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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nur vereinzelt vorzukommen pflegen, -- alle diese Bilder wilder Pracht um¬
faßte hier ein einziger Blick. Es ist mir noch heute lebhaft erinnerlich, daß
der unmittelbare Eindruck dieses von den bizarrsten und großartigsten,
1500--2500 Meter hoch aufragenden Felsburgen umgebenden Bassins etwas
märchenhaftes hatte. Ein kubischer Felskoloß streckte sich hier auf schmaler
Basis als Landzunge weit hinaus in den Fjord. Unmittelbar aus dem blauen
Wasserspiegel erhebt sich diese Masse gegen 1500 Meter hoch; regelmäßige
rothgelbe, schwarze und lichtere Streifen zeigen die Schichtung eines Gesteins.
Die Erkern und Thürmchen ähnlichen Vorsprünge an seinem Kamm verleihen
ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit einer zerfallenen Burg. Wir nannten ihn
daher auch das Teufelsschloß. -- Einen Anblick von nur annähernder Gro߬
artigkeit erinnere ich mich nicht jemals in den Alpen gehabt zu haben. Ein
kleines Matterhorn ragt hier aus der Flut empor; hier entströmten einem
Gletscherthor ungeheure Wassermassen, um sich über die Riesenwand herab in den
unbewegten klaren Spiegel tief unten zu stürzen. -- Es liegt eine unbeschreib¬
liche Anregung in solchen Momenten. Tag und Nacht steht man auf Deck;
jeder Augenblick bringt eine überraschende Scene, zaubert ein neues Natur¬
wunder herbei und mit Staunen irrt das Auge von einem Punkt zum andern.
Die große Durchsichtigkeit der Lust läßt jede Einzelheit erkennen. Kein ande¬
rer Laut als der monotone Takt der Maschine und das Rauschen des Kiel¬
wassers unterbricht die feierliche Stille. Behaglich durchwärmt die Morgen¬
sonne die blaue Luft, in welcher der von dem Schornstein ausgeathmete Rauch
in horizontalen Streifen sich hinkräuselt."

Weiter und weiter drang das Schiff vor. Doch immer drohender und
näher schoben sich die Felsmassen zusammen. Da öffnete sich plötzlich, als
man weiter nach Südwest dem "Teufelsschloß" entgegensteuerte, ein zwei
Seemeilen breites Felsenthor und eine neue überraschende Scenerie! Und
nach Westen eine weitere sich scheinbar endlos ausdehnende Fjordverzweigung.
Noch einige Stunden ging es vorwärts, aber jetzt meldete der Maschinist, er
könne nicht weiter dampfen, da der seit 24 Stunden ununterbrochen in Thä¬
tigkeit gewesene Kessel wieder anfange zu lecken und nothwendig abgeblasen
werden müsse. Da sich in dem tiefen Felskessel des Fjords nicht segeln ließ,
so mußte nothgedrungen vor Anker gegangen werden. Es war nicht leicht
eine Ankerstätte zu finden, da der Fjord fast überall 600 Faden Tiefe hat.
Endlich am 11. August Vorm. 11 Uhr gelang es, in zehn Faden Tiefe Anker
zu werfen. Dieß war der westlichste Punkt der erreicht wurde; er liegt unter
73°1i/ 6 nördlicher Breite und 25" 58' 6 westlicher Länge von Greenwich.
Da eine Bootfahrt ohne Segel in dem noch viele deutsche Meilen langen
Fjord, mit Rücksicht auf die kurze Zeit, die der Germania noch übrig blieb,
um durch das Packeis zu brechen und damit die Straße der Rückkehr zu er-


nur vereinzelt vorzukommen pflegen, — alle diese Bilder wilder Pracht um¬
faßte hier ein einziger Blick. Es ist mir noch heute lebhaft erinnerlich, daß
der unmittelbare Eindruck dieses von den bizarrsten und großartigsten,
1500—2500 Meter hoch aufragenden Felsburgen umgebenden Bassins etwas
märchenhaftes hatte. Ein kubischer Felskoloß streckte sich hier auf schmaler
Basis als Landzunge weit hinaus in den Fjord. Unmittelbar aus dem blauen
Wasserspiegel erhebt sich diese Masse gegen 1500 Meter hoch; regelmäßige
rothgelbe, schwarze und lichtere Streifen zeigen die Schichtung eines Gesteins.
Die Erkern und Thürmchen ähnlichen Vorsprünge an seinem Kamm verleihen
ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit einer zerfallenen Burg. Wir nannten ihn
daher auch das Teufelsschloß. — Einen Anblick von nur annähernder Gro߬
artigkeit erinnere ich mich nicht jemals in den Alpen gehabt zu haben. Ein
kleines Matterhorn ragt hier aus der Flut empor; hier entströmten einem
Gletscherthor ungeheure Wassermassen, um sich über die Riesenwand herab in den
unbewegten klaren Spiegel tief unten zu stürzen. — Es liegt eine unbeschreib¬
liche Anregung in solchen Momenten. Tag und Nacht steht man auf Deck;
jeder Augenblick bringt eine überraschende Scene, zaubert ein neues Natur¬
wunder herbei und mit Staunen irrt das Auge von einem Punkt zum andern.
Die große Durchsichtigkeit der Lust läßt jede Einzelheit erkennen. Kein ande¬
rer Laut als der monotone Takt der Maschine und das Rauschen des Kiel¬
wassers unterbricht die feierliche Stille. Behaglich durchwärmt die Morgen¬
sonne die blaue Luft, in welcher der von dem Schornstein ausgeathmete Rauch
in horizontalen Streifen sich hinkräuselt."

Weiter und weiter drang das Schiff vor. Doch immer drohender und
näher schoben sich die Felsmassen zusammen. Da öffnete sich plötzlich, als
man weiter nach Südwest dem „Teufelsschloß" entgegensteuerte, ein zwei
Seemeilen breites Felsenthor und eine neue überraschende Scenerie! Und
nach Westen eine weitere sich scheinbar endlos ausdehnende Fjordverzweigung.
Noch einige Stunden ging es vorwärts, aber jetzt meldete der Maschinist, er
könne nicht weiter dampfen, da der seit 24 Stunden ununterbrochen in Thä¬
tigkeit gewesene Kessel wieder anfange zu lecken und nothwendig abgeblasen
werden müsse. Da sich in dem tiefen Felskessel des Fjords nicht segeln ließ,
so mußte nothgedrungen vor Anker gegangen werden. Es war nicht leicht
eine Ankerstätte zu finden, da der Fjord fast überall 600 Faden Tiefe hat.
Endlich am 11. August Vorm. 11 Uhr gelang es, in zehn Faden Tiefe Anker
zu werfen. Dieß war der westlichste Punkt der erreicht wurde; er liegt unter
73°1i/ 6 nördlicher Breite und 25" 58' 6 westlicher Länge von Greenwich.
Da eine Bootfahrt ohne Segel in dem noch viele deutsche Meilen langen
Fjord, mit Rücksicht auf die kurze Zeit, die der Germania noch übrig blieb,
um durch das Packeis zu brechen und damit die Straße der Rückkehr zu er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/381>, abgerufen am 22.07.2024.