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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Urtheil eines ordentlichen Gerichts; aber freilich dem nächsten besten Schieds¬
spruch kann der Staat aus naheliegenden Gründen eine solche Bedeutung
nicht beilegen; soll das Urtheil des Schiedsgerichts hierauf Anspruch machen
können, so muß seine Verfassung eine Gewähr für die Güte des Urtheils
bieten.

Hinsichtlich der Gleichberechtigung des schiedsgerichtlichen Urtheils mit
dem gerichtlichen sind es wesentlich drei Punkte, welche in Betracht kommen:
der von dem Schiedsgericht auferlegte Eid, die Vollstreckbarkett und
die Anfechtbarkeit des Schiedsspruches. -- Die Frage des Eides hat den
seinerzeit in Württemberg bestandenen Handelsschiedsgerichten das Leben ge¬
kostet; ohne Eid kann kein Gericht, auch kein Schiedsgericht auskommen; nun
kann zwar ein solcher auch von einem gewöhnlichen Schiedsrichter auferlegt
und abgenommen werden, allein dieser Eid entbehrt des strafrechtlichen
Schutzes und ist ebendarum ein sehr unvollkommenes Mittel zur Erforschung
der Wahrheit; und auf die Anfrage eines Handelsschiedsgerichtes, ob die von
ihm auferlegten Eide nicht von derjenigen Behörde abgenommen werden
können, welcher die Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen sei,
erging ein abschlägiger Bescheid, da die württembergische Bureaukratie (vor
1848) es "bei der amtlichen Stellung eines staatlichen Gerichts nicht für
Passend erachtete, wenn es in dieser Beziehung für die Zwecke eines Privat¬
schiedsgerichts sich verwenden lassen wollte". -- Der Ausspruch eines gewöhn¬
lichen Schiedsgerichts ist nicht vollstreckbar, vielmehr muß, wenn der
Verurtheilte ihm nachzukommen weigert, bei dem ordentlichen Gericht auf
Erfüllung des Spruchs geklagt werden: der Verurtheilte kann nun von Neuem
Processiren, allerdings selten mit Aussicht auf Erfolg, weil der Richter bloß
aus dem Grund, weil er anders erkannt hätte, die Klage auf Erfüllung des
Schiedsspruchs nicht abweisen darf: der Schiedsspruch ist regelmäßig unan¬
fechtbar.

In allen drei Richtungen kann das bestehende Recht durch Gesetz ge¬
ändert werden, ohne daß das innerste Wesen des Schiedsgerichts alterirt
würde; ein reines Pnvatschiedsgericht wäre allerdings das Schiedsgericht nicht
mehr, welches die Befugniß hätte, Eide mit derselben Wirkung wie eine staat¬
liche Behörde abzunehmen, und einerseits vollstreckbare, anderseits mit Rechts¬
mitteln anfechtbare Urtheile zu fällen; allein wie die Innungen der Reichs¬
gewerbe-Ordnung zwar keine Staatsanstalten sind, aber doch einen öffentlich¬
rechtlichen Charakter an sich tragen (vgl. Gewerbe-Ordnung §§. 83--85, 94,
9S), so würden die Handelsschiedsgerichte dadurch, daß sie bis zu einem gewissen
Grad mit öffentlich-rechtlichem Charakter bekleidet würden, noch nicht zu staat¬
lichen Gerichten; ihre Stellung hielte die Mitte zwischen ordentlichen Gerichten
und reinen Schiedsgerichten; wenn nur ihre Aufgabe fest umschrieben ist, so


Urtheil eines ordentlichen Gerichts; aber freilich dem nächsten besten Schieds¬
spruch kann der Staat aus naheliegenden Gründen eine solche Bedeutung
nicht beilegen; soll das Urtheil des Schiedsgerichts hierauf Anspruch machen
können, so muß seine Verfassung eine Gewähr für die Güte des Urtheils
bieten.

Hinsichtlich der Gleichberechtigung des schiedsgerichtlichen Urtheils mit
dem gerichtlichen sind es wesentlich drei Punkte, welche in Betracht kommen:
der von dem Schiedsgericht auferlegte Eid, die Vollstreckbarkett und
die Anfechtbarkeit des Schiedsspruches. — Die Frage des Eides hat den
seinerzeit in Württemberg bestandenen Handelsschiedsgerichten das Leben ge¬
kostet; ohne Eid kann kein Gericht, auch kein Schiedsgericht auskommen; nun
kann zwar ein solcher auch von einem gewöhnlichen Schiedsrichter auferlegt
und abgenommen werden, allein dieser Eid entbehrt des strafrechtlichen
Schutzes und ist ebendarum ein sehr unvollkommenes Mittel zur Erforschung
der Wahrheit; und auf die Anfrage eines Handelsschiedsgerichtes, ob die von
ihm auferlegten Eide nicht von derjenigen Behörde abgenommen werden
können, welcher die Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen sei,
erging ein abschlägiger Bescheid, da die württembergische Bureaukratie (vor
1848) es „bei der amtlichen Stellung eines staatlichen Gerichts nicht für
Passend erachtete, wenn es in dieser Beziehung für die Zwecke eines Privat¬
schiedsgerichts sich verwenden lassen wollte". — Der Ausspruch eines gewöhn¬
lichen Schiedsgerichts ist nicht vollstreckbar, vielmehr muß, wenn der
Verurtheilte ihm nachzukommen weigert, bei dem ordentlichen Gericht auf
Erfüllung des Spruchs geklagt werden: der Verurtheilte kann nun von Neuem
Processiren, allerdings selten mit Aussicht auf Erfolg, weil der Richter bloß
aus dem Grund, weil er anders erkannt hätte, die Klage auf Erfüllung des
Schiedsspruchs nicht abweisen darf: der Schiedsspruch ist regelmäßig unan¬
fechtbar.

