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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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beneidenswerthe Berühmtheit erlangte, dedicirtes sehr merkwürdiges Druckwerk.*)
In diesem stellte derselbe im Namen der Kirche den Grundsatz auf, der
Gesellschaftsvertrag sei lediglich unmittelbares Menschenwerk und keine gött¬
liche Einrichtung, was die uralte seitherige Lehre der Kirche von der gött¬
lichen Einsetzung der zeitherigen Herrschergewalt, und zumal des königlichen
Amtes, geradezu Lügen strafte. Ferner verkündete Spedalieri, eine despotische
Regierung sei keine legitime, sondern eine mißbrauchte, und ein Volk allerdings
zur Absetzung seines Beherrschers berechtigt, wenn dieser die Bedingungen,
unter welchen ihm das Regiment anvertraut worden, durch Tyrannei ver¬
letzte. Sodann kommt der Verfasser auf die Kennzeichen der letzteren, unter¬
stützt seine Behauptungen durch die Schrift des heiligen Thomas: us regiminv
Mlioixuilt ad regem L^xri, und sucht schließlich zu beweisen, daß die katho¬
lische Kirche die sicherste Beschützerin des gesellschaftlichen Vertrages und der
Rechte des Menschen in der Gesellschaft, ja sogar daß sie allein fähig sei,
dafür genügende Garantien zu bieten. -- Den Unfehlbarer in Rom ist es schon
öfters begegnet, daß die Elaborate ihrer sublimen Erleuchtung in dieser bösen
Welt nicht den mit Sicherheit erwarteten, sondern den entgegengesetzten Effekt
hatten. So erging es Plus VI. jetzt auch mit Spedalieri's Buch, welches die
Falschmünzerei sich erlaubte, die in Frankreich proklamirten neuen politischen
Ideen und Lehren für uralte der katholischen Kirche auszugeben, dieser gleichsam
die Ehre ihrer Urheberschaft zu vindiciren, und die Italiener den Lockungen
der fränkischen Freiheitsapostel durch die ihnen eingepflanzte Meinung unzu¬
gänglich zu machen suchte, daß sie schon längst besäßen, was dieselben brachten.
Denn wie wenig unterrichtet die Bevölkerungen der Halbinsel, und zumal
die des Kirchenstaates damals auch waren, so viel wußten sie durch Ueber¬
lieferung doch, daß kein Land der Christenheit seit lange an elenden und ver¬
worfenen Tyrannen reicher gewesen, als Italien, ohne daß es den Päpsten,
der Kirche je eingefallen wäre, sich zwischen jene und ihre unglücklichen Unter¬
thanen zu werfen. Die Massen ließen sich mithin durch Spedalieri's Märchen,
wie fleißig Priestermund sie auch verkündete, nicht ködern, und die vielen
Feinde der Kirche unter den gebildeten Ständen säumten nicht, die in der
Eile übersehen" scharfe Spitze, welche sie gegen diese boten, sofort auch gegen
sie zu benutzen. Die sagten jetzt nämlich: Wenn die neuen politischen Ideen
und Meinungen mit den alten Lehren der Kirche so sehr übereinstimmten,
sei ja auch für den frömmsten Katholiken nicht einmal ein religiöses Motiv
vorhanden, ihnen sein Ohr zu verschließen! Sogar daß Pius VI. es über
sich gewann, des frommen Volksmannes Robespierre trauriges Ende bitterlich



") Es ist auch in deutscher Uebersetzung bei Mavr in Salzburg 1794--9S in K Theilen
erschienen.

beneidenswerthe Berühmtheit erlangte, dedicirtes sehr merkwürdiges Druckwerk.*)
In diesem stellte derselbe im Namen der Kirche den Grundsatz auf, der
Gesellschaftsvertrag sei lediglich unmittelbares Menschenwerk und keine gött¬
liche Einrichtung, was die uralte seitherige Lehre der Kirche von der gött¬
lichen Einsetzung der zeitherigen Herrschergewalt, und zumal des königlichen
Amtes, geradezu Lügen strafte. Ferner verkündete Spedalieri, eine despotische
Regierung sei keine legitime, sondern eine mißbrauchte, und ein Volk allerdings
zur Absetzung seines Beherrschers berechtigt, wenn dieser die Bedingungen,
unter welchen ihm das Regiment anvertraut worden, durch Tyrannei ver¬
letzte. Sodann kommt der Verfasser auf die Kennzeichen der letzteren, unter¬
stützt seine Behauptungen durch die Schrift des heiligen Thomas: us regiminv
Mlioixuilt ad regem L^xri, und sucht schließlich zu beweisen, daß die katho¬
lische Kirche die sicherste Beschützerin des gesellschaftlichen Vertrages und der
Rechte des Menschen in der Gesellschaft, ja sogar daß sie allein fähig sei,
dafür genügende Garantien zu bieten. — Den Unfehlbarer in Rom ist es schon
öfters begegnet, daß die Elaborate ihrer sublimen Erleuchtung in dieser bösen
Welt nicht den mit Sicherheit erwarteten, sondern den entgegengesetzten Effekt
hatten. So erging es Plus VI. jetzt auch mit Spedalieri's Buch, welches die
Falschmünzerei sich erlaubte, die in Frankreich proklamirten neuen politischen
Ideen und Lehren für uralte der katholischen Kirche auszugeben, dieser gleichsam
die Ehre ihrer Urheberschaft zu vindiciren, und die Italiener den Lockungen
der fränkischen Freiheitsapostel durch die ihnen eingepflanzte Meinung unzu¬
gänglich zu machen suchte, daß sie schon längst besäßen, was dieselben brachten.
Denn wie wenig unterrichtet die Bevölkerungen der Halbinsel, und zumal
die des Kirchenstaates damals auch waren, so viel wußten sie durch Ueber¬
lieferung doch, daß kein Land der Christenheit seit lange an elenden und ver¬
worfenen Tyrannen reicher gewesen, als Italien, ohne daß es den Päpsten,
der Kirche je eingefallen wäre, sich zwischen jene und ihre unglücklichen Unter¬
thanen zu werfen. Die Massen ließen sich mithin durch Spedalieri's Märchen,
wie fleißig Priestermund sie auch verkündete, nicht ködern, und die vielen
Feinde der Kirche unter den gebildeten Ständen säumten nicht, die in der
Eile übersehen« scharfe Spitze, welche sie gegen diese boten, sofort auch gegen
sie zu benutzen. Die sagten jetzt nämlich: Wenn die neuen politischen Ideen
und Meinungen mit den alten Lehren der Kirche so sehr übereinstimmten,
sei ja auch für den frömmsten Katholiken nicht einmal ein religiöses Motiv
vorhanden, ihnen sein Ohr zu verschließen! Sogar daß Pius VI. es über
sich gewann, des frommen Volksmannes Robespierre trauriges Ende bitterlich



") Es ist auch in deutscher Uebersetzung bei Mavr in Salzburg 1794—9S in K Theilen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/395>, abgerufen am 24.08.2024.