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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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lich hatte er also zu erkennen gegeben, daß er dem alten Gerichtsverfahren
mehr wie dem neuen vertraue. Diese königliche Kundgebung und die Be¬
schränkung der Geschworenengerichte erregten Mißmuth, Besorgniß und Oppo¬
sition und gewöhnten sich die Rheinländer ihre Gerichtsverfassung als ein
Palladium ihrer bürgerlichen Freiheit zu erachten und zwar umsomehr, als
nach dem Jahre 1830 in allen deutschen Ländern Oeffentlichkeit und Ge¬
schworenengerichte auf das eifrigste und dringendste ersehnt und gefordert wur¬
den. Die verschiedene Gerichtsverfassung blieb daher auch eine Scheidewand
zwischen den Rheinlanden und den übrigen Provinzen Preußens*) und die
Trennung wurde um so größer, als einerseits kein gemeinschaftliches Interesse
einte und anderseits die Rheinländer eben wegen ihres Rechtes und ihrer bes¬
seren , den Anforderungen der Zeit entsprechenderen Gerichtsverfassung den
Glauben hegten, sie wären in der allgemeinen Volksbildung den übrigen Pro¬
vinzen, deren Bildungsgrade nach ihrer Ansicht die Prügelstrafen und das
heimliche und schriftliche Gerichtsverfahren entsprachen, weit voraus und be¬
fänden sich namentlich auf einem höheren politischen Standpunkte. Mit einem
Wort, die Rheinländer hielten sich für politisch reifer und gebildeter, als die
übrigen Provinzen und betrachteten sich zwar als Theil des preußischen Staa¬
tes, ohne jedoch dem preußischen Volke angehören zu wollen, mit welchem sie
nur die gemeinschaftliche Regierung, nicht aber das gemeinschaftliche Volks¬
bewußtsein theilten.

Ein solcher Zustand hätte im Jahre 1848 gefährlich werden können,
wenn nicht zum Glück der vereinigte Landtag vorausgegangen wäre. Welche
sonstigen glücklichen Erfolge derselbe auch hatte, der glücklichste war, daß sich die
Provinzen näher traten und die Abgeordneten derselben ihre gegenseitige Eben¬
bürtigkeit erkannten und von dem Bewußtsein durchdrungen wurden, sie gehörten
sämmtlich einem Staate an, verfolgten gleiche Zwecke und hätten die gemein¬
schaftliche Aufgabe, nach der Erfüllung des mit dem Blute von Waterloo be¬
siegelten königlichen Versprechens vom 22. Mai 1816 zu ringen.

Nach dem 18. März 1848 wirkte auf die Stimmung vortheilhaft, daß
aus den Rheinlanden Camphausen, Hansemann, Kühlwetter, später Von der
Heydt und ein Jahr darauf Simons als Minister berufen wurden. Auch
die Nationalversammlung, an welcher selbst der Erzbischof von Cöln theil-
nahm, trug viel dazu bei, um die bisher getrennten Provinzen näher zu brin¬
gen. Nicht minder guten Einfluß hatte die Einführung der Hauptprinzipien
des rheinischen Gerichtsverfahrens, welche in Civilsachen schon 1846, in Cri-
nünalsachen aber 1849 für alle Provinzen erfolgte. Durch dieses neue Ge¬
richtsverfahren wurden die letzteren auf das Niveau der Rheinprovinzen er-



") Der ostrheinische Theil des Regierungsbezirkes Coblenz, so wie die Kreise Nees und
Duisburg hatten nicht die französische Gerichtsverfassung, vielmehr galt dort das gemeine Recht.

lich hatte er also zu erkennen gegeben, daß er dem alten Gerichtsverfahren
mehr wie dem neuen vertraue. Diese königliche Kundgebung und die Be¬
schränkung der Geschworenengerichte erregten Mißmuth, Besorgniß und Oppo¬
sition und gewöhnten sich die Rheinländer ihre Gerichtsverfassung als ein
Palladium ihrer bürgerlichen Freiheit zu erachten und zwar umsomehr, als
nach dem Jahre 1830 in allen deutschen Ländern Oeffentlichkeit und Ge¬
schworenengerichte auf das eifrigste und dringendste ersehnt und gefordert wur¬
den. Die verschiedene Gerichtsverfassung blieb daher auch eine Scheidewand
zwischen den Rheinlanden und den übrigen Provinzen Preußens*) und die
Trennung wurde um so größer, als einerseits kein gemeinschaftliches Interesse
einte und anderseits die Rheinländer eben wegen ihres Rechtes und ihrer bes¬
seren , den Anforderungen der Zeit entsprechenderen Gerichtsverfassung den
Glauben hegten, sie wären in der allgemeinen Volksbildung den übrigen Pro¬
vinzen, deren Bildungsgrade nach ihrer Ansicht die Prügelstrafen und das
heimliche und schriftliche Gerichtsverfahren entsprachen, weit voraus und be¬
fänden sich namentlich auf einem höheren politischen Standpunkte. Mit einem
Wort, die Rheinländer hielten sich für politisch reifer und gebildeter, als die
übrigen Provinzen und betrachteten sich zwar als Theil des preußischen Staa¬
tes, ohne jedoch dem preußischen Volke angehören zu wollen, mit welchem sie
nur die gemeinschaftliche Regierung, nicht aber das gemeinschaftliche Volks¬
bewußtsein theilten.

Ein solcher Zustand hätte im Jahre 1848 gefährlich werden können,
wenn nicht zum Glück der vereinigte Landtag vorausgegangen wäre. Welche
sonstigen glücklichen Erfolge derselbe auch hatte, der glücklichste war, daß sich die
Provinzen näher traten und die Abgeordneten derselben ihre gegenseitige Eben¬
bürtigkeit erkannten und von dem Bewußtsein durchdrungen wurden, sie gehörten
sämmtlich einem Staate an, verfolgten gleiche Zwecke und hätten die gemein¬
schaftliche Aufgabe, nach der Erfüllung des mit dem Blute von Waterloo be¬
siegelten königlichen Versprechens vom 22. Mai 1816 zu ringen.

Nach dem 18. März 1848 wirkte auf die Stimmung vortheilhaft, daß
aus den Rheinlanden Camphausen, Hansemann, Kühlwetter, später Von der
Heydt und ein Jahr darauf Simons als Minister berufen wurden. Auch
die Nationalversammlung, an welcher selbst der Erzbischof von Cöln theil-
nahm, trug viel dazu bei, um die bisher getrennten Provinzen näher zu brin¬
gen. Nicht minder guten Einfluß hatte die Einführung der Hauptprinzipien
des rheinischen Gerichtsverfahrens, welche in Civilsachen schon 1846, in Cri-
nünalsachen aber 1849 für alle Provinzen erfolgte. Durch dieses neue Ge¬
richtsverfahren wurden die letzteren auf das Niveau der Rheinprovinzen er-



") Der ostrheinische Theil des Regierungsbezirkes Coblenz, so wie die Kreise Nees und
Duisburg hatten nicht die französische Gerichtsverfassung, vielmehr galt dort das gemeine Recht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/219>, abgerufen am 24.08.2024.