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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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über den lasterhaften Hof Jsabella's II. auftischt, würde gewiß Niemand in
Vergleich oder in Gegensatz stellen mit einem Berichte Eines unserer Diplo¬
maten über Jsabella, die am spanischen Hof beglaubigt gewesen. Aehnlich ist
hier das Verhältniß der Quellen.

Nun weiß Schmidt auch allerlei zu sagen über die Voreingenommenheit
des Vaters gegen den Sohn, über den tiefen Gegensatz zwischen Beiden, den
er sogar recht dramatisch ausmalt, über den Entschluß Philipp's ihn von
allen Staatsangelegenheiten fern zu halten. Bei allen diesen Ausführungen,
die so spannend und so interessant zu lesen sind, kann man aber doch die
Frage nicht unterdrücken, woher dies alles gewußt wird? mit welchen Quellen¬
aussagen die einzelnen Angaben belegt werden sollen? Und wie seltsam ist diese
ganze Geschichte, sobald man sich nur nicht die Zeitangaben ganz entziehen
läßt. Von welchen Personen ist die Rede? Von einem Vater, der, als er
1SS9 nach Spanien heimkehrte, eben 32 Jahre alt geworden -- der also in
den Jahren, um die es sich in diesem Augenblick handelt 1SS9--1561 in der
ersten Hälfte der Dreißiger steht, und von einem Sohne, der noch nichts
weiter als ein Knabe von 14--16 Jahren ist. Wir hören aus der möglichst
sichersten Quelle, d. h. wir hören von dem Erzieher, dem alle Welt die
größten Lobsprüche schenkt (und mit Recht ertheilt sie ihm auch Schmidt), daß
es nicht gut stehe mit der Entwicklung des Knaben, der, wie wir sonst ver¬
nehmen, in diesen Jahren auch vielfach kränkelte und dahinsiechte. Wo in
aller Welt redet man in solchem Falle von "Gegensatz zwischen Vater und
Sohn"? Sonst pflegt man dies einen unerzogenen oder ungezogenen Jungen
zu nennen: wenn Einer nichts lernen will oder nichts lernen kann, so versucht
der Erzieher ihm das nöthige beizubringen, ohne Rücksicht aus die eigenen
Meinungen des Zöglings. Das wäre doch eine recht abenteuerliche Pädagogik,
die einem unerzogenen jungen Manne so ohne Weiteres das Recht einräumen
wollte, in kirchlichen und politischen Dingen als Vierzehn- bis Sechszehn¬
jähriger eigene Wege gehen zu wollen. Wer hat sonst als Entschuldigung
für schlechte Erziehungsresultate einen prinzipiellen Gegensatz des zu Erziehenden
zum Vater gelten lassen? Wer hier mit derartigem kommt, verschiebt un¬
willkürlich das natürliche Verhältniß der Personen zu einander. Was wir
hier wissen, ist nichts weiteres, als daß man mit Carlos' Erziehungsfrüchten
unzufrieden war. Die äußeren Ehren entzog ihm deßhalb kein Mensch, bei
den Staatsactionen trat er auf an der Stelle, wo er hingehörte; und gerne
hätte man ihn noch anders beschäftigt, als es bet dem damaligen Zustande
des Prinzen möglich erschien. Aber, wendet man ein, Philipp hat ihm nicht
Ehrenposten eingeräumt in der Verwaltung der spanischen Monarchie, wie es
sonst Sitte war! Das soll dann vom Mißtrauen des Vaters in die staats¬
gefährliche Richtung des Jungen Zeugniß ablegen! Zu diesen künstlichen


über den lasterhaften Hof Jsabella's II. auftischt, würde gewiß Niemand in
Vergleich oder in Gegensatz stellen mit einem Berichte Eines unserer Diplo¬
maten über Jsabella, die am spanischen Hof beglaubigt gewesen. Aehnlich ist
hier das Verhältniß der Quellen.

Nun weiß Schmidt auch allerlei zu sagen über die Voreingenommenheit
des Vaters gegen den Sohn, über den tiefen Gegensatz zwischen Beiden, den
er sogar recht dramatisch ausmalt, über den Entschluß Philipp's ihn von
allen Staatsangelegenheiten fern zu halten. Bei allen diesen Ausführungen,
die so spannend und so interessant zu lesen sind, kann man aber doch die
Frage nicht unterdrücken, woher dies alles gewußt wird? mit welchen Quellen¬
aussagen die einzelnen Angaben belegt werden sollen? Und wie seltsam ist diese
ganze Geschichte, sobald man sich nur nicht die Zeitangaben ganz entziehen
läßt. Von welchen Personen ist die Rede? Von einem Vater, der, als er
1SS9 nach Spanien heimkehrte, eben 32 Jahre alt geworden — der also in
den Jahren, um die es sich in diesem Augenblick handelt 1SS9—1561 in der
ersten Hälfte der Dreißiger steht, und von einem Sohne, der noch nichts
weiter als ein Knabe von 14—16 Jahren ist. Wir hören aus der möglichst
sichersten Quelle, d. h. wir hören von dem Erzieher, dem alle Welt die
größten Lobsprüche schenkt (und mit Recht ertheilt sie ihm auch Schmidt), daß
es nicht gut stehe mit der Entwicklung des Knaben, der, wie wir sonst ver¬
nehmen, in diesen Jahren auch vielfach kränkelte und dahinsiechte. Wo in
aller Welt redet man in solchem Falle von „Gegensatz zwischen Vater und
Sohn"? Sonst pflegt man dies einen unerzogenen oder ungezogenen Jungen
zu nennen: wenn Einer nichts lernen will oder nichts lernen kann, so versucht
der Erzieher ihm das nöthige beizubringen, ohne Rücksicht aus die eigenen
Meinungen des Zöglings. Das wäre doch eine recht abenteuerliche Pädagogik,
die einem unerzogenen jungen Manne so ohne Weiteres das Recht einräumen
wollte, in kirchlichen und politischen Dingen als Vierzehn- bis Sechszehn¬
jähriger eigene Wege gehen zu wollen. Wer hat sonst als Entschuldigung
für schlechte Erziehungsresultate einen prinzipiellen Gegensatz des zu Erziehenden
zum Vater gelten lassen? Wer hier mit derartigem kommt, verschiebt un¬
willkürlich das natürliche Verhältniß der Personen zu einander. Was wir
hier wissen, ist nichts weiteres, als daß man mit Carlos' Erziehungsfrüchten
unzufrieden war. Die äußeren Ehren entzog ihm deßhalb kein Mensch, bei
den Staatsactionen trat er auf an der Stelle, wo er hingehörte; und gerne
hätte man ihn noch anders beschäftigt, als es bet dem damaligen Zustande
des Prinzen möglich erschien. Aber, wendet man ein, Philipp hat ihm nicht
Ehrenposten eingeräumt in der Verwaltung der spanischen Monarchie, wie es
sonst Sitte war! Das soll dann vom Mißtrauen des Vaters in die staats¬
gefährliche Richtung des Jungen Zeugniß ablegen! Zu diesen künstlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/252>, abgerufen am 28.07.2024.