Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.Denn alle die unzufriedenen Gemüther, die still im Hintergrund nur auf Ein Vierteljahrhundert ist seitdem dahin geschwunden. Und immer noch Und dort wieder das gerade Gegentheil von dem alten Professor war Denn alle die unzufriedenen Gemüther, die still im Hintergrund nur auf Ein Vierteljahrhundert ist seitdem dahin geschwunden. Und immer noch Und dort wieder das gerade Gegentheil von dem alten Professor war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132492"/> <p xml:id="ID_840"> Denn alle die unzufriedenen Gemüther, die still im Hintergrund nur auf<lb/> den Erfolg der Schneiderrebellion gewartet hatten, verhielten sich Hinsort<lb/> schweigsam und ruhig, — Dank der guten Faust der Rostocker Bürgerwehr!</p><lb/> <p xml:id="ID_841"> Ein Vierteljahrhundert ist seitdem dahin geschwunden. Und immer noch<lb/> seh' ich sie lebendig vor Augen diese charakteristischen Figuren der alten<lb/> Bürgergarde. Hier den alten Meister der Beredsamkeit, das Gewehr hoch<lb/> im Arm und das Käppi tief im Nacken, — ein Bild der Berufstreue, der<lb/> leibhaftige Ernst zur Sache. Mit abgemessenen Schritten marschirte er auf<lb/> dem Wachtposten vor der Steinthorwache auf und ab; er kannte seine strengen<lb/> Befehle, namentlich auf die zu Stadt und Markt einfahrenden Bauerwagen<lb/> streng zu vigiliren. Es galt ja die städtische Accise! welch ein erhabenes<lb/> Beispiel der Bürgertugend! Er, der alte Classiker, der mit Sophokles und<lb/> Euripides sonst griechische Chöre sang, er, der daheim in Gedanken auf hohem<lb/> Kothurn, im griechischen Gewände dahergeschritten kam, hier stand er Schild¬<lb/> wacht als Bürgergardist und visitirte die Landwagen nach „veraccisbarer"<lb/> Butter!</p><lb/> <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Und dort wieder das gerade Gegentheil von dem alten Professor war<lb/> der junge Advokat R., ein Bild des schalkhaften Humors, der jede Gelegen¬<lb/> heitwahrnahm, der ehrliebenden Bürgerwehr Eins anzuhängen, er, ein ge¬<lb/> preßter Mann der Garde, streifte mit Humor jedes Mal den Zügel ab, mit<lb/> dem ihn die eiserne Faust des Commandeurs zu bändigen suchte. Unvergeßlich<lb/> ist mir namentlich die nachfolgende Scene. Wieder einmal hatte dieser lustige<lb/> Gardist allen Befehlen zum Trotz das letzte Exercitium unaufhörlich ge-<lb/> schwenzt. Der Commandeur hatte befohlen: „I, da soll an dem Menschen<lb/> doch ein Exempel statuirt werden!" und jetzt rückte sie an, mit Wehr und<lb/> Waffen, die Abtheilung beherzter Bürgerwehrmänner, die den hartnäckigen<lb/> Cameraden, „wenn es sein muß. mit Gewalt", zum Exercierplatz abholen<lb/> wollte. Das Detachement marschirte feierlich die Straße hinab; es faßte<lb/> Posto vor dem Hause des Delinquenten. Die Morgensonne leuchtete lieblich<lb/> in die Gasse. Beim Attentäter aber waren die Fenster noch verhangen;<lb/> vermuthlich erfreute er sich noch eines gesegneten Morgenschlafes. Der<lb/> kommandirte Lieutenant trat in das Schlafzimmer des Gardisten. Der erhob<lb/> sich verwundert in seinen Betten, wo er mit größter Gemüthsruhe den Befehl<lb/> seines Commandanten entgegennahm. Er nahm äußerst bedächtig zuerst den<lb/> einen Strumpf zur Hand, dann den andern, und ebenso langsam zog er die<lb/> Stiefel an, — dem Herrn Lieutenant wurde Zeit und Weile lang. Auch die<lb/> Cameraden draußen zeigten sich bereits höchst ungehalten. Der Delinquent<lb/> rief inzwischen nach der Dienstmagd; er flüsterte ihr heimlich zu: „Eine<lb/> Droschke!" - Die Magd eilt von dannen. Nun endlich ist der saumselige<lb/> Gardist mit dem Anzug ins Klare. Er tritt in Uniform auf die Straße-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Denn alle die unzufriedenen Gemüther, die still im Hintergrund nur auf
den Erfolg der Schneiderrebellion gewartet hatten, verhielten sich Hinsort
schweigsam und ruhig, — Dank der guten Faust der Rostocker Bürgerwehr!
