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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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langen. Schon daß die Mehrheit des Juristentags sich entschließen mußte,
in letzterer Richtung Ausnahmen zuzulassen, beweist das Mißliche des Be¬
schlusses ; in einer großen Handelsstadt wird es allerdings nicht an Kaufherren
fehlen, welche durch umfassende Bildung zum Amt eines Richters ebensogut
und besser befähigt sind, als ein "studirter" Beamter, welchem, um uns eines
unlängst von dem Abgeordneten Herz in der bayrischen Kammer gebrauchten
Ausdrucks zu bedienen, über der Gelehrsamkeit der gesunde Menschenverstand
abhanden gekommen ist. Allein der Kleinhändler, welcher hinter dem Laden¬
tisch aufgewachsen ist, vermag wohl den Meter und das Kilogramm, nicht
aber die Wechselordnung und das Handelsgesetzbuch zu handhaben, er ist in
Handelssachen nicht mehr und nicht weniger zum Richter geschaffen, als
ein anderer Bürger in gewöhnlichen bürgerlichen Streitsachen; und wo soll
nun die Grenze zu ziehen sein zwischen den Orten, welche mit Handels-
gerichten auszustatten sind, und denjenigen, wo wegen Unbrauch harten
der im Sprengel wohnenden Kaufleute die Gerichtsbarkeit in
Handelssachen den ordentlichen Gerichten übertragen wird? -- Freilich scheint
der Entwurf des Gerichtsverfasfungsgesetzss hierauf eine Antwort zu geben:
besondere Handelsgerichte sollen nur da errichtet werden, wo ein Bedürfniß
dafür besteht; allein unschwer kann man sich vorstellen, wie sich nach dieser
Bestimmung die Sache gestalten wird: überall werden die Kaufleute, und
wäre es auch nur um der lieben Eitelkeit willen, um ein eigenes Gericht
für sich und ihre Streitigkeiten zu haben, die Ueberzeugung aussprechen, daß
Handelsgerichte ein tief gefühltes Bedürfniß seien, -- um so lauter, je weniger
Opfer sie persönlich für solche Gerichte zu bringen haben; und nun denke
man sich, wie es in dem einzelnen Bundesstaat weiter gehen wird. In
Württemberg z. B. bestehen zur Zeit acht Kreisgerichte, welche mit der künf¬
tigen Gerichtsverfassung sich in acht Landgerichte verwandeln werden, und
Zwar in Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Tübingen, Rottweil, Hall, Ellwangen
und Ravensburg; unter diesen Städten können zwei, höchstens drei: Heilbronn,
Stuttgart und Ulm auf das Prädikat einer Handelsstadt Anspruch machen;
allein die "Kaufleute" der übrigen Sprengel werden keineswegs "ihre" Handels¬
gerichte aufgeben wollen; und welcher Minister wird geneigt sein, den "Kauf¬
herren" von Tübingen, Rottweil u. s. w. ins Gesicht zu sagen: "Euch kann
Man zu Handelsrichtern nicht brauchen?" Um Niemand vor den Kopf zu
stoßen, wird man, wo es nur irgend angeht, Handelsgerichte errichten; ob
damit der Rechtsprechung gedient ist, möchten wir bezweifeln; auch das Publikum
Wird zu diesen Gerichten kein übermäßiges Vertrauen haben; selbst in einer
der oben genannten drei württembergischen Handelsstädte erklärte einmal ein
Anwalt, daß er ein für alle Male auf die Mitwirkung kaufmännischer Richter
verzichte; und ehe er fünf Minuten wartet, bis zwei Handelsschöffen hervei-


