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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Hier soll nun aus den Aufzeichnungen Butzbach's nur das zusammen¬
gestellt werden, was er in einer ganzen Reihe von Capiteln*) über Böhmen
und seine Bewohner mittheilt.

Sehr fremdartig berührte den Deutschen die Alleinherrschaft des
Tschechenthums und des hussitischen Utraquismus. Gegenden, welche^vorher
deutsch waren und jetzt wiederum deutsch sind, erschienen ihm völlig tschechistrt.
Im ganzen nördlichen Böhmen, in den Kreisen von Eger, Saatz, Leitmeritz,
z. B. in den Orten Luditz, Karlsbad, Komotau, Maschau, Kulm (bei.
Teplitz) wog die tschechische Bevölkerung so vor, daß mit der deutschen Sprache
Niemand durchzukommen vermochte und auch Butzbach sich genöthigt sah,
Tschechisch zu lernen. Aus anderen Quellen wissen wir, daß damals in Prag
kaum einer oder der andere Rathsherr Deutsch verstand und daß^auch bei den
böhmischen Edelleuten die Kenntniß dieser Sprache äußerst selten war. Und
auffallend trat schon in jener Zeit der tschechische Nationaldünkel hervor.
"Von ihrer Sprache behaupten sie", erzählt unser Gewährsmann, "es sei eine
von den zwei und siebenzig, welche bei der Verwirrung des babylonischen
Thurmes entstanden seien -- und folglich sei sie unter allen slavischen
Sprachen die erste."

Nicht weniger aber wie national und politisch das Tschechenthum, domi-
nirte kirchlich der hussitische Utraquismus. Butzbach als treuen Katholiken
schmerzte tief die Vernichtung des alten kirchlichen Glanzes, der ehedem in
Böhmen geherrscht hatte; wehmüthig berichtet er von der Zerstörung der
prachtvollen Abtei Königssaal und der vier Bettelklöster in Prag. So wenig
machte der Katholicismus sich bemerklich, namentlich auf dem platten Lande,
daß Butzbach zu seinem großen Schmerze fünf Jahre lang nicht nach dem
Ritus seiner Kirche communiciren konnte; nur die Städte Schlau und Laun
sollen katholisch gewesen sein, in andern, wie Maschau. Brüx, Komotau. auch
auf der Kleinseite Prag gab es kleine katholische Gemeinden. Dabei trug
dieser Utraquismus eine ausgesprochen tschechische Färbung, denn die Bibel
war in die herrschende Landessprache übersetzt, die Sprache des Gottesdienstes
und der Gebete war tschechisch, was Butzbach so merkwürdig erschien, daß er
die tschechische Fassung des Paternoster, des Ave Maria und des Credo mit¬
theilt. Auch die wichtigsten Lehrsätze zeichnet er übrigens meist nach Aeneas
Silvius auf, und auch, was ihm an den Cultusgebräuchen selber auffiel, wie
die Geberde beim Beten (Ausbreiten der Arme), der Mangel des Rosen¬
kranzes, das Unterlassen der Weihen, vor allem die Communion unter beiderlei
Gestalt. Uebrigens hatte er nicht gar oft Gelegenheit, hussitischen Gottes¬
dienst zu beobachten, "da ich", fügt er hinzu, "mein Leben meist unter Dorf-



") I. Buch, <5ap. 15--25. II. Buch. Cap. 1--21.

Hier soll nun aus den Aufzeichnungen Butzbach's nur das zusammen¬
gestellt werden, was er in einer ganzen Reihe von Capiteln*) über Böhmen
und seine Bewohner mittheilt.

Sehr fremdartig berührte den Deutschen die Alleinherrschaft des
Tschechenthums und des hussitischen Utraquismus. Gegenden, welche^vorher
deutsch waren und jetzt wiederum deutsch sind, erschienen ihm völlig tschechistrt.
Im ganzen nördlichen Böhmen, in den Kreisen von Eger, Saatz, Leitmeritz,
z. B. in den Orten Luditz, Karlsbad, Komotau, Maschau, Kulm (bei.
Teplitz) wog die tschechische Bevölkerung so vor, daß mit der deutschen Sprache
Niemand durchzukommen vermochte und auch Butzbach sich genöthigt sah,
Tschechisch zu lernen. Aus anderen Quellen wissen wir, daß damals in Prag
kaum einer oder der andere Rathsherr Deutsch verstand und daß^auch bei den
böhmischen Edelleuten die Kenntniß dieser Sprache äußerst selten war. Und
auffallend trat schon in jener Zeit der tschechische Nationaldünkel hervor.
„Von ihrer Sprache behaupten sie", erzählt unser Gewährsmann, „es sei eine
von den zwei und siebenzig, welche bei der Verwirrung des babylonischen
Thurmes entstanden seien — und folglich sei sie unter allen slavischen
Sprachen die erste."

