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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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in neuerer Zeit seine Physiognomie gleichermaßen Züge starker Expanstvität
und Productivität zeigt, nur je nach dem allgemeinen Geiste einer jeden dieser
Perioden, dort andere als hier.

Leipzig hält zwischen diesen beiden Arten von Kulturcentren gewissermaßen
die Mitte. Um Jahrhunderte zurück bekundet es in den verschiedensten Zeitlagen
immer einen ziemlich hohen Grad von innerer Lebensfähigkeit, materieller und
geistiger Triebkraft, obschon es andererseits wiederum zu den Städten gehört,
welche die ausgiebige Entwickelung gerade des modernsten Kulturfortschritts
mit am Besten zu verwerthen und dadurch gerade in jüngster Zeit zu hervor¬
ragender Bedeutung sich emporzuschwingen verstanden.

Zwar der Bevölkerung nach nur die siebente oder achte Stadt im
deutschen Reiche, zählt Leipzig doch in mehr als einer Beziehung unter den
ersten Pflanz- und Pflegstätten nationalen Lebens und nationaler Kultur.
Seine Universität hat, was den Zudrang von Schülern betrifft, selbst die
berühmte Hochschule der Reichshauptstadt überflügelt und steht ihr an Glanz
und Fülle der lehrenden Kräfte zum mindesten nicht nach. Sein Handel,
weniger eigengeartet und von weniger erd- und meerumspannenden Dimen¬
sionen, als der Hamburgs oder Bremens, bildet doch -- Dank der alten
und sich immer wieder verjüngenden Zugkraft seiner Messen, so wie der un¬
ermüdlich strebsamen, dabei soliden Rührigkeit seiner Bevölkerung -- ein
werthvolles Glied in dem großen Gesammtverkehr Deutschlands. Schon jetzt
Sitz des obersten Handelsgerichts im Reiche, darf es kühn nach dem noch Höheren
streben, auch Sitz der vereinten höchsten Gerichtsbarkeit des Reichs zu werden,
weil es bereit und in der Lage ist, einen solchen edelsten Gewinn nicht mühelos
zu empfangen, sondern durch Darbietung gewichtiger materieller und geistiger
Gegenleistungen wenigstens einigermaßen zu verdienen. Und kaum eine
ist von den mannigfaltigen Bewegungen und Gestaltungen unseres modernen
Kulturlebens -- auf wissenschaftlichem, wirthschaftlichem, socialem, humanitärem,
eommerctellem oder politischem Gebiete -- die nicht entweder von Leipzig aus
ihren Anfang genommen oder doch kräftige Impulse und lebhaft fördernde
Mitwirkung empfangen, oder die nicht in ihrer Verkörperung in Vereinen,
Kongressen, Wanderversammlungen aller Art vorzugsweise gern und oft Leip¬
zig aufgesucht und in seinen Räumen sich heimisch gefühlt hätte.

Leipzig ist nicht die Hauptstadt Sachsens, aber es ist. wie ein unvergeßliches
Wort aus königlichem Munde noch unlängst ihr bezeugt hat. in gewichtiger
Hinsicht eine Art von Neu-Vorstadt, in mannigfachen Richtungen führend und
tonangebend selbst über die Grenzen des kleinen Landes hinaus. Und es ist
dies Alles, wie derselbe erlauchte Gewährsmann rühmend bekundete, vor Allem
durch den regen kräftigen Sinn seiner Bürger und durch den bewährten Geist
seiner kommunalen Selbstverwaltung. Sogar in einem Blatte, dem, obwohl


in neuerer Zeit seine Physiognomie gleichermaßen Züge starker Expanstvität
und Productivität zeigt, nur je nach dem allgemeinen Geiste einer jeden dieser
Perioden, dort andere als hier.

Leipzig hält zwischen diesen beiden Arten von Kulturcentren gewissermaßen
die Mitte. Um Jahrhunderte zurück bekundet es in den verschiedensten Zeitlagen
immer einen ziemlich hohen Grad von innerer Lebensfähigkeit, materieller und
geistiger Triebkraft, obschon es andererseits wiederum zu den Städten gehört,
welche die ausgiebige Entwickelung gerade des modernsten Kulturfortschritts
mit am Besten zu verwerthen und dadurch gerade in jüngster Zeit zu hervor¬
ragender Bedeutung sich emporzuschwingen verstanden.

Zwar der Bevölkerung nach nur die siebente oder achte Stadt im
deutschen Reiche, zählt Leipzig doch in mehr als einer Beziehung unter den
ersten Pflanz- und Pflegstätten nationalen Lebens und nationaler Kultur.
Seine Universität hat, was den Zudrang von Schülern betrifft, selbst die
berühmte Hochschule der Reichshauptstadt überflügelt und steht ihr an Glanz
und Fülle der lehrenden Kräfte zum mindesten nicht nach. Sein Handel,
weniger eigengeartet und von weniger erd- und meerumspannenden Dimen¬
sionen, als der Hamburgs oder Bremens, bildet doch — Dank der alten
und sich immer wieder verjüngenden Zugkraft seiner Messen, so wie der un¬
ermüdlich strebsamen, dabei soliden Rührigkeit seiner Bevölkerung — ein
werthvolles Glied in dem großen Gesammtverkehr Deutschlands. Schon jetzt
Sitz des obersten Handelsgerichts im Reiche, darf es kühn nach dem noch Höheren
streben, auch Sitz der vereinten höchsten Gerichtsbarkeit des Reichs zu werden,
weil es bereit und in der Lage ist, einen solchen edelsten Gewinn nicht mühelos
zu empfangen, sondern durch Darbietung gewichtiger materieller und geistiger
Gegenleistungen wenigstens einigermaßen zu verdienen. Und kaum eine
ist von den mannigfaltigen Bewegungen und Gestaltungen unseres modernen
Kulturlebens — auf wissenschaftlichem, wirthschaftlichem, socialem, humanitärem,
eommerctellem oder politischem Gebiete — die nicht entweder von Leipzig aus
ihren Anfang genommen oder doch kräftige Impulse und lebhaft fördernde
Mitwirkung empfangen, oder die nicht in ihrer Verkörperung in Vereinen,
Kongressen, Wanderversammlungen aller Art vorzugsweise gern und oft Leip¬
zig aufgesucht und in seinen Räumen sich heimisch gefühlt hätte.

Leipzig ist nicht die Hauptstadt Sachsens, aber es ist. wie ein unvergeßliches
Wort aus königlichem Munde noch unlängst ihr bezeugt hat. in gewichtiger
Hinsicht eine Art von Neu-Vorstadt, in mannigfachen Richtungen führend und
tonangebend selbst über die Grenzen des kleinen Landes hinaus. Und es ist
dies Alles, wie derselbe erlauchte Gewährsmann rühmend bekundete, vor Allem
durch den regen kräftigen Sinn seiner Bürger und durch den bewährten Geist
seiner kommunalen Selbstverwaltung. Sogar in einem Blatte, dem, obwohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/35>, abgerufen am 24.08.2024.