Grenzvotm III. 1874. 52

langen. Schon daß die Mehrheit des Juristentags sich entschließen mußte,
in letzterer Richtung Ausnahmen zuzulassen, beweist das Mißliche des Be¬
schlusses ; in einer großen Handelsstadt wird es allerdings nicht an Kaufherren
fehlen, welche durch umfassende Bildung zum Amt eines Richters ebensogut
und besser befähigt sind, als ein „studirter" Beamter, welchem, um uns eines
unlängst von dem Abgeordneten Herz in der bayrischen Kammer gebrauchten
Ausdrucks zu bedienen, über der Gelehrsamkeit der gesunde Menschenverstand
abhanden gekommen ist. Allein der Kleinhändler, welcher hinter dem Laden¬
tisch aufgewachsen ist, vermag wohl den Meter und das Kilogramm, nicht
aber die Wechselordnung und das Handelsgesetzbuch zu handhaben, er ist in
Handelssachen nicht mehr und nicht weniger zum Richter geschaffen, als
ein anderer Bürger in gewöhnlichen bürgerlichen Streitsachen; und wo soll
nun die Grenze zu ziehen sein zwischen den Orten, welche mit Handels-
gerichten auszustatten sind, und denjenigen, wo wegen Unbrauch harten
der im Sprengel wohnenden Kaufleute die Gerichtsbarkeit in
Handelssachen den ordentlichen Gerichten übertragen wird? — Freilich scheint
der Entwurf des Gerichtsverfasfungsgesetzss hierauf eine Antwort zu geben:
besondere Handelsgerichte sollen nur da errichtet werden, wo ein Bedürfniß
dafür besteht; allein unschwer kann man sich vorstellen, wie sich nach dieser
Bestimmung die Sache gestalten wird: überall werden die Kaufleute, und
wäre es auch nur um der lieben Eitelkeit willen, um ein eigenes Gericht
für sich und ihre Streitigkeiten zu haben, die Ueberzeugung aussprechen, daß
Handelsgerichte ein tief gefühltes Bedürfniß seien, — um so lauter, je weniger
Opfer sie persönlich für solche Gerichte zu bringen haben; und nun denke
man sich, wie es in dem einzelnen Bundesstaat weiter gehen wird. In
Württemberg z. B. bestehen zur Zeit acht Kreisgerichte, welche mit der künf¬
tigen Gerichtsverfassung sich in acht Landgerichte verwandeln werden, und
Zwar in Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Tübingen, Rottweil, Hall, Ellwangen
und Ravensburg; unter diesen Städten können zwei, höchstens drei: Heilbronn,
Stuttgart und Ulm auf das Prädikat einer Handelsstadt Anspruch machen;
allein die „Kaufleute" der übrigen Sprengel werden keineswegs „ihre" Handels¬
gerichte aufgeben wollen; und welcher Minister wird geneigt sein, den „Kauf¬
herren" von Tübingen, Rottweil u. s. w. ins Gesicht zu sagen: „Euch kann
Man zu Handelsrichtern nicht brauchen?" Um Niemand vor den Kopf zu
stoßen, wird man, wo es nur irgend angeht, Handelsgerichte errichten; ob
damit der Rechtsprechung gedient ist, möchten wir bezweifeln; auch das Publikum
Wird zu diesen Gerichten kein übermäßiges Vertrauen haben; selbst in einer
der oben genannten drei württembergischen Handelsstädte erklärte einmal ein
Anwalt, daß er ein für alle Male auf die Mitwirkung kaufmännischer Richter
verzichte; und ehe er fünf Minuten wartet, bis zwei Handelsschöffen hervei-


Grenzvotm III. 1874. 52
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[0417] langen. Schon daß die Mehrheit des Juristentags sich entschließen mußte, in letzterer Richtung Ausnahmen zuzulassen, beweist das Mißliche des Be¬ schlusses ; in einer großen Handelsstadt wird es allerdings nicht an Kaufherren fehlen, welche durch umfassende Bildung zum Amt eines Richters ebensogut und besser befähigt sind, als ein „studirter" Beamter, welchem, um uns eines unlängst von dem Abgeordneten Herz in der bayrischen Kammer gebrauchten Ausdrucks zu bedienen, über der Gelehrsamkeit der gesunde Menschenverstand abhanden gekommen ist. Allein der Kleinhändler, welcher hinter dem Laden¬ tisch aufgewachsen ist, vermag wohl den Meter und das Kilogramm, nicht aber die Wechselordnung und das Handelsgesetzbuch zu handhaben, er ist in Handelssachen nicht mehr und nicht weniger zum Richter geschaffen, als ein anderer Bürger in gewöhnlichen bürgerlichen Streitsachen; und wo soll nun die Grenze zu ziehen sein zwischen den Orten, welche mit Handels- gerichten auszustatten sind, und denjenigen, wo wegen Unbrauch harten der im Sprengel wohnenden Kaufleute die Gerichtsbarkeit in Handelssachen den ordentlichen Gerichten übertragen wird? — Freilich scheint der Entwurf des Gerichtsverfasfungsgesetzss hierauf eine Antwort zu geben: besondere Handelsgerichte sollen nur da errichtet werden, wo ein Bedürfniß dafür besteht; allein unschwer kann man sich vorstellen, wie sich nach dieser Bestimmung die Sache gestalten wird: überall werden die Kaufleute, und wäre es auch nur um der lieben Eitelkeit willen, um ein eigenes Gericht für sich und ihre Streitigkeiten zu haben, die Ueberzeugung aussprechen, daß Handelsgerichte ein tief gefühltes Bedürfniß seien, — um so lauter, je weniger Opfer sie persönlich für solche Gerichte zu bringen haben; und nun denke man sich, wie es in dem einzelnen Bundesstaat weiter gehen wird. In Württemberg z. B. bestehen zur Zeit acht Kreisgerichte, welche mit der künf¬ tigen Gerichtsverfassung sich in acht Landgerichte verwandeln werden, und Zwar in Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Tübingen, Rottweil, Hall, Ellwangen und Ravensburg; unter diesen Städten können zwei, höchstens drei: Heilbronn, Stuttgart und Ulm auf das Prädikat einer Handelsstadt Anspruch machen; allein die „Kaufleute" der übrigen Sprengel werden keineswegs „ihre" Handels¬ gerichte aufgeben wollen; und welcher Minister wird geneigt sein, den „Kauf¬ herren" von Tübingen, Rottweil u. s. w. ins Gesicht zu sagen: „Euch kann Man zu Handelsrichtern nicht brauchen?" Um Niemand vor den Kopf zu stoßen, wird man, wo es nur irgend angeht, Handelsgerichte errichten; ob damit der Rechtsprechung gedient ist, möchten wir bezweifeln; auch das Publikum Wird zu diesen Gerichten kein übermäßiges Vertrauen haben; selbst in einer der oben genannten drei württembergischen Handelsstädte erklärte einmal ein Anwalt, daß er ein für alle Male auf die Mitwirkung kaufmännischer Richter verzichte; und ehe er fünf Minuten wartet, bis zwei Handelsschöffen hervei- Grenzvotm III. 1874. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/417>, abgerufen am 22.07.2024.