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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sich mit seinen Nebelbildern von Bergen, Seen und Continenten durch das
Geheimniß des sommerlichen Dunstes hinstreckte. An einer Stelle konnte
man unter sich auf eine Welt immer kleiner werdender Felshörner und
Schluchten blicken, die hinab und nach einer verschwimmenden Ebne mit einem
Faden darin, der eine Straße war, und Federbüscheln, die Bäume waren,
hinführten, -- ein hübsches Bild, wie es so im Sonnenschein schlief; aber
ein dunkles Etwas schlich sich darüber und verdüsterte seine Züge tiefer und
immer tiefer mit dem finstern Blick eines heranziehenden Gewitters, und jetzt,
während kein Nebel oder Schatten die Mittagsseite unseres hohen Stand¬
ortes unterbrach, konnte man beobachten, wie da unten der Sturm losbrach,
und sehen, wie die Blitze von Gipfel zu Gipfel hüpften und der Strichregen
an den Wänden der Bergschluchten hinzog, und den Donner rollen, krachen
und brüllen hören. Wir rollten lustig weiter, und alsbald kamen wir auf
dem eigentlichen Gipfel an eine Quelle, deren Wasser durch zwei Mündungen
abfloß und nach zwei verschiedenen Richtungen weiter strömte. Der Conducteur
sagte, daß einer der Bäche, auf die wir hinsahen, just eine Reise westwärts
nach dem Busen von Californien und dem Stillen Meere anträte, die durch
Hunderte, ja Tausende von Meilen wüster Einöden führte. Er sagte, daß
der andere seine Heimath unter den Schneegipfeln verließe, um eine ähnliche
Reise, aber nach Osten, zu machen, und wir wußten, daß lange, nachdem wir
das simple Bächlein vergessen, es immer noch seinen mühseligen Weg an den
Gebirgsflanken hinunter und auf dem Grunde von Schluchten und zwischen
den Ufern des Uellowstone suchen werde, daß es sich allmählich mit dem breiten
Missouri verbinden und durch unbekannte Ebnen und Wüsten und durch nie
besuchte Wildnisse fließen, dann eine lange und unruhige Pilgerfahrt zwischen
versunkenen Baumstämmen, Wracks und Sandbänken machen, in den Mississippi
einmünden, die Werften von Saint Louis bespülen und immer weiter strömen
n-urbe, über Untiefen und durch felsige Canäle, dann durch endlose Ketten
grundloser und weiter Einbuchtungen, die mit ununterbrochenen Wäldern
^gefaßt sind, dann durch geheimnißvolle Seitenwege und verborgene Durch¬
sänge zwischen waldigen Inseln, dann wieder durch Reihenfolgen von Ein-
buchtungen, die aber jetzt statt der düstern Wälder Einfassungen von glän¬
zendem Zuckerrohr haben, dann an Neuorleans vorüber und noch anderen
Ketten von Einbuchtungen -- und zuletzt nach zwei langen Monaten voll
täglicher und nächtlicher Erschöpfung und Aufregung, voll Vergnügen, Aben¬
teuern und furchtbarer Gefahr, von vertrockneten Kehlen ausgetrunken, von
Pumpen entleert, von Verdunstung betroffen zu werden, in den Golf fließen
und zu seiner Ruhe eingehen werde am Busen der tropischen See, um niemals
^e heimischen Schneegipfel wieder zu sehen oder zu bedauern, daß es sie ver-
^sser. Ich befrachtete ein Blatt mit einer nur gedachten Botschaft an die


sich mit seinen Nebelbildern von Bergen, Seen und Continenten durch das
Geheimniß des sommerlichen Dunstes hinstreckte. An einer Stelle konnte
man unter sich auf eine Welt immer kleiner werdender Felshörner und
Schluchten blicken, die hinab und nach einer verschwimmenden Ebne mit einem
Faden darin, der eine Straße war, und Federbüscheln, die Bäume waren,
hinführten, — ein hübsches Bild, wie es so im Sonnenschein schlief; aber
ein dunkles Etwas schlich sich darüber und verdüsterte seine Züge tiefer und
immer tiefer mit dem finstern Blick eines heranziehenden Gewitters, und jetzt,
während kein Nebel oder Schatten die Mittagsseite unseres hohen Stand¬
ortes unterbrach, konnte man beobachten, wie da unten der Sturm losbrach,
und sehen, wie die Blitze von Gipfel zu Gipfel hüpften und der Strichregen
an den Wänden der Bergschluchten hinzog, und den Donner rollen, krachen
und brüllen hören. Wir rollten lustig weiter, und alsbald kamen wir auf
dem eigentlichen Gipfel an eine Quelle, deren Wasser durch zwei Mündungen
abfloß und nach zwei verschiedenen Richtungen weiter strömte. Der Conducteur
sagte, daß einer der Bäche, auf die wir hinsahen, just eine Reise westwärts
nach dem Busen von Californien und dem Stillen Meere anträte, die durch
Hunderte, ja Tausende von Meilen wüster Einöden führte. Er sagte, daß
der andere seine Heimath unter den Schneegipfeln verließe, um eine ähnliche
Reise, aber nach Osten, zu machen, und wir wußten, daß lange, nachdem wir
das simple Bächlein vergessen, es immer noch seinen mühseligen Weg an den
Gebirgsflanken hinunter und auf dem Grunde von Schluchten und zwischen
den Ufern des Uellowstone suchen werde, daß es sich allmählich mit dem breiten
Missouri verbinden und durch unbekannte Ebnen und Wüsten und durch nie
besuchte Wildnisse fließen, dann eine lange und unruhige Pilgerfahrt zwischen
versunkenen Baumstämmen, Wracks und Sandbänken machen, in den Mississippi
einmünden, die Werften von Saint Louis bespülen und immer weiter strömen
n-urbe, über Untiefen und durch felsige Canäle, dann durch endlose Ketten
grundloser und weiter Einbuchtungen, die mit ununterbrochenen Wäldern
^gefaßt sind, dann durch geheimnißvolle Seitenwege und verborgene Durch¬
sänge zwischen waldigen Inseln, dann wieder durch Reihenfolgen von Ein-
buchtungen, die aber jetzt statt der düstern Wälder Einfassungen von glän¬
zendem Zuckerrohr haben, dann an Neuorleans vorüber und noch anderen
Ketten von Einbuchtungen — und zuletzt nach zwei langen Monaten voll
täglicher und nächtlicher Erschöpfung und Aufregung, voll Vergnügen, Aben¬
teuern und furchtbarer Gefahr, von vertrockneten Kehlen ausgetrunken, von
Pumpen entleert, von Verdunstung betroffen zu werden, in den Golf fließen
und zu seiner Ruhe eingehen werde am Busen der tropischen See, um niemals
^e heimischen Schneegipfel wieder zu sehen oder zu bedauern, daß es sie ver-
^sser. Ich befrachtete ein Blatt mit einer nur gedachten Botschaft an die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/345>, abgerufen am 28.07.2024.