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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Eine höchst interessante Unterhaltung gewährt es, am flachen Rande
einer Eisscholle das Leben der kleinen Meerthiere zu beobachten. Wenn man
sich platt auf das Eis hinlegt, und das Gesicht nahe über die Wasserfläche
bringt, so sieht man durch das stille klare Element tief hinab in die schönen
blauen unterseeischen Grotten, die sich am Rande der Schollen stets ausbilden.
Und in diesen tummelt sich, während das Wasser über einen Grad Kälte hat,
und an der Oberfläche sich fortwährend die feinen Eisnadeln zu einer dünnen
Decke vereinen, eine muntere lebensfrohe Schaar kleiner Thiere. Ruckweise
tauchen die Hüpferlinge aus der Tiefe empor; ihre rothen Fühler leuchten
stark auf dem blauen Hintergrunde; sie steigen bis nahe an die Oberfläche
und lassen sich dann langsam zurücksinken. Dann sieht man einen gelben
Punkt auftauchen, er vergrößert sich und man erkennt ein Krebsthierchen, das
Mit eiligem Schlage seiner Schwimmfüße schräg auf der Seite liegend in ver¬
schiedenen Windungen heraufsteigt. Jetzt legt es sich in einer kleinen Nische
oder auf einem Eisvorsprunge zur Ruhe und nur die stetig hin- und her¬
schwingenden Flossenfüße zeigen an. daß das Thier lebt. Hin und wieder
sieht man in der Tiefe eine schöne Beroe langsam dahinziehen: der lang¬
gestielte Klätscher wird zur Hand genommen, aber das Fangen wird vereitelt,
da bei dem klaren Wasser eine Schätzung der Entfernung unmöglich wird,
und man stets vorbeifährt, bis das Thier aus dem Bereiche verschwunden ist.

Auch eine schöne stille Mitternacht, in dem zaubrischer Scheine der
Mitternachtssonne sollten die Germaniamänner an der Eisgrenze erleben.
Sie sollen uns den wunderbar feierlichen und großartigen Eindruck dieser
Nacht selbst erzählen. "Der Nebel war fast ganz verschwunden" schreiben
Kapitän Koldewey und Dr. Panhas, "nur im Osten sah man ihn noch als
dichte Bank über dem Wasser liegen; die Wolken verzogen sich mehr und
mehr; durch die schön geformten leichten Streifenwolken des nördlichen Hori¬
zontes brach sich jetzt die Sonne Bahn und ließ uns die ganze Landschaft
deutlich überblicken. Wenn man in die Warten oder auf einen der höchsten
Eisblöcke stieg, so konnte man weit hinaus schauen aus diese grandiose Sce¬
nerie. Nach Westen zu nahm den Horizont eine fest zusammengepackte
Bank schweren Eises ein, Schollen der verschiedensten Gestaltung, zwischen
denen man nur in größerer Nähe Wasserstraßen sehen konnte, nach Osten hin¬
gegen lag in weiter Ausdehnung loses Treibeis in Gestalt von kleinen und
kleinsten Schollen in verschiedensten Bildern und Erscheinungen. Das Meer
war dabei gänzlich still, so daß alles Eis in den klarsten und reinsten
Spiegelbildern wiederstrahlte; und dazwischen hatte das Wasser die ver¬
schiedensten Farben angenommen. Unter dem Wolkenhimmel lag es dunkel,
schwarzbraun bis gelblich da, und wo die Luft klar war. schimmerte es durch¬
sichtig grünlich. Selbst für den Pinsel eines geschickten Malers dürfte es


Eine höchst interessante Unterhaltung gewährt es, am flachen Rande
einer Eisscholle das Leben der kleinen Meerthiere zu beobachten. Wenn man
sich platt auf das Eis hinlegt, und das Gesicht nahe über die Wasserfläche
bringt, so sieht man durch das stille klare Element tief hinab in die schönen
blauen unterseeischen Grotten, die sich am Rande der Schollen stets ausbilden.
Und in diesen tummelt sich, während das Wasser über einen Grad Kälte hat,
und an der Oberfläche sich fortwährend die feinen Eisnadeln zu einer dünnen
Decke vereinen, eine muntere lebensfrohe Schaar kleiner Thiere. Ruckweise
tauchen die Hüpferlinge aus der Tiefe empor; ihre rothen Fühler leuchten
stark auf dem blauen Hintergrunde; sie steigen bis nahe an die Oberfläche
und lassen sich dann langsam zurücksinken. Dann sieht man einen gelben
Punkt auftauchen, er vergrößert sich und man erkennt ein Krebsthierchen, das
Mit eiligem Schlage seiner Schwimmfüße schräg auf der Seite liegend in ver¬
schiedenen Windungen heraufsteigt. Jetzt legt es sich in einer kleinen Nische
oder auf einem Eisvorsprunge zur Ruhe und nur die stetig hin- und her¬
schwingenden Flossenfüße zeigen an. daß das Thier lebt. Hin und wieder
sieht man in der Tiefe eine schöne Beroe langsam dahinziehen: der lang¬
gestielte Klätscher wird zur Hand genommen, aber das Fangen wird vereitelt,
da bei dem klaren Wasser eine Schätzung der Entfernung unmöglich wird,
und man stets vorbeifährt, bis das Thier aus dem Bereiche verschwunden ist.

