, der sechzig von ihnen heirathet,
hat eine That freigebigster Großherzigkeit verrichtet, so erhaben, daß die
Völker in seiner Gegenwart unbedeckten Hauptes dastehen und ihn schweigend
verehren sollten. Das Nächstinteressante ist, sich zu den Heiden zu setzen und
ihnen zuzuhören, wenn sie über Vielweiberei sprechen, und wie irgend ein
dickbäuchiger alter Frosch von einem Aeltesten oder Bischof ein Mädchen
heirathet -- sie gern hat und ihre Schwester heirathet -- die gern hat und
eine zweite Schwester heirathet -- die gern hat und eine Andere zur Frau
nimmt -- die gern hat und ihre Mutter heirathet -- die gern hat und ihren
Vater, ihren Großvater, ihren Urgroßvater heirathet und dann hungrig
zurückkommt und um mehr bittet. Und wie dann das schnippische junge
Ding von elf Jahren vielleicht sein Lieblingsweib wird und ihre eigne ehr¬
würdige alte Großmutter in ihres gemeinschaftlichen Eheherrn Werthschätzung
eine Stufe tiefer nach v 4 hinstehen und in der Küche zu schlafen haben
wird. Und wie dieses fürchterliche Leben, dieses Zusammenstecken von Mutter
und Töchtern in ein einziges faules Nest und Höherstellung einer jungen
Tochter ihrer eignen Mutter gegenüber Dinge sind, denen sich die Mormonen¬
weiber unterwerfen, weil ihre Religion ihnen lehrt, daß je mehr Frauen ein
Mann auf Erden hat, und je mehr Kinder er aufzieht, desto höher die Stelle
sein wird, die sie alle mit einander in der zukünftigen Welt einnehmen werden
-- desto höher und vielleicht desto wärmer, obwohl sie darüber nichts zu sagen
scheinen. Nach diesen unsern heidnischen Freunden enthält Brigham Uoung's
Harem zwanzig oder dreißig Frauen. Sie sagten, daß einige davon alt ge¬
worden und aus dem activen Dienste getreten, aber gut einlogirt und versorgt
seien im -- "Hühnerhause", wie sie sich ausdrückten, im Löwenhause, wie die
Mormonen es seltsamer Weise nannten. Bei jeder Frau befanden sich ihre
Kinder, fünfzig alle zusammen. Das Haus war vollkommen ruhig und
ordentlich, wenn die Kinder still waren. Sie alle nahmen ihre Mahlzeiten
in einem einzigen Zimmer ein, und man sagte, das wäre ein recht glückliches
und gemüthliches Bild. Niemand von uns fand Gelegenheit, mit Herrn
Aoung zu speisen, aber ein Heide Namens Johnson behauptete, im Löwen¬
hause gefrühstückt zu haben. Er gab uns eine verrückte Schilderung vom
"Verlesen der Präsenzliste" nebst andern Präliminarien, und von dem Ge¬
metzel, welches erfolgte, als die Buchweizenkuchen hereinkamen. Aber er ver¬
schönerte ein bischen zu viel. Er sagte, daß Herr N^ung ihm verschiedene
gescheidte Aeußerungen von seinem "Zweijährigen" mitgetheilt und dabei mit
einigem Stolze bemerkt habe, daß derselbe einer der fleißigsten Mitarbeiter in
diesem Fache für eine der östlichen Wochenschriften gewesen, und dann habe


eine von ihnen heirathet, hat eine That christlicher Barmherzigkeit vollbracht,
die ihm ein Anrecht aus den freundlichen Beifall der Menschheit, nicht auf
ihren harten Tadel verleiht — und der Mann, der sechzig von ihnen heirathet,
hat eine That freigebigster Großherzigkeit verrichtet, so erhaben, daß die
Völker in seiner Gegenwart unbedeckten Hauptes dastehen und ihn schweigend
verehren sollten. Das Nächstinteressante ist, sich zu den Heiden zu setzen und
ihnen zuzuhören, wenn sie über Vielweiberei sprechen, und wie irgend ein
dickbäuchiger alter Frosch von einem Aeltesten oder Bischof ein Mädchen
heirathet — sie gern hat und ihre Schwester heirathet — die gern hat und
eine zweite Schwester heirathet — die gern hat und eine Andere zur Frau
nimmt — die gern hat und ihre Mutter heirathet — die gern hat und ihren
Vater, ihren Großvater, ihren Urgroßvater heirathet und dann hungrig
zurückkommt und um mehr bittet. Und wie dann das schnippische junge
Ding von elf Jahren vielleicht sein Lieblingsweib wird und ihre eigne ehr¬
würdige alte Großmutter in ihres gemeinschaftlichen Eheherrn Werthschätzung
eine Stufe tiefer nach v 4 hinstehen und in der Küche zu schlafen haben
wird. Und wie dieses fürchterliche Leben, dieses Zusammenstecken von Mutter
und Töchtern in ein einziges faules Nest und Höherstellung einer jungen
Tochter ihrer eignen Mutter gegenüber Dinge sind, denen sich die Mormonen¬
weiber unterwerfen, weil ihre Religion ihnen lehrt, daß je mehr Frauen ein
Mann auf Erden hat, und je mehr Kinder er aufzieht, desto höher die Stelle
sein wird, die sie alle mit einander in der zukünftigen Welt einnehmen werden
