Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lich wären;" er berichtete nun selbst auch einige günstige Züge. Schmidt nennt
dieses Schreiben vom 29. Juni einen "förmlichen Widerruf des früheren",
übersieht dabei aber, daß trotz der einzelnen Modifikationen und Einschrän¬
kungen Dietrichstein ausdrücklich sagt: "ich kann ihn nicht viel anders be¬
schreiben, als ich zuvor gethan," ein Urtheil, das er am 11. Juli förmlich
wiederholte. So ist hier gewissermassen das Verhältniß: die erste, anfängliche
Charakteristik schwebt ihm immer vor Augen; wiederholt und immer wieder
bezieht und beruft er sich auf sie, indem er sie bald im allgemeinen bestätigt,
bald einzelne Züge in ihr berichtigt und ändert. Man sieht aus den ein¬
gesandten Berichten, die manches unter sich nicht recht zusammenpassende De¬
tail ganz objectiv nebeneinander stellen, die des Prinzen Zorn und Heftig¬
keit, seinen Stolz und seine Bosheit, seinen Eigensinn ebenso ins Licht stel¬
len, wie sie seine Gottesfürchtigkeit, sein Gedächtniß, seine Wahrheits- und
Gerechtigkeitsliebe erwähnen. -- man ersieht aus diesen alle Einzelzüge sorg¬
fältig wiedergebenden Berichten, welche Mühe Dietrichstein auf seine Bericht¬
erstattung verwendet. Er hebt aus eigener Erfahrung einmal hervor, daß
Carlos ihn gar nicht so ungereimtes Zeug gefragt habe, als er nach den vor¬
hergehenden Schilderungen von ihm erwartet hatte. Besondere Sorgfalt wid¬
mete Dietrichstein der Untersuchung, ob man mit Grund ihn für impotent
ausgeben dürfe; mit seltener Ausdauer kommt er wiederholt auf diesen Punkt
zurück, den er doch zuletzt unentschieden lassen muß.

Dietrichstein war einige Male der Ansicht, das Wesen des Prinzen würde
bei besserer Erziehung nicht so schlimm geworden sein -- unwillkürlich erinnern
wir uns hierbei der besorgten Worte, welche ein anderer Familiendiplomat
1560 über den Fünfjährigen geäußert. Im Sommer und Herbst 1864 er¬
zählt er uns von Ermahnungen Philipp's an den Sohn, von einem Versuche
auf ihn durch Zureden zu wirken; im November meint er eine "Besserung"
zu bemerken, doch setzt er wiederum hinzu: "sonst kann ich ihn nicht anders
depingiren als früher geschehen ist." Natürlich bleibt für ihn ein Hauptgegen¬
stand seiner Erwägungen, den er klar zu stellen unausgesetzt sich abmüht --
er soll erfahren, was Philipp's eigentliche Absicht mit dem Sohne sei, weß-
halb er zu einem definitiven Entschluß nicht kommen könne. Wir machen
in seinen Depeschen den ganzen Kreislauf seiner Vermuthungen und Hypo¬
thesen mit; da er eine unzweideutige Antwort aus Philipp nicht herauszu¬
locken vermochte, sah er sich auf Muthmaßungen und Schlußfolgerungen an¬
gewiesen. Wir sind durch diese ausführliche Berichterstattung Dietrichstein's
in die Lage versetzt allen kleinen Veränderungen des Momentes zu folgern
wenn Carlos einmal sich vernünftiger zu betragen scheint, steigt ihm die
Hoffnung höher, daß es doch zur Ehe kommen könnte; geberdet er sich einmal
etwas toller oder unbändiger, so stellen sich ihm trübe Ahnungen über den


lich wären;" er berichtete nun selbst auch einige günstige Züge. Schmidt nennt
dieses Schreiben vom 29. Juni einen „förmlichen Widerruf des früheren",
übersieht dabei aber, daß trotz der einzelnen Modifikationen und Einschrän¬
kungen Dietrichstein ausdrücklich sagt: „ich kann ihn nicht viel anders be¬
schreiben, als ich zuvor gethan," ein Urtheil, das er am 11. Juli förmlich
wiederholte. So ist hier gewissermassen das Verhältniß: die erste, anfängliche
Charakteristik schwebt ihm immer vor Augen; wiederholt und immer wieder
bezieht und beruft er sich auf sie, indem er sie bald im allgemeinen bestätigt,
bald einzelne Züge in ihr berichtigt und ändert. Man sieht aus den ein¬
gesandten Berichten, die manches unter sich nicht recht zusammenpassende De¬
tail ganz objectiv nebeneinander stellen, die des Prinzen Zorn und Heftig¬
keit, seinen Stolz und seine Bosheit, seinen Eigensinn ebenso ins Licht stel¬
len, wie sie seine Gottesfürchtigkeit, sein Gedächtniß, seine Wahrheits- und
Gerechtigkeitsliebe erwähnen. — man ersieht aus diesen alle Einzelzüge sorg¬
fältig wiedergebenden Berichten, welche Mühe Dietrichstein auf seine Bericht¬
erstattung verwendet. Er hebt aus eigener Erfahrung einmal hervor, daß
Carlos ihn gar nicht so ungereimtes Zeug gefragt habe, als er nach den vor¬
hergehenden Schilderungen von ihm erwartet hatte. Besondere Sorgfalt wid¬
mete Dietrichstein der Untersuchung, ob man mit Grund ihn für impotent
ausgeben dürfe; mit seltener Ausdauer kommt er wiederholt auf diesen Punkt
zurück, den er doch zuletzt unentschieden lassen muß.