Auch eine schöne stille Mitternacht, in dem zaubrischer Scheine der
Mitternachtssonne sollten die Germaniamänner an der Eisgrenze erleben.
Sie sollen uns den wunderbar feierlichen und großartigen Eindruck dieser
Nacht selbst erzählen. „Der Nebel war fast ganz verschwunden" schreiben
Kapitän Koldewey und Dr. Panhas, „nur im Osten sah man ihn noch als
dichte Bank über dem Wasser liegen; die Wolken verzogen sich mehr und
mehr; durch die schön geformten leichten Streifenwolken des nördlichen Hori¬
zontes brach sich jetzt die Sonne Bahn und ließ uns die ganze Landschaft
deutlich überblicken. Wenn man in die Warten oder auf einen der höchsten
Eisblöcke stieg, so konnte man weit hinaus schauen aus diese grandiose Sce¬
nerie. Nach Westen zu nahm den Horizont eine fest zusammengepackte
Bank schweren Eises ein, Schollen der verschiedensten Gestaltung, zwischen
denen man nur in größerer Nähe Wasserstraßen sehen konnte, nach Osten hin¬
gegen lag in weiter Ausdehnung loses Treibeis in Gestalt von kleinen und
kleinsten Schollen in verschiedensten Bildern und Erscheinungen. Das Meer
war dabei gänzlich still, so daß alles Eis in den klarsten und reinsten
Spiegelbildern wiederstrahlte; und dazwischen hatte das Wasser die ver¬
schiedensten Farben angenommen. Unter dem Wolkenhimmel lag es dunkel,
schwarzbraun bis gelblich da, und wo die Luft klar war. schimmerte es durch¬
sichtig grünlich. Selbst für den Pinsel eines geschickten Malers dürfte es


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[0263] Eine höchst interessante Unterhaltung gewährt es, am flachen Rande einer Eisscholle das Leben der kleinen Meerthiere zu beobachten. Wenn man sich platt auf das Eis hinlegt, und das Gesicht nahe über die Wasserfläche bringt, so sieht man durch das stille klare Element tief hinab in die schönen blauen unterseeischen Grotten, die sich am Rande der Schollen stets ausbilden. Und in diesen tummelt sich, während das Wasser über einen Grad Kälte hat, und an der Oberfläche sich fortwährend die feinen Eisnadeln zu einer dünnen Decke vereinen, eine muntere lebensfrohe Schaar kleiner Thiere. Ruckweise tauchen die Hüpferlinge aus der Tiefe empor; ihre rothen Fühler leuchten stark auf dem blauen Hintergrunde; sie steigen bis nahe an die Oberfläche und lassen sich dann langsam zurücksinken. Dann sieht man einen gelben Punkt auftauchen, er vergrößert sich und man erkennt ein Krebsthierchen, das Mit eiligem Schlage seiner Schwimmfüße schräg auf der Seite liegend in ver¬ schiedenen Windungen heraufsteigt. Jetzt legt es sich in einer kleinen Nische oder auf einem Eisvorsprunge zur Ruhe und nur die stetig hin- und her¬ schwingenden Flossenfüße zeigen an. daß das Thier lebt. Hin und wieder sieht man in der Tiefe eine schöne Beroe langsam dahinziehen: der lang¬ gestielte Klätscher wird zur Hand genommen, aber das Fangen wird vereitelt, da bei dem klaren Wasser eine Schätzung der Entfernung unmöglich wird, und man stets vorbeifährt, bis das Thier aus dem Bereiche verschwunden ist. Auch eine schöne stille Mitternacht, in dem zaubrischer Scheine der Mitternachtssonne sollten die Germaniamänner an der Eisgrenze erleben. Sie sollen uns den wunderbar feierlichen und großartigen Eindruck dieser Nacht selbst erzählen. „Der Nebel war fast ganz verschwunden" schreiben Kapitän Koldewey und Dr. Panhas, „nur im Osten sah man ihn noch als dichte Bank über dem Wasser liegen; die Wolken verzogen sich mehr und mehr; durch die schön geformten leichten Streifenwolken des nördlichen Hori¬ zontes brach sich jetzt die Sonne Bahn und ließ uns die ganze Landschaft deutlich überblicken. Wenn man in die Warten oder auf einen der höchsten Eisblöcke stieg, so konnte man weit hinaus schauen aus diese grandiose Sce¬ nerie. Nach Westen zu nahm den Horizont eine fest zusammengepackte Bank schweren Eises ein, Schollen der verschiedensten Gestaltung, zwischen denen man nur in größerer Nähe Wasserstraßen sehen konnte, nach Osten hin¬ gegen lag in weiter Ausdehnung loses Treibeis in Gestalt von kleinen und kleinsten Schollen in verschiedensten Bildern und Erscheinungen. Das Meer war dabei gänzlich still, so daß alles Eis in den klarsten und reinsten Spiegelbildern wiederstrahlte; und dazwischen hatte das Wasser die ver¬ schiedensten Farben angenommen. Unter dem Wolkenhimmel lag es dunkel, schwarzbraun bis gelblich da, und wo die Luft klar war. schimmerte es durch¬ sichtig grünlich. Selbst für den Pinsel eines geschickten Malers dürfte es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/263>, abgerufen am 22.07.2024.