Ein Vierteljahrhundert ist seitdem dahin geschwunden. Und immer noch
seh' ich sie lebendig vor Augen diese charakteristischen Figuren der alten
Bürgergarde. Hier den alten Meister der Beredsamkeit, das Gewehr hoch
im Arm und das Käppi tief im Nacken, — ein Bild der Berufstreue, der
leibhaftige Ernst zur Sache. Mit abgemessenen Schritten marschirte er auf
dem Wachtposten vor der Steinthorwache auf und ab; er kannte seine strengen
Befehle, namentlich auf die zu Stadt und Markt einfahrenden Bauerwagen
streng zu vigiliren. Es galt ja die städtische Accise! welch ein erhabenes
Beispiel der Bürgertugend! Er, der alte Classiker, der mit Sophokles und
Euripides sonst griechische Chöre sang, er, der daheim in Gedanken auf hohem
Kothurn, im griechischen Gewände dahergeschritten kam, hier stand er Schild¬
wacht als Bürgergardist und visitirte die Landwagen nach „veraccisbarer"
Butter!
Und dort wieder das gerade Gegentheil von dem alten Professor war
der junge Advokat R., ein Bild des schalkhaften Humors, der jede Gelegen¬
heitwahrnahm, der ehrliebenden Bürgerwehr Eins anzuhängen, er, ein ge¬
preßter Mann der Garde, streifte mit Humor jedes Mal den Zügel ab, mit
dem ihn die eiserne Faust des Commandeurs zu bändigen suchte. Unvergeßlich
ist mir namentlich die nachfolgende Scene. Wieder einmal hatte dieser lustige
Gardist allen Befehlen zum Trotz das letzte Exercitium unaufhörlich ge-
schwenzt. Der Commandeur hatte befohlen: „I, da soll an dem Menschen
doch ein Exempel statuirt werden!" und jetzt rückte sie an, mit Wehr und
Waffen, die Abtheilung beherzter Bürgerwehrmänner, die den hartnäckigen
Cameraden, „wenn es sein muß. mit Gewalt", zum Exercierplatz abholen
wollte. Das Detachement marschirte feierlich die Straße hinab; es faßte
Posto vor dem Hause des Delinquenten. Die Morgensonne leuchtete lieblich
in die Gasse. Beim Attentäter aber waren die Fenster noch verhangen;
vermuthlich erfreute er sich noch eines gesegneten Morgenschlafes. Der
kommandirte Lieutenant trat in das Schlafzimmer des Gardisten. Der erhob
sich verwundert in seinen Betten, wo er mit größter Gemüthsruhe den Befehl
seines Commandanten entgegennahm. Er nahm äußerst bedächtig zuerst den
einen Strumpf zur Hand, dann den andern, und ebenso langsam zog er die
Stiefel an, — dem Herrn Lieutenant wurde Zeit und Weile lang. Auch die
Cameraden draußen zeigten sich bereits höchst ungehalten. Der Delinquent
rief inzwischen nach der Dienstmagd; er flüsterte ihr heimlich zu: „Eine
Droschke!" - Die Magd eilt von dannen. Nun endlich ist der saumselige
Gardist mit dem Anzug ins Klare. Er tritt in Uniform auf die Straße-
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