— desto höher und vielleicht desto wärmer, obwohl sie darüber nichts zu sagen
scheinen. Nach diesen unsern heidnischen Freunden enthält Brigham Uoung's
Harem zwanzig oder dreißig Frauen. Sie sagten, daß einige davon alt ge¬
worden und aus dem activen Dienste getreten, aber gut einlogirt und versorgt
seien im — „Hühnerhause", wie sie sich ausdrückten, im Löwenhause, wie die
Mormonen es seltsamer Weise nannten. Bei jeder Frau befanden sich ihre
Kinder, fünfzig alle zusammen. Das Haus war vollkommen ruhig und
ordentlich, wenn die Kinder still waren. Sie alle nahmen ihre Mahlzeiten
in einem einzigen Zimmer ein, und man sagte, das wäre ein recht glückliches
und gemüthliches Bild. Niemand von uns fand Gelegenheit, mit Herrn
Aoung zu speisen, aber ein Heide Namens Johnson behauptete, im Löwen¬
hause gefrühstückt zu haben. Er gab uns eine verrückte Schilderung vom
„Verlesen der Präsenzliste" nebst andern Präliminarien, und von dem Ge¬
metzel, welches erfolgte, als die Buchweizenkuchen hereinkamen. Aber er ver¬
schönerte ein bischen zu viel. Er sagte, daß Herr N^ung ihm verschiedene
gescheidte Aeußerungen von seinem „Zweijährigen" mitgetheilt und dabei mit
einigem Stolze bemerkt habe, daß derselbe einer der fleißigsten Mitarbeiter in
diesem Fache für eine der östlichen Wochenschriften gewesen, und dann habe


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[0348] eine von ihnen heirathet, hat eine That christlicher Barmherzigkeit vollbracht, die ihm ein Anrecht aus den freundlichen Beifall der Menschheit, nicht auf ihren harten Tadel verleiht — und der Mann, der sechzig von ihnen heirathet, hat eine That freigebigster Großherzigkeit verrichtet, so erhaben, daß die Völker in seiner Gegenwart unbedeckten Hauptes dastehen und ihn schweigend verehren sollten. Das Nächstinteressante ist, sich zu den Heiden zu setzen und ihnen zuzuhören, wenn sie über Vielweiberei sprechen, und wie irgend ein dickbäuchiger alter Frosch von einem Aeltesten oder Bischof ein Mädchen heirathet — sie gern hat und ihre Schwester heirathet — die gern hat und eine zweite Schwester heirathet — die gern hat und eine Andere zur Frau nimmt — die gern hat und ihre Mutter heirathet — die gern hat und ihren Vater, ihren Großvater, ihren Urgroßvater heirathet und dann hungrig zurückkommt und um mehr bittet. Und wie dann das schnippische junge Ding von elf Jahren vielleicht sein Lieblingsweib wird und ihre eigne ehr¬ würdige alte Großmutter in ihres gemeinschaftlichen Eheherrn Werthschätzung eine Stufe tiefer nach v 4 hinstehen und in der Küche zu schlafen haben wird. Und wie dieses fürchterliche Leben, dieses Zusammenstecken von Mutter und Töchtern in ein einziges faules Nest und Höherstellung einer jungen Tochter ihrer eignen Mutter gegenüber Dinge sind, denen sich die Mormonen¬ weiber unterwerfen, weil ihre Religion ihnen lehrt, daß je mehr Frauen ein Mann auf Erden hat, und je mehr Kinder er aufzieht, desto höher die Stelle sein wird, die sie alle mit einander in der zukünftigen Welt einnehmen werden — desto höher und vielleicht desto wärmer, obwohl sie darüber nichts zu sagen scheinen. Nach diesen unsern heidnischen Freunden enthält Brigham Uoung's Harem zwanzig oder dreißig Frauen. Sie sagten, daß einige davon alt ge¬ worden und aus dem activen Dienste getreten, aber gut einlogirt und versorgt seien im — „Hühnerhause", wie sie sich ausdrückten, im Löwenhause, wie die Mormonen es seltsamer Weise nannten. Bei jeder Frau befanden sich ihre Kinder, fünfzig alle zusammen. Das Haus war vollkommen ruhig und ordentlich, wenn die Kinder still waren. Sie alle nahmen ihre Mahlzeiten in einem einzigen Zimmer ein, und man sagte, das wäre ein recht glückliches und gemüthliches Bild. Niemand von uns fand Gelegenheit, mit Herrn Aoung zu speisen, aber ein Heide Namens Johnson behauptete, im Löwen¬ hause gefrühstückt zu haben. Er gab uns eine verrückte Schilderung vom „Verlesen der Präsenzliste" nebst andern Präliminarien, und von dem Ge¬ metzel, welches erfolgte, als die Buchweizenkuchen hereinkamen. Aber er ver¬ schönerte ein bischen zu viel. Er sagte, daß Herr N^ung ihm verschiedene gescheidte Aeußerungen von seinem „Zweijährigen" mitgetheilt und dabei mit einigem Stolze bemerkt habe, daß derselbe einer der fleißigsten Mitarbeiter in diesem Fache für eine der östlichen Wochenschriften gewesen, und dann habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/348>, abgerufen am 27.07.2024.