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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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befand sich unter den zahllosen von der Nationalversammlung eingesetzten
Commissionen, die seit zwei Jahren ins Faß der Danaiden schöpften, bereits
eine Commission, welche mit der Vorberathung eines Wahlgesetzes betraut
war, ohne ihre Aufgabe wesentlich gefördert zu haben. Sollte diese Com¬
mission neben dem Dreißigerausschuß ihre verdienstliche Thätigkeit fortsetzen?
Das erschien den Herren denn doch als eine allzugroße Verschwendung ihrer
Kraft und kostbaren Zeit. Sie wünschten daher ihre Arbeit einzustellen und
die Nationalversammlung erkannte die Gerechtigkeit ihres Wunsches an und
beauftragte sie, alle ihre Vorschläge als schätzbares Material der Dreißiger¬
commission mitzutheilen. Gefördert wurden indessen die Arbeiten der Dreißiger
durch diese Ueberweisung keineswegs; Vorschläge gab es fast so viel, als
Mitglieder da waren. Aber je mehr Anträge, desto schwerer die Wahl. Und
nun sollte man sich noch mit fremden Gedanken befassen, sie sichten und dis-
cutiren! Man kam nicht von der Stelle. Das allgemeine Stimmrecht galt
für sacrosankt; es sollte unangetastet bleiben. Zugleich aber sollte es im kon¬
servativen Sinne regulirt werden. War dies Problem überhaupt lösbar?
Republikaner und Bonapartisten waren in diesem Punkte gleich empfindlich;
sie schwuren beide nicht höher, als auf das allgemeine Stimmrecht. Das
war ein bedenklicher Umstand für die royalistisch gesinnten Abgeordneten.
Man mochte der öffentlichen Meinung Vieles bieten, aber jeder Versuch, dem
Lande ein Recht zu entziehen oder auch nur zu verkürzen, das nun einmal
als Palladium der Freiheit, als nationalstes Grundrecht galt, erschien ge¬
fährlich.

Doch überlassen wir vorläufig die Dreißiger ihren Verlegenheiten und
ihrer unfruchtbaren Geschäftigkeit. Im Grunde bekümmerte man sich zunächst
um ihre Arbeiten außerordentlich wenig. Auch die Regierung hatte es mit
den Verfassungsgesetzen durchaus nicht eilig und sie war weit davon entfernt,
dem Ausschuß seine Arbeit durch eine kräftige Initiative zu erleichtern. Das
Wahlgesetz lag ihr zwar sehr am Herzen, aber bis zu allgemeinen Neuwahlen
konnten vielleicht noch Jahre vergehen und so konnte man sich denn noch
immer einige Zeit gedulden; jedenfalls gehörte das Wahlgesetz nicht zu den¬
jenigen Gesetzen, von denen sich eine unmittelbare Besserung der Lage hoffen
ließ. Mac Mahon und seinen Ministern kam es vor Allem darauf an, die
Verwaltungsorgane völlig und unbedingt in Händen zu haben. Das
Mairesgesetz war also für den Augenblick für sie bei weitem wichtiger, als
alle Verfassungs- und Wahlgesetze. Die Verfassungsgesetze sollten dazu dienen,
der Dictatur eine gewisse regelmäßige Form zu geben und sie in den Stand
zu setzen, ihren gehässigen Charakter zu verstecken; das Mairesgesetz war be¬
stimmt, eine der Grundsäulen der Dictatur zu werden; die eine dieser Grund¬
säulen, die Armee, war dem Marschall sicher; die zweite Säule war schwankend,


befand sich unter den zahllosen von der Nationalversammlung eingesetzten
Commissionen, die seit zwei Jahren ins Faß der Danaiden schöpften, bereits
eine Commission, welche mit der Vorberathung eines Wahlgesetzes betraut
war, ohne ihre Aufgabe wesentlich gefördert zu haben. Sollte diese Com¬
mission neben dem Dreißigerausschuß ihre verdienstliche Thätigkeit fortsetzen?
Das erschien den Herren denn doch als eine allzugroße Verschwendung ihrer
Kraft und kostbaren Zeit. Sie wünschten daher ihre Arbeit einzustellen und
die Nationalversammlung erkannte die Gerechtigkeit ihres Wunsches an und
beauftragte sie, alle ihre Vorschläge als schätzbares Material der Dreißiger¬
commission mitzutheilen. Gefördert wurden indessen die Arbeiten der Dreißiger
durch diese Ueberweisung keineswegs; Vorschläge gab es fast so viel, als
Mitglieder da waren. Aber je mehr Anträge, desto schwerer die Wahl. Und
nun sollte man sich noch mit fremden Gedanken befassen, sie sichten und dis-
cutiren! Man kam nicht von der Stelle. Das allgemeine Stimmrecht galt
für sacrosankt; es sollte unangetastet bleiben. Zugleich aber sollte es im kon¬
servativen Sinne regulirt werden. War dies Problem überhaupt lösbar?
Republikaner und Bonapartisten waren in diesem Punkte gleich empfindlich;
sie schwuren beide nicht höher, als auf das allgemeine Stimmrecht. Das
war ein bedenklicher Umstand für die royalistisch gesinnten Abgeordneten.
Man mochte der öffentlichen Meinung Vieles bieten, aber jeder Versuch, dem
Lande ein Recht zu entziehen oder auch nur zu verkürzen, das nun einmal
als Palladium der Freiheit, als nationalstes Grundrecht galt, erschien ge¬
fährlich.

Doch überlassen wir vorläufig die Dreißiger ihren Verlegenheiten und
ihrer unfruchtbaren Geschäftigkeit. Im Grunde bekümmerte man sich zunächst
um ihre Arbeiten außerordentlich wenig. Auch die Regierung hatte es mit
den Verfassungsgesetzen durchaus nicht eilig und sie war weit davon entfernt,
dem Ausschuß seine Arbeit durch eine kräftige Initiative zu erleichtern. Das
Wahlgesetz lag ihr zwar sehr am Herzen, aber bis zu allgemeinen Neuwahlen
konnten vielleicht noch Jahre vergehen und so konnte man sich denn noch
immer einige Zeit gedulden; jedenfalls gehörte das Wahlgesetz nicht zu den¬
jenigen Gesetzen, von denen sich eine unmittelbare Besserung der Lage hoffen
ließ. Mac Mahon und seinen Ministern kam es vor Allem darauf an, die
Verwaltungsorgane völlig und unbedingt in Händen zu haben. Das
Mairesgesetz war also für den Augenblick für sie bei weitem wichtiger, als
alle Verfassungs- und Wahlgesetze. Die Verfassungsgesetze sollten dazu dienen,
der Dictatur eine gewisse regelmäßige Form zu geben und sie in den Stand
zu setzen, ihren gehässigen Charakter zu verstecken; das Mairesgesetz war be¬
stimmt, eine der Grundsäulen der Dictatur zu werden; die eine dieser Grund¬
säulen, die Armee, war dem Marschall sicher; die zweite Säule war schwankend,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/327>, abgerufen am 27.07.2024.