In allen drei Richtungen kann das bestehende Recht durch Gesetz ge¬
ändert werden, ohne daß das innerste Wesen des Schiedsgerichts alterirt
würde; ein reines Pnvatschiedsgericht wäre allerdings das Schiedsgericht nicht
mehr, welches die Befugniß hätte, Eide mit derselben Wirkung wie eine staat¬
liche Behörde abzunehmen, und einerseits vollstreckbare, anderseits mit Rechts¬
mitteln anfechtbare Urtheile zu fällen; allein wie die Innungen der Reichs¬
gewerbe-Ordnung zwar keine Staatsanstalten sind, aber doch einen öffentlich¬
rechtlichen Charakter an sich tragen (vgl. Gewerbe-Ordnung §§. 83—85, 94,
9S), so würden die Handelsschiedsgerichte dadurch, daß sie bis zu einem gewissen
Grad mit öffentlich-rechtlichem Charakter bekleidet würden, noch nicht zu staat¬
lichen Gerichten; ihre Stellung hielte die Mitte zwischen ordentlichen Gerichten
und reinen Schiedsgerichten; wenn nur ihre Aufgabe fest umschrieben ist, so


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[0423] Urtheil eines ordentlichen Gerichts; aber freilich dem nächsten besten Schieds¬ spruch kann der Staat aus naheliegenden Gründen eine solche Bedeutung nicht beilegen; soll das Urtheil des Schiedsgerichts hierauf Anspruch machen können, so muß seine Verfassung eine Gewähr für die Güte des Urtheils bieten. Hinsichtlich der Gleichberechtigung des schiedsgerichtlichen Urtheils mit dem gerichtlichen sind es wesentlich drei Punkte, welche in Betracht kommen: der von dem Schiedsgericht auferlegte Eid, die Vollstreckbarkett und die Anfechtbarkeit des Schiedsspruches. — Die Frage des Eides hat den seinerzeit in Württemberg bestandenen Handelsschiedsgerichten das Leben ge¬ kostet; ohne Eid kann kein Gericht, auch kein Schiedsgericht auskommen; nun kann zwar ein solcher auch von einem gewöhnlichen Schiedsrichter auferlegt und abgenommen werden, allein dieser Eid entbehrt des strafrechtlichen Schutzes und ist ebendarum ein sehr unvollkommenes Mittel zur Erforschung der Wahrheit; und auf die Anfrage eines Handelsschiedsgerichtes, ob die von ihm auferlegten Eide nicht von derjenigen Behörde abgenommen werden können, welcher die Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen sei, erging ein abschlägiger Bescheid, da die württembergische Bureaukratie (vor 1848) es „bei der amtlichen Stellung eines staatlichen Gerichts nicht für Passend erachtete, wenn es in dieser Beziehung für die Zwecke eines Privat¬ schiedsgerichts sich verwenden lassen wollte". — Der Ausspruch eines gewöhn¬ lichen Schiedsgerichts ist nicht vollstreckbar, vielmehr muß, wenn der Verurtheilte ihm nachzukommen weigert, bei dem ordentlichen Gericht auf Erfüllung des Spruchs geklagt werden: der Verurtheilte kann nun von Neuem Processiren, allerdings selten mit Aussicht auf Erfolg, weil der Richter bloß aus dem Grund, weil er anders erkannt hätte, die Klage auf Erfüllung des Schiedsspruchs nicht abweisen darf: der Schiedsspruch ist regelmäßig unan¬ fechtbar. In allen drei Richtungen kann das bestehende Recht durch Gesetz ge¬ ändert werden, ohne daß das innerste Wesen des Schiedsgerichts alterirt würde; ein reines Pnvatschiedsgericht wäre allerdings das Schiedsgericht nicht mehr, welches die Befugniß hätte, Eide mit derselben Wirkung wie eine staat¬ liche Behörde abzunehmen, und einerseits vollstreckbare, anderseits mit Rechts¬ mitteln anfechtbare Urtheile zu fällen; allein wie die Innungen der Reichs¬ gewerbe-Ordnung zwar keine Staatsanstalten sind, aber doch einen öffentlich¬ rechtlichen Charakter an sich tragen (vgl. Gewerbe-Ordnung §§. 83—85, 94, 9S), so würden die Handelsschiedsgerichte dadurch, daß sie bis zu einem gewissen Grad mit öffentlich-rechtlichem Charakter bekleidet würden, noch nicht zu staat¬ lichen Gerichten; ihre Stellung hielte die Mitte zwischen ordentlichen Gerichten und reinen Schiedsgerichten; wenn nur ihre Aufgabe fest umschrieben ist, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/423>, abgerufen am 22.07.2024.