Dietrichstein war einige Male der Ansicht, das Wesen des Prinzen würde
bei besserer Erziehung nicht so schlimm geworden sein — unwillkürlich erinnern
wir uns hierbei der besorgten Worte, welche ein anderer Familiendiplomat
1560 über den Fünfjährigen geäußert. Im Sommer und Herbst 1864 er¬
zählt er uns von Ermahnungen Philipp's an den Sohn, von einem Versuche
auf ihn durch Zureden zu wirken; im November meint er eine „Besserung"
zu bemerken, doch setzt er wiederum hinzu: „sonst kann ich ihn nicht anders
depingiren als früher geschehen ist." Natürlich bleibt für ihn ein Hauptgegen¬
stand seiner Erwägungen, den er klar zu stellen unausgesetzt sich abmüht —
er soll erfahren, was Philipp's eigentliche Absicht mit dem Sohne sei, weß-
halb er zu einem definitiven Entschluß nicht kommen könne. Wir machen
in seinen Depeschen den ganzen Kreislauf seiner Vermuthungen und Hypo¬
thesen mit; da er eine unzweideutige Antwort aus Philipp nicht herauszu¬
locken vermochte, sah er sich auf Muthmaßungen und Schlußfolgerungen an¬
gewiesen. Wir sind durch diese ausführliche Berichterstattung Dietrichstein's
in die Lage versetzt allen kleinen Veränderungen des Momentes zu folgern
wenn Carlos einmal sich vernünftiger zu betragen scheint, steigt ihm die
Hoffnung höher, daß es doch zur Ehe kommen könnte; geberdet er sich einmal
etwas toller oder unbändiger, so stellen sich ihm trübe Ahnungen über den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132512"/>
          <p xml:id="ID_907" prev="#ID_906"> lich wären;" er berichtete nun selbst auch einige günstige Züge. Schmidt nennt<lb/>
dieses Schreiben vom 29. Juni einen &#x201E;förmlichen Widerruf des früheren",<lb/>
übersieht dabei aber, daß trotz der einzelnen Modifikationen und Einschrän¬<lb/>
kungen Dietrichstein ausdrücklich sagt: &#x201E;ich kann ihn nicht viel anders be¬<lb/>
schreiben, als ich zuvor gethan," ein Urtheil, das er am 11. Juli förmlich<lb/>
wiederholte. So ist hier gewissermassen das Verhältniß: die erste, anfängliche<lb/>
Charakteristik schwebt ihm immer vor Augen; wiederholt und immer wieder<lb/>
bezieht und beruft er sich auf sie, indem er sie bald im allgemeinen bestätigt,<lb/>
bald einzelne Züge in ihr berichtigt und ändert. Man sieht aus den ein¬<lb/>
gesandten Berichten, die manches unter sich nicht recht zusammenpassende De¬<lb/>
tail ganz objectiv nebeneinander stellen, die des Prinzen Zorn und Heftig¬<lb/>
keit, seinen Stolz und seine Bosheit, seinen Eigensinn ebenso ins Licht stel¬<lb/>
len, wie sie seine Gottesfürchtigkeit, sein Gedächtniß, seine Wahrheits- und<lb/>
Gerechtigkeitsliebe erwähnen. &#x2014; man ersieht aus diesen alle Einzelzüge sorg¬<lb/>
fältig wiedergebenden Berichten, welche Mühe Dietrichstein auf seine Bericht¬<lb/>
erstattung verwendet. Er hebt aus eigener Erfahrung einmal hervor, daß<lb/>
Carlos ihn gar nicht so ungereimtes Zeug gefragt habe, als er nach den vor¬<lb/>
hergehenden Schilderungen von ihm erwartet hatte. Besondere Sorgfalt wid¬<lb/>
mete Dietrichstein der Untersuchung, ob man mit Grund ihn für impotent<lb/>
ausgeben dürfe; mit seltener Ausdauer kommt er wiederholt auf diesen Punkt<lb/>
zurück, den er doch zuletzt unentschieden lassen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Dietrichstein war einige Male der Ansicht, das Wesen des Prinzen würde<lb/>
bei besserer Erziehung nicht so schlimm geworden sein &#x2014; unwillkürlich erinnern<lb/>
wir uns hierbei der besorgten Worte, welche ein anderer Familiendiplomat<lb/>
1560 über den Fünfjährigen geäußert. Im Sommer und Herbst 1864 er¬<lb/>
zählt er uns von Ermahnungen Philipp's an den Sohn, von einem Versuche<lb/>
auf ihn durch Zureden zu wirken; im November meint er eine &#x201E;Besserung"<lb/>
zu bemerken, doch setzt er wiederum hinzu: &#x201E;sonst kann ich ihn nicht anders<lb/>
depingiren als früher geschehen ist." Natürlich bleibt für ihn ein Hauptgegen¬<lb/>
stand seiner Erwägungen, den er klar zu stellen unausgesetzt sich abmüht &#x2014;<lb/>