Nicht weniger aber wie national und politisch das Tschechenthum, domi-
nirte kirchlich der hussitische Utraquismus. Butzbach als treuen Katholiken
schmerzte tief die Vernichtung des alten kirchlichen Glanzes, der ehedem in
Böhmen geherrscht hatte; wehmüthig berichtet er von der Zerstörung der
prachtvollen Abtei Königssaal und der vier Bettelklöster in Prag. So wenig
machte der Katholicismus sich bemerklich, namentlich auf dem platten Lande,
daß Butzbach zu seinem großen Schmerze fünf Jahre lang nicht nach dem
Ritus seiner Kirche communiciren konnte; nur die Städte Schlau und Laun
sollen katholisch gewesen sein, in andern, wie Maschau. Brüx, Komotau. auch
auf der Kleinseite Prag gab es kleine katholische Gemeinden. Dabei trug
dieser Utraquismus eine ausgesprochen tschechische Färbung, denn die Bibel
war in die herrschende Landessprache übersetzt, die Sprache des Gottesdienstes
und der Gebete war tschechisch, was Butzbach so merkwürdig erschien, daß er
die tschechische Fassung des Paternoster, des Ave Maria und des Credo mit¬
theilt. Auch die wichtigsten Lehrsätze zeichnet er übrigens meist nach Aeneas
Silvius auf, und auch, was ihm an den Cultusgebräuchen selber auffiel, wie
die Geberde beim Beten (Ausbreiten der Arme), der Mangel des Rosen¬
kranzes, das Unterlassen der Weihen, vor allem die Communion unter beiderlei
Gestalt. Uebrigens hatte er nicht gar oft Gelegenheit, hussitischen Gottes¬
dienst zu beobachten, „da ich", fügt er hinzu, „mein Leben meist unter Dorf-



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[0463] Hier soll nun aus den Aufzeichnungen Butzbach's nur das zusammen¬ gestellt werden, was er in einer ganzen Reihe von Capiteln*) über Böhmen und seine Bewohner mittheilt. Sehr fremdartig berührte den Deutschen die Alleinherrschaft des Tschechenthums und des hussitischen Utraquismus. Gegenden, welche^vorher deutsch waren und jetzt wiederum deutsch sind, erschienen ihm völlig tschechistrt. Im ganzen nördlichen Böhmen, in den Kreisen von Eger, Saatz, Leitmeritz, z. B. in den Orten Luditz, Karlsbad, Komotau, Maschau, Kulm (bei. Teplitz) wog die tschechische Bevölkerung so vor, daß mit der deutschen Sprache Niemand durchzukommen vermochte und auch Butzbach sich genöthigt sah, Tschechisch zu lernen. Aus anderen Quellen wissen wir, daß damals in Prag kaum einer oder der andere Rathsherr Deutsch verstand und daß^auch bei den böhmischen Edelleuten die Kenntniß dieser Sprache äußerst selten war. Und auffallend trat schon in jener Zeit der tschechische Nationaldünkel hervor. „Von ihrer Sprache behaupten sie", erzählt unser Gewährsmann, „es sei eine von den zwei und siebenzig, welche bei der Verwirrung des babylonischen Thurmes entstanden seien — und folglich sei sie unter allen slavischen Sprachen die erste." Nicht weniger aber wie national und politisch das Tschechenthum, domi- nirte kirchlich der hussitische Utraquismus. Butzbach als treuen Katholiken schmerzte tief die Vernichtung des alten kirchlichen Glanzes, der ehedem in Böhmen geherrscht hatte; wehmüthig berichtet er von der Zerstörung der prachtvollen Abtei Königssaal und der vier Bettelklöster in Prag. So wenig machte der Katholicismus sich bemerklich, namentlich auf dem platten Lande, daß Butzbach zu seinem großen Schmerze fünf Jahre lang nicht nach dem Ritus seiner Kirche communiciren konnte; nur die Städte Schlau und Laun sollen katholisch gewesen sein, in andern, wie Maschau. Brüx, Komotau. auch auf der Kleinseite Prag gab es kleine katholische Gemeinden. Dabei trug dieser Utraquismus eine ausgesprochen tschechische Färbung, denn die Bibel war in die herrschende Landessprache übersetzt, die Sprache des Gottesdienstes und der Gebete war tschechisch, was Butzbach so merkwürdig erschien, daß er die tschechische Fassung des Paternoster, des Ave Maria und des Credo mit¬ theilt. Auch die wichtigsten Lehrsätze zeichnet er übrigens meist nach Aeneas Silvius auf, und auch, was ihm an den Cultusgebräuchen selber auffiel, wie die Geberde beim Beten (Ausbreiten der Arme), der Mangel des Rosen¬ kranzes, das Unterlassen der Weihen, vor allem die Communion unter beiderlei Gestalt. Uebrigens hatte er nicht gar oft Gelegenheit, hussitischen Gottes¬ dienst zu beobachten, „da ich", fügt er hinzu, „mein Leben meist unter Dorf- ") I. Buch, <5ap. 15—25. II. Buch. Cap. 1—21.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/463>, abgerufen am 22.07.2024.