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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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schon früher bemerkt worden ist, Angaben über den Eindruck jener Vorgänge
aus Don Carlos nicht vorhanden.

Was die kirchliche Haltung des Prinzen in späterer Zeit betrifft, so habe
ich in weiner früheren Abhandlung gezeigt, daß irgend welche plausibeln
Beweise für eine kirchliche Abweichung vom Katholicismus überhaupt weder
im früheren noch späteren Leben vorhanden sind, daß alles, was in diesem
Sinne vielleicht auf den ersten Blick verstanden werden könnte, im Hinblick
auf die ganz sicher bezeugten äußeren Thatsachen aus dem Lebenslaufe des
Prinzen anders verstanden werden muß. Das liegt klar ausgesprochen vor
uns -- die einzelnen Zeugnisse habe ich damals zuerst zusammengestellt --.
daß Philipp die Besorgniß gehabt hat, sein eventueller Nachfolger werde
vielleicht nicht der Mann sein, in seinem Sinne seine Lebensaufgabe für die
Aufrichtung der katholischen Kirche fortzusetzen; ja in den Kreisen der spa¬
nischen Staatsmänner gefiel man sich die zugespitzte Phrase zu wiederholen,
im Dienste der Kirche, im Kampfe gegen die Ketzer würde der spanische König
nöthigenfalls des eigenen Sohnes nicht schonen. Und man hatte allen Anlaß
zu derartigen Betheuerungen gerade damals, als der deutsche Habsburger
Maximilian in dem sehr gegründeten Verdachte des Protestantismus stand
und als man alle Mittel aufbot, ihn im Schooße der katholischen Kirche zu
halten oder ihn dorthin zurückzutreiben: gerade im Hinblick auf diesen Apostaten
in der Familie erhält jene mehrfach wiederholte Aeußerung der Spanier einen
sehr prägnanten Sinn.*) Seitdem wir ferner wissen, was man 1562 als
Grund alles Mißbehagens über Don Carlos bezeichnet hat, bietet sich auch
für die Worte der Besorgniß des Vaters und des Königs über die Zukunft
des Sohnes und des Reiches eine ganz ungezwungene Erklärung: ein schwach¬
sinniger Prinz, der seine Arbeit fortsetzen sollte, mußte sicherlich dem Vater
die größte Unruhe erregen.

Im Jahre 1560 trat nun in die Umgebung des Prinzen seine Stief¬
mutter, die junge Königin Elisabeth ein. Elisabeth war ungefähr gleichalterig
mit Don Carlos (geboren am 13. April 1646); man hatte 1566 die beiden
zehnjährigen Kinder verlobt und sie mit einander dereinst zu vermählen die
Absicht gehabt. Der neue französisch-spanische Krieg seit 1657 hatte diesen
Pakt selbstverständlich zerrissen. In den Friedensverhandlungen aber von
1559 trat Philipp selbst, zum zweiten Male Wittwer, in diese Abmachungen
ein, er nahm sie selbst zur Frau. Anfangs 1660 kam die beinahe fünfzehn'
jährige Jungfrau als Königin nach Spanien.

Wir besitzen über diese jugendliche Fürstin eine sehr detaillirte und mit
exacten Angaben reichlich ausgearbeitete, auf sehr zuverlässige zeitgenössisch?



') Vgl. meine Abhandlung zur Geschichte Maximilian's II. in dem 32. Bande der Hist^
rischen Zeitschrift.

schon früher bemerkt worden ist, Angaben über den Eindruck jener Vorgänge
aus Don Carlos nicht vorhanden.

Was die kirchliche Haltung des Prinzen in späterer Zeit betrifft, so habe
ich in weiner früheren Abhandlung gezeigt, daß irgend welche plausibeln
Beweise für eine kirchliche Abweichung vom Katholicismus überhaupt weder
im früheren noch späteren Leben vorhanden sind, daß alles, was in diesem
Sinne vielleicht auf den ersten Blick verstanden werden könnte, im Hinblick
auf die ganz sicher bezeugten äußeren Thatsachen aus dem Lebenslaufe des
Prinzen anders verstanden werden muß. Das liegt klar ausgesprochen vor
uns — die einzelnen Zeugnisse habe ich damals zuerst zusammengestellt —.
daß Philipp die Besorgniß gehabt hat, sein eventueller Nachfolger werde
vielleicht nicht der Mann sein, in seinem Sinne seine Lebensaufgabe für die
Aufrichtung der katholischen Kirche fortzusetzen; ja in den Kreisen der spa¬
nischen Staatsmänner gefiel man sich die zugespitzte Phrase zu wiederholen,
im Dienste der Kirche, im Kampfe gegen die Ketzer würde der spanische König
nöthigenfalls des eigenen Sohnes nicht schonen. Und man hatte allen Anlaß
zu derartigen Betheuerungen gerade damals, als der deutsche Habsburger
Maximilian in dem sehr gegründeten Verdachte des Protestantismus stand
und als man alle Mittel aufbot, ihn im Schooße der katholischen Kirche zu
halten oder ihn dorthin zurückzutreiben: gerade im Hinblick auf diesen Apostaten
in der Familie erhält jene mehrfach wiederholte Aeußerung der Spanier einen
sehr prägnanten Sinn.*) Seitdem wir ferner wissen, was man 1562 als
Grund alles Mißbehagens über Don Carlos bezeichnet hat, bietet sich auch
für die Worte der Besorgniß des Vaters und des Königs über die Zukunft
des Sohnes und des Reiches eine ganz ungezwungene Erklärung: ein schwach¬
sinniger Prinz, der seine Arbeit fortsetzen sollte, mußte sicherlich dem Vater
die größte Unruhe erregen.

Im Jahre 1560 trat nun in die Umgebung des Prinzen seine Stief¬
mutter, die junge Königin Elisabeth ein. Elisabeth war ungefähr gleichalterig
mit Don Carlos (geboren am 13. April 1646); man hatte 1566 die beiden
zehnjährigen Kinder verlobt und sie mit einander dereinst zu vermählen die
Absicht gehabt. Der neue französisch-spanische Krieg seit 1657 hatte diesen
Pakt selbstverständlich zerrissen. In den Friedensverhandlungen aber von
1559 trat Philipp selbst, zum zweiten Male Wittwer, in diese Abmachungen
ein, er nahm sie selbst zur Frau. Anfangs 1660 kam die beinahe fünfzehn'
jährige Jungfrau als Königin nach Spanien.

Wir besitzen über diese jugendliche Fürstin eine sehr detaillirte und mit
exacten Angaben reichlich ausgearbeitete, auf sehr zuverlässige zeitgenössisch?



') Vgl. meine Abhandlung zur Geschichte Maximilian's II. in dem 32. Bande der Hist^
rischen Zeitschrift.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/254>, abgerufen am 28.07.2024.