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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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von Männern wie Pescara und Frundsberg, die gemüthlichen Strömungen
in den Reihen der deutschen Landsknechte, die ihre Brüder zu Pavia erledigen
wollten, der allgemeine Wunsch der Truppen, zu ihrem Gelde zu kommen,
und endlich der patriotische Wille, den kaiserlichen Namen Frankreich gegen¬
über mit neuer Glorie zu umgeben.

Der Erfolg von Pavia mahnt an den von Sedan. Aber der deutsche
Kaiser war bei Pavia nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu
Madrid und sprach mit seiner Umgebung von dem Gang der Dinge in Ita¬
lien , den er für sehr gefährlich hielt, als ein Courier vom Heere eintraf.
Ohne vorher etwas von seinem Auftrage verlauten zu lassen, trat er ein:
"Sire!" hub er an: "bei Pavia ist es zur Schlacht gekommen, Euer Maje¬
stät Truppen haben den Sieg davon getragen; die französische Armee ist ver¬
nichtet; der König selbst ist gefangen und befindet sich in der Gewalt Euer
Majestät." -- Es war als ob das Blut in Karl's Adern still stehe; lange
starrte er den Boten schweigend an. und wie in Bestürzung wiederholte er
endlich langsam die Worte des Hauptmanns: "Die französische Armee ist ge¬
schlagen und König Franz ist mein Gefangener." -- Stumm ging er in ein
Nebengemach und warf sich vor dem Bilde der Jungfrau nieder.*)

Karl V. hat seinen Sieg schlecht benutzt. Mit Recht riethen ihm seine
Räthe, sofort aufs Neue in Frankreich einzudringen und die Zerrüttung, welche
dort in Folge der Gefangennahme des Königs herrschte, zu benutzen. Char¬
les von Bourbon und Erzherzog Ferdinand waren gleicher Meinung. Der
Letztere erbot sich, in Burgund einzufallen, sobald das kaiserliche Heer von
Italien her wieder in die Provence vorrücke. Schon versammelten sich auch
im Elsaß 15,000 deutsche Bauern, um über die Vogesen in Frankreich einzu¬
brechen/*) Aber Karl V. war weit entfernt von jener Energie, welche die deut¬
schen Heere von 1870/71 von Sedan nach Paris, Rouen, Le Mans, Dijon und
Orleans geführt. Er dachte Alles durch Unterhandlungen mit dem gefange¬
nen Könige Franz ohne weiteren Schwertstreich zu erreichen.

Man brachte den hohen Gefangenen auf das an der Adda gelegene
feste Schloß Pizzighetone in die Obhut Alarcon's, dessen Treue man versichert
war. In seiner Einsamkeit ging noch einmal Alles durch die Seele des Kö¬
nigs, was er besessen, was er eingebüßt; noch einmal durchlebte er alle Auf¬
regungen der Schlacht. Eine Ballade, welche er zu Pizzighetone gedichtet und
welche wol an seine geliebte Schwester, die Königin Margarethe von Na-
varra gerichtet ist, läßt das deutlich erkennen. Ihre erste Strophe lautet:


?risto xensor en xrison trop vbsours
I/honneur, 1s soinZ, Is äebvoir et la ouro



') Nach Ranke.
") Vergl. Boell- Der Bauernkrieg um Weißenburg Anno 1b25, Weißonburg 1874.

von Männern wie Pescara und Frundsberg, die gemüthlichen Strömungen
in den Reihen der deutschen Landsknechte, die ihre Brüder zu Pavia erledigen
wollten, der allgemeine Wunsch der Truppen, zu ihrem Gelde zu kommen,
und endlich der patriotische Wille, den kaiserlichen Namen Frankreich gegen¬
über mit neuer Glorie zu umgeben.

