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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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das Verfahren vereinfacht werde, waren noch überdies drei Inquisitoren er¬
nannt, von denen Niemand wissen durfte, wer sie waren und wo sie tagten:
aber sie waren da und ihre unsichtbare Allgegenwart lag wie ein dunkler
Bann auf den Gemüthern.

Nicht in dem hochgewölbten Pallaste des Dogen, wo das Gold die Decke
füllt, wo eine freie Kunst ihre Schätze schuf, lernen wir die letzte Wahrheit
über Venedig kennen.

Wir müssen tiefer herunter steigen bis hinab in die xo22i, in die Kerker,
die unter dem Wasserspiegel liegen oder empor in die heißen bleiernen
Kammern -- dann ahnen wir den heimlichen Wurm, der diese Schönheit
benagte, dann fühlen wir mit unsagbaren Grauen den Schatten, der auf
dem Gewissen der stolzen Meereskönigin Venedig lastet. Und auch dieser
Schatten gehört zum vollen Bilde.

Wer wüßte es nicht, wovon die Seufzerbrücke ihren Namen trägt, jener
wunderbare schmuckvolle Bogen, welcher über den Rio act kath-ixo führt aus
der herrlichsten Schönheit in den tiefsten Jammer!

Und wer hätte unbewegt die furchtbaren xiomxj gesehen?

Es war ein wunderbarer Morgen im Mai als wir dort oben standen,
zuerst in den Gefängnißzellen und dann in der Folterkammer, an deren Decke
noch der Hacken hängt, daran man die Unglücklichen emporzog, deren Boden
mit glatten Steinen bedeckt ist, damit das Blut sich leicht verwische. Man
schaudert.

Ich dachte zurück an jene Zeit der Dandolo und Morosini, an die letzte
Nacht derjenigen, die hier zum Tode verurtheilt waren, und an die Qualen
derer, denen man hier ihr Schuldig abgepreßt. Der Markusplatz liegt fast
zu Füßen; man hört des Abends die rauschende Musik und die schwärmenden
Maskenzüge -- es wird ein Fest gefeiert und droben unter den bleiernen
Dächern liegt brütend ein Mann, den morgen der Henker weckt. Vielleicht
ist auch er im fröhlichen Gewühle, der Freund, der ihn verrathen, und der
Mond, dessen Licht nur durch die Ritzen glimmt, leuchtet der Gondel, in der
sein schönes Weib um fremde Minne wirbt. Er stöhnt, er stößt sich mit der
Hand vor die Stirne


nkssun' MgMvr äolor"
ode riooräarsi <Zol tsmxo teliov
pella miseria

(Dante V. 41.)

Auch das ist Venedig - mit einem Gefühl der Erlösung treten wir
wieder hinaus ins Freie, auf die herrliche Piazzetta. wo der Odem des
Meeres weht, wo La Zeeca ihre Säulenhallen öffnet, jene uralte Münzstätte,
die schon 1280 goldene Zecchinen prägte. Und welches Gewühl von Gondeln,
von allen Seiten schallt es: Ls, bares, siMorö? Lommanäa la bares? Das


das Verfahren vereinfacht werde, waren noch überdies drei Inquisitoren er¬
nannt, von denen Niemand wissen durfte, wer sie waren und wo sie tagten:
aber sie waren da und ihre unsichtbare Allgegenwart lag wie ein dunkler
Bann auf den Gemüthern.

Nicht in dem hochgewölbten Pallaste des Dogen, wo das Gold die Decke
füllt, wo eine freie Kunst ihre Schätze schuf, lernen wir die letzte Wahrheit
über Venedig kennen.

Wir müssen tiefer herunter steigen bis hinab in die xo22i, in die Kerker,
die unter dem Wasserspiegel liegen oder empor in die heißen bleiernen
Kammern — dann ahnen wir den heimlichen Wurm, der diese Schönheit
benagte, dann fühlen wir mit unsagbaren Grauen den Schatten, der auf
dem Gewissen der stolzen Meereskönigin Venedig lastet. Und auch dieser
Schatten gehört zum vollen Bilde.

Wer wüßte es nicht, wovon die Seufzerbrücke ihren Namen trägt, jener
wunderbare schmuckvolle Bogen, welcher über den Rio act kath-ixo führt aus
der herrlichsten Schönheit in den tiefsten Jammer!

Und wer hätte unbewegt die furchtbaren xiomxj gesehen?

Es war ein wunderbarer Morgen im Mai als wir dort oben standen,
zuerst in den Gefängnißzellen und dann in der Folterkammer, an deren Decke
noch der Hacken hängt, daran man die Unglücklichen emporzog, deren Boden
mit glatten Steinen bedeckt ist, damit das Blut sich leicht verwische. Man
schaudert.

Ich dachte zurück an jene Zeit der Dandolo und Morosini, an die letzte
Nacht derjenigen, die hier zum Tode verurtheilt waren, und an die Qualen
derer, denen man hier ihr Schuldig abgepreßt. Der Markusplatz liegt fast
zu Füßen; man hört des Abends die rauschende Musik und die schwärmenden
Maskenzüge — es wird ein Fest gefeiert und droben unter den bleiernen
Dächern liegt brütend ein Mann, den morgen der Henker weckt. Vielleicht
ist auch er im fröhlichen Gewühle, der Freund, der ihn verrathen, und der
Mond, dessen Licht nur durch die Ritzen glimmt, leuchtet der Gondel, in der
sein schönes Weib um fremde Minne wirbt. Er stöhnt, er stößt sich mit der
Hand vor die Stirne


nkssun' MgMvr äolor«
ode riooräarsi <Zol tsmxo teliov
pella miseria

(Dante V. 41.)

Auch das ist Venedig - mit einem Gefühl der Erlösung treten wir
wieder hinaus ins Freie, auf die herrliche Piazzetta. wo der Odem des
Meeres weht, wo La Zeeca ihre Säulenhallen öffnet, jene uralte Münzstätte,
die schon 1280 goldene Zecchinen prägte. Und welches Gewühl von Gondeln,
von allen Seiten schallt es: Ls, bares, siMorö? Lommanäa la bares? Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/56>, abgerufen am 22.07.2024.