er soll erfahren, was Philipp's eigentliche Absicht mit dem Sohne sei, weß-<lb/>
halb er zu einem definitiven Entschluß nicht kommen könne. Wir machen<lb/>
in seinen Depeschen den ganzen Kreislauf seiner Vermuthungen und Hypo¬<lb/>
thesen mit; da er eine unzweideutige Antwort aus Philipp nicht herauszu¬<lb/>
locken vermochte, sah er sich auf Muthmaßungen und Schlußfolgerungen an¬<lb/>
gewiesen. Wir sind durch diese ausführliche Berichterstattung Dietrichstein's<lb/>
in die Lage versetzt allen kleinen Veränderungen des Momentes zu folgern<lb/>
wenn Carlos einmal sich vernünftiger zu betragen scheint, steigt ihm die<lb/>
Hoffnung höher, daß es doch zur Ehe kommen könnte; geberdet er sich einmal<lb/>
etwas toller oder unbändiger, so stellen sich ihm trübe Ahnungen über den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] lich wären;" er berichtete nun selbst auch einige günstige Züge. Schmidt nennt dieses Schreiben vom 29. Juni einen „förmlichen Widerruf des früheren", übersieht dabei aber, daß trotz der einzelnen Modifikationen und Einschrän¬ kungen Dietrichstein ausdrücklich sagt: „ich kann ihn nicht viel anders be¬ schreiben, als ich zuvor gethan," ein Urtheil, das er am 11. Juli förmlich wiederholte. So ist hier gewissermassen das Verhältniß: die erste, anfängliche Charakteristik schwebt ihm immer vor Augen; wiederholt und immer wieder bezieht und beruft er sich auf sie, indem er sie bald im allgemeinen bestätigt, bald einzelne Züge in ihr berichtigt und ändert. Man sieht aus den ein¬ gesandten Berichten, die manches unter sich nicht recht zusammenpassende De¬ tail ganz objectiv nebeneinander stellen, die des Prinzen Zorn und Heftig¬ keit, seinen Stolz und seine Bosheit, seinen Eigensinn ebenso ins Licht stel¬ len, wie sie seine Gottesfürchtigkeit, sein Gedächtniß, seine Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe erwähnen. — man ersieht aus diesen alle Einzelzüge sorg¬ fältig wiedergebenden Berichten, welche Mühe Dietrichstein auf seine Bericht¬ erstattung verwendet. Er hebt aus eigener Erfahrung einmal hervor, daß Carlos ihn gar nicht so ungereimtes Zeug gefragt habe, als er nach den vor¬ hergehenden Schilderungen von ihm erwartet hatte. Besondere Sorgfalt wid¬ mete Dietrichstein der Untersuchung, ob man mit Grund ihn für impotent ausgeben dürfe; mit seltener Ausdauer kommt er wiederholt auf diesen Punkt zurück, den er doch zuletzt unentschieden lassen muß. Dietrichstein war einige Male der Ansicht, das Wesen des Prinzen würde bei besserer Erziehung nicht so schlimm geworden sein — unwillkürlich erinnern wir uns hierbei der besorgten Worte, welche ein anderer Familiendiplomat 1560 über den Fünfjährigen geäußert. Im Sommer und Herbst 1864 er¬ zählt er uns von Ermahnungen Philipp's an den Sohn, von einem Versuche auf ihn durch Zureden zu wirken; im November meint er eine „Besserung" zu bemerken, doch setzt er wiederum hinzu: „sonst kann ich ihn nicht anders depingiren als früher geschehen ist." Natürlich bleibt für ihn ein Hauptgegen¬ stand seiner Erwägungen, den er klar zu stellen unausgesetzt sich abmüht — er soll erfahren, was Philipp's eigentliche Absicht mit dem Sohne sei, weß- halb er zu einem definitiven Entschluß nicht kommen könne. Wir machen in seinen Depeschen den ganzen Kreislauf seiner Vermuthungen und Hypo¬ thesen mit; da er eine unzweideutige Antwort aus Philipp nicht herauszu¬ locken vermochte, sah er sich auf Muthmaßungen und Schlußfolgerungen an¬ gewiesen. Wir sind durch diese ausführliche Berichterstattung Dietrichstein's in die Lage versetzt allen kleinen Veränderungen des Momentes zu folgern wenn Carlos einmal sich vernünftiger zu betragen scheint, steigt ihm die Hoffnung höher, daß es doch zur Ehe kommen könnte; geberdet er sich einmal etwas toller oder unbändiger, so stellen sich ihm trübe Ahnungen über den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/290>, abgerufen am 28.07.2024.