Der Erfolg von Pavia mahnt an den von Sedan. Aber der deutsche
Kaiser war bei Pavia nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu
Madrid und sprach mit seiner Umgebung von dem Gang der Dinge in Ita¬
lien , den er für sehr gefährlich hielt, als ein Courier vom Heere eintraf.
Ohne vorher etwas von seinem Auftrage verlauten zu lassen, trat er ein:
„Sire!" hub er an: „bei Pavia ist es zur Schlacht gekommen, Euer Maje¬
stät Truppen haben den Sieg davon getragen; die französische Armee ist ver¬
nichtet; der König selbst ist gefangen und befindet sich in der Gewalt Euer
Majestät." — Es war als ob das Blut in Karl's Adern still stehe; lange
starrte er den Boten schweigend an. und wie in Bestürzung wiederholte er
endlich langsam die Worte des Hauptmanns: „Die französische Armee ist ge¬
schlagen und König Franz ist mein Gefangener." — Stumm ging er in ein
Nebengemach und warf sich vor dem Bilde der Jungfrau nieder.*)

Karl V. hat seinen Sieg schlecht benutzt. Mit Recht riethen ihm seine
Räthe, sofort aufs Neue in Frankreich einzudringen und die Zerrüttung, welche
dort in Folge der Gefangennahme des Königs herrschte, zu benutzen. Char¬
les von Bourbon und Erzherzog Ferdinand waren gleicher Meinung. Der
Letztere erbot sich, in Burgund einzufallen, sobald das kaiserliche Heer von
Italien her wieder in die Provence vorrücke. Schon versammelten sich auch
im Elsaß 15,000 deutsche Bauern, um über die Vogesen in Frankreich einzu¬
brechen/*) Aber Karl V. war weit entfernt von jener Energie, welche die deut¬
schen Heere von 1870/71 von Sedan nach Paris, Rouen, Le Mans, Dijon und
Orleans geführt. Er dachte Alles durch Unterhandlungen mit dem gefange¬
nen Könige Franz ohne weiteren Schwertstreich zu erreichen.

Man brachte den hohen Gefangenen auf das an der Adda gelegene
feste Schloß Pizzighetone in die Obhut Alarcon's, dessen Treue man versichert
war. In seiner Einsamkeit ging noch einmal Alles durch die Seele des Kö¬
nigs, was er besessen, was er eingebüßt; noch einmal durchlebte er alle Auf¬
regungen der Schlacht. Eine Ballade, welche er zu Pizzighetone gedichtet und
welche wol an seine geliebte Schwester, die Königin Margarethe von Na-
varra gerichtet ist, läßt das deutlich erkennen. Ihre erste Strophe lautet:


?risto xensor en xrison trop vbsours
I/honneur, 1s soinZ, Is äebvoir et la ouro



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") Vergl. Boell- Der Bauernkrieg um Weißenburg Anno 1b25, Weißonburg 1874.
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[0146] von Männern wie Pescara und Frundsberg, die gemüthlichen Strömungen in den Reihen der deutschen Landsknechte, die ihre Brüder zu Pavia erledigen wollten, der allgemeine Wunsch der Truppen, zu ihrem Gelde zu kommen, und endlich der patriotische Wille, den kaiserlichen Namen Frankreich gegen¬ über mit neuer Glorie zu umgeben. Der Erfolg von Pavia mahnt an den von Sedan. Aber der deutsche Kaiser war bei Pavia nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu Madrid und sprach mit seiner Umgebung von dem Gang der Dinge in Ita¬ lien , den er für sehr gefährlich hielt, als ein Courier vom Heere eintraf. Ohne vorher etwas von seinem Auftrage verlauten zu lassen, trat er ein: „Sire!" hub er an: „bei Pavia ist es zur Schlacht gekommen, Euer Maje¬ stät Truppen haben den Sieg davon getragen; die französische Armee ist ver¬ nichtet; der König selbst ist gefangen und befindet sich in der Gewalt Euer Majestät." — Es war als ob das Blut in Karl's Adern still stehe; lange starrte er den Boten schweigend an. und wie in Bestürzung wiederholte er endlich langsam die Worte des Hauptmanns: „Die französische Armee ist ge¬ schlagen und König Franz ist mein Gefangener." — Stumm ging er in ein Nebengemach und warf sich vor dem Bilde der Jungfrau nieder.*) Karl V. hat seinen Sieg schlecht benutzt. Mit Recht riethen ihm seine Räthe, sofort aufs Neue in Frankreich einzudringen und die Zerrüttung, welche dort in Folge der Gefangennahