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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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später überfällt er eine andere Gesellschaft mit der Erzählung von dem U"^
natal-Baum auf der Insel Unalaschka, See von Kamtschatka, der nicht einen
Zoll weniger, als 416 Fuß unten am Stamme hat. Der alte Capitaw
Saltmarsh in der Gesellschaft wird von ihm als Zeuge aufgerufen. Der aber
erwidert entrüstet: "Ach, mein Junge, da hast Du Deinen Anker abgerissen,
Du hast die Kette zu straff angezogen. Du versprachst, mir diesen Riesen¬
kerl von einem Baume zu zeigen, und ich ging mit Dir durch das verfluch¬
teste Walddickicht mehr als elf Meilen, um ihn aufzustöbern; aber der Baum,
den Du mir zuletzt wiesest, war nicht dicker als ein Bierfaß, und Du weißt
das selber recht gut, Markiß." Markiß: "Nun höre eins den Menschen
reden I Natürlich war der Baum so dünn geworden, aber habe ich's Dir
denn nicht erklärt, wie? Antworte mir: hab' ich, oder hab' ich nicht? Sagte
ich Dir nicht, ich wollte, Du hättest ihn sehen sollen, wie ich ihn zuerst sah.
Als Du auf Deinen Karren stiegst und mir allerhand garstige Namen an¬
hingst und sagtest, ich hätte Dich elf Meilen herumgeschleppt, um Dir zuletzt
ein winziges Stämmchen, einen wahren Schößling zu zeigen -- habe ich Dir
da nicht erklärt, wie die Walfischfahrer in den nördlichen Meeren sich länger
als siebenundzwanzig Jahre ihr Holz von ihm geholt? Und glaubte ich
denn -- hol's der Teufel! -- der Baum würde ewig ausreichen? Ich be¬
greife nicht, wie Du auf diese Art die Dinge verschweigen und den Versuch
machen kannst, einen Menschen zu beleidigen, der Dir in seinem Leben nichts
zu Leide gethan hat." Dann, kaum zehn Tage später läßt Markiß die Ge¬
schichte von seiner Stute Margarethe folgen, die achtzehn Meilen lang mit
seinem Buggywägelchen, aus dem er selbst saß, immer dreißig oder vierzig
Uards vor dem furchtbarsten Sturm herlief, den Markiß in seinem Leben
sah, ohne daß der Sturm die Stute einholen konnte oder ein Tropfen Regen
aus der Sturmwolke sie hätte erreichen können. "Aber allerdings mein Hund
hatte zu schwimmen durch den Wolkenbruch den ganzen Weg lang." Kaum
vierzehn Tage später liefert Markiß das nach seiner Erfahrung klassischste
Beispiel für Knauserei. John James Godfrey wurde von der Hay-BlossoM'
Gesellschaft in Californien für gewisse Sprengungen verwendet. Auf einmal
fliegt er mit seiner Brechstange in die Luft, so hoch bis er gar nicht mehr
gesehen wird, und fällt dann nach einiger Zeit genau wieder auf die Stelle
herab, wo er vorhin arbeitete. "Ev war nicht länger als sechzehn Minuten
in der Luft abwesend gewesen, und doch zog ihm jene Gesellschaft von
Knausern so viel von seinem Lohne ab, als die verlorene Zeit betrug."

Diesen Lebensgewohnheiten entspricht Markiß' Ende. Er hat sich eines
Morgens gehangen und einen Zettel an seine Brust befestigt, auf welchem
er seinen Selbstmord attestirt. Grund genug für die Jury sowohl an seinem
Tode, als an der Freiwilligkeit desselben zu zweifeln, da ^die nie wankende


später überfällt er eine andere Gesellschaft mit der Erzählung von dem U"^
natal-Baum auf der Insel Unalaschka, See von Kamtschatka, der nicht einen
Zoll weniger, als 416 Fuß unten am Stamme hat. Der alte Capitaw
Saltmarsh in der Gesellschaft wird von ihm als Zeuge aufgerufen. Der aber
erwidert entrüstet: „Ach, mein Junge, da hast Du Deinen Anker abgerissen,
Du hast die Kette zu straff angezogen. Du versprachst, mir diesen Riesen¬
kerl von einem Baume zu zeigen, und ich ging mit Dir durch das verfluch¬
teste Walddickicht mehr als elf Meilen, um ihn aufzustöbern; aber der Baum,
den Du mir zuletzt wiesest, war nicht dicker als ein Bierfaß, und Du weißt
das selber recht gut, Markiß." Markiß: „Nun höre eins den Menschen
reden I Natürlich war der Baum so dünn geworden, aber habe ich's Dir
denn nicht erklärt, wie? Antworte mir: hab' ich, oder hab' ich nicht? Sagte
ich Dir nicht, ich wollte, Du hättest ihn sehen sollen, wie ich ihn zuerst sah.
Als Du auf Deinen Karren stiegst und mir allerhand garstige Namen an¬
hingst und sagtest, ich hätte Dich elf Meilen herumgeschleppt, um Dir zuletzt
ein winziges Stämmchen, einen wahren Schößling zu zeigen — habe ich Dir
da nicht erklärt, wie die Walfischfahrer in den nördlichen Meeren sich länger
als siebenundzwanzig Jahre ihr Holz von ihm geholt? Und glaubte ich
denn — hol's der Teufel! — der Baum würde ewig ausreichen? Ich be¬
greife nicht, wie Du auf diese Art die Dinge verschweigen und den Versuch
machen kannst, einen Menschen zu beleidigen, der Dir in seinem Leben nichts
zu Leide gethan hat." Dann, kaum zehn Tage später läßt Markiß die Ge¬
schichte von seiner Stute Margarethe folgen, die achtzehn Meilen lang mit
seinem Buggywägelchen, aus dem er selbst saß, immer dreißig oder vierzig
Uards vor dem furchtbarsten Sturm herlief, den Markiß in seinem Leben
sah, ohne daß der Sturm die Stute einholen konnte oder ein Tropfen Regen
aus der Sturmwolke sie hätte erreichen können. „Aber allerdings mein Hund
hatte zu schwimmen durch den Wolkenbruch den ganzen Weg lang." Kaum
vierzehn Tage später liefert Markiß das nach seiner Erfahrung klassischste
Beispiel für Knauserei. John James Godfrey wurde von der Hay-BlossoM'
Gesellschaft in Californien für gewisse Sprengungen verwendet. Auf einmal
fliegt er mit seiner Brechstange in die Luft, so hoch bis er gar nicht mehr
gesehen wird, und fällt dann nach einiger Zeit genau wieder auf die Stelle
herab, wo er vorhin arbeitete. „Ev war nicht länger als sechzehn Minuten
in der Luft abwesend gewesen, und doch zog ihm jene Gesellschaft von
Knausern so viel von seinem Lohne ab, als die verlorene Zeit betrug."

