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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wenn überhaupt noch an die Heirath gedacht werden sollte, so begreife er den
Aufschub nicht; er hielt ihn für "ungezogen" und meinte "er wird sich wenig
verändern" (18. Mai 1667): er habe viele böse Eigenschaften, aber auch viele
guten; jetzt habe er den Vorsatz gefaßt seinen schlechten Gelüsten nicht weiter
nachzuhängen; würde er wirklich nach diesem Vorsatz leben, so könnte er doch
noch ein andrer werden, als man gemeint.

Kurz, es hat recht lange gedauert, bis der österreichische Diplomat zu
einer bestimmten Ansicht kommen konnte. Aber er ist zuletzt doch zu einer
solchen gelangt. Gerade weil auch ich diesen hin und hergehenden, die wechselnden
Stimmungen präcis zum Ausdruck bringenden Depeschen Dietrichstein's großen
Werth beilege, gerade deßhalb wiegt für mich das Endurtheil so schwer, zu
welchem er durch alle diese Erwägungen pro und contra sich hindurch ge¬
arbeitet hat, welches also wohl erwogen und reiflich überlegt ist. Nachdem
der Schlag gegen Don Carlos am 18. Januar 1S68 gefallen, hat er es
ausführlich und motivirt seinem Souverain auseinandergesetzt (21. und 22.
Januar 1568). Er sagt: mit Bestimmtheit könne wohl Niemand die Ursache
(der Gefangensetzung) wissen, wie wohl er glaube, daß aus seinem anfänglich
erstatteten Bericht über die Eigenschaft und Condicion des Infanten sowie
aus den eigenen Mittheilungen Philipp's der Kaiser sie vermuthen könne.
Jedermann sei hier der Meinung, daß Philipp dazu gar hohe und große
Ursachen habe; seine (Dietrichstein's) Ansicht wäre, daß des Prinzen eigen¬
sinniger Wille, den er nicht mit Vernunft regieren konnte, seine Heftigkeit und
sein Zorn ihn dahin gebracht. Der Botschafter erinnerte an Philipp's wieder¬
holte Versicherungen, wegen des seltsamen Wesens seines Sohnes die Ehe
nicht zulassen zu können: er habe oft ihn ermahnt und ihm gedroht, wenn
er sich nicht ändere und bessere, ihn als einen unvernünftigen Menschen be¬
handeln zu müssen. Und den Entschluß, einzuschreiten und jetzt nicht länger
mehr duldend zuzusehen, schreibt Dietrichstein dem Anfalle des Carlos auf
Don Juan de Austria zu. Zuletzt kommt Dietrichstein auf seine eigene Auf¬
fassung wieder zurück, daß Don Carlos seltsame Eigenschaften und
seltsames Wesen gezeigt, -- wenn man auch mit ihm Mitleiden haben
könne, so müsse man doch sagen, daß Philipp zu seiner letzten Maßregel
billige Ursachen gehabt habe. Und diesen Satz wiederholte er am 13. April
noch einmal: "wer nicht interessirt oder passionirt ist, der giebt dem Vater
Recht, daß er zu feinem Verfahren billige und gerechte Ursachen gehabt
habe."

So lautet das Urtheil, das der bestunterrichtete der Diplomaten in
Madrid zu fällen sich genöthigt gesehen. In der That, auf ihn sich gegen
Philipp zu berufen, durch seine Mittheilungen die Aussagen der spanischen
Regierung Lügen zu strafen, das ist ein kühnes Unternehmen, das, wie aus


wenn überhaupt noch an die Heirath gedacht werden sollte, so begreife er den
Aufschub nicht; er hielt ihn für „ungezogen" und meinte „er wird sich wenig
verändern" (18. Mai 1667): er habe viele böse Eigenschaften, aber auch viele
guten; jetzt habe er den Vorsatz gefaßt seinen schlechten Gelüsten nicht weiter
nachzuhängen; würde er wirklich nach diesem Vorsatz leben, so könnte er doch
noch ein andrer werden, als man gemeint.

Kurz, es hat recht lange gedauert, bis der österreichische Diplomat zu
einer bestimmten Ansicht kommen konnte. Aber er ist zuletzt doch zu einer
solchen gelangt. Gerade weil auch ich diesen hin und hergehenden, die wechselnden
Stimmungen präcis zum Ausdruck bringenden Depeschen Dietrichstein's großen
Werth beilege, gerade deßhalb wiegt für mich das Endurtheil so schwer, zu
welchem er durch alle diese Erwägungen pro und contra sich hindurch ge¬
arbeitet hat, welches also wohl erwogen und reiflich überlegt ist. Nachdem
der Schlag gegen Don Carlos am 18. Januar 1S68 gefallen, hat er es
ausführlich und motivirt seinem Souverain auseinandergesetzt (21. und 22.
Januar 1568). Er sagt: mit Bestimmtheit könne wohl Niemand die Ursache
(der Gefangensetzung) wissen, wie wohl er glaube, daß aus seinem anfänglich
erstatteten Bericht über die Eigenschaft und Condicion des Infanten sowie
aus den eigenen Mittheilungen Philipp's der Kaiser sie vermuthen könne.
Jedermann sei hier der Meinung, daß Philipp dazu gar hohe und große
Ursachen habe; seine (Dietrichstein's) Ansicht wäre, daß des Prinzen eigen¬
sinniger Wille, den er nicht mit Vernunft regieren konnte, seine Heftigkeit und
sein Zorn ihn dahin gebracht. Der Botschafter erinnerte an Philipp's wieder¬
holte Versicherungen, wegen des seltsamen Wesens seines Sohnes die Ehe
nicht zulassen zu können: er habe oft ihn ermahnt und ihm gedroht, wenn
er sich nicht ändere und bessere, ihn als einen unvernünftigen Menschen be¬
handeln zu müssen. Und den Entschluß, einzuschreiten und jetzt nicht länger
mehr duldend zuzusehen, schreibt Dietrichstein dem Anfalle des Carlos auf
Don Juan de Austria zu. Zuletzt kommt Dietrichstein auf seine eigene Auf¬
fassung wieder zurück, daß Don Carlos seltsame Eigenschaften und
seltsames Wesen gezeigt, — wenn man auch mit ihm Mitleiden haben
könne, so müsse man doch sagen, daß Philipp zu seiner letzten Maßregel
billige Ursachen gehabt habe. Und diesen Satz wiederholte er am 13. April
noch einmal: „wer nicht interessirt oder passionirt ist, der giebt dem Vater
Recht, daß er zu feinem Verfahren billige und gerechte Ursachen gehabt
habe."

So lautet das Urtheil, das der bestunterrichtete der Diplomaten in
Madrid zu fällen sich genöthigt gesehen. In der That, auf ihn sich gegen
Philipp zu berufen, durch seine Mittheilungen die Aussagen der spanischen
Regierung Lügen zu strafen, das ist ein kühnes Unternehmen, das, wie aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/292>, abgerufen am 28.07.2024.