Diesen Lebensgewohnheiten entspricht Markiß' Ende. Er hat sich eines
Morgens gehangen und einen Zettel an seine Brust befestigt, auf welchem
er seinen Selbstmord attestirt. Grund genug für die Jury sowohl an seinem
Tode, als an der Freiwilligkeit desselben zu zweifeln, da ^die nie wankende


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[0316] später überfällt er eine andere Gesellschaft mit der Erzählung von dem U"^ natal-Baum auf der Insel Unalaschka, See von Kamtschatka, der nicht einen Zoll weniger, als 416 Fuß unten am Stamme hat. Der alte Capitaw Saltmarsh in der Gesellschaft wird von ihm als Zeuge aufgerufen. Der aber erwidert entrüstet: „Ach, mein Junge, da hast Du Deinen Anker abgerissen, Du hast die Kette zu straff angezogen. Du versprachst, mir diesen Riesen¬ kerl von einem Baume zu zeigen, und ich ging mit Dir durch das verfluch¬ teste Walddickicht mehr als elf Meilen, um ihn aufzustöbern; aber der Baum, den Du mir zuletzt wiesest, war nicht dicker als ein Bierfaß, und Du weißt das selber recht gut, Markiß." Markiß: „Nun höre eins den Menschen reden I Natürlich war der Baum so dünn geworden, aber habe ich's Dir denn nicht erklärt, wie? Antworte mir: hab' ich, oder hab' ich nicht? Sagte ich Dir nicht, ich wollte, Du hättest ihn sehen sollen, wie ich ihn zuerst sah. Als Du auf Deinen Karren stiegst und mir allerhand garstige Namen an¬ hingst und sagtest, ich hätte Dich elf Meilen herumgeschleppt, um Dir zuletzt ein winziges Stämmchen, einen wahren Schößling zu zeigen — habe ich Dir da nicht erklärt, wie die Walfischfahrer in den nördlichen Meeren sich länger als siebenundzwanzig Jahre ihr Holz von ihm geholt? Und glaubte ich denn — hol's der Teufel! — der Baum würde ewig ausreichen? Ich be¬ greife nicht, wie Du auf diese Art die Dinge verschweigen und den Versuch machen kannst, einen Menschen zu beleidigen, der Dir in seinem Leben nichts zu Leide gethan hat." Dann, kaum zehn Tage später läßt Markiß die Ge¬ schichte von seiner Stute Margarethe folgen, die achtzehn Meilen lang mit seinem Buggywägelchen, aus dem er selbst saß, immer dreißig oder vierzig Uards vor dem furchtbarsten Sturm herlief, den Markiß in seinem Leben sah, ohne daß der Sturm die Stute einholen konnte oder ein Tropfen Regen aus der Sturmwolke sie hätte erreichen können. „Aber allerdings mein Hund hatte zu schwimmen durch den Wolkenbruch den ganzen Weg lang." Kaum vierzehn Tage später liefert Markiß das nach seiner Erfahrung klassischste Beispiel für Knauserei. John James Godfrey wurde von der Hay-BlossoM' Gesellschaft in Californien für gewisse Sprengungen verwendet. Auf einmal fliegt er mit seiner Brechstange in die Luft, so hoch bis er gar nicht mehr gesehen wird, und fällt dann nach einiger Zeit genau wieder auf die Stelle herab, wo er vorhin arbeitete. „Ev war nicht länger als sechzehn Minuten in der Luft abwesend gewesen, und doch zog ihm jene Gesellschaft von Knausern so viel von seinem Lohne ab, als die verlorene Zeit betrug." Diesen Lebensgewohnheiten entspricht Markiß' Ende. Er hat sich eines Morgens gehangen und einen Zettel an seine Brust befestigt, auf welchem er seinen Selbstmord attestirt. Grund genug für die Jury sowohl an seinem Tode, als an der Freiwilligkeit desselben zu zweifeln, da ^die nie wankende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/316>, abgerufen am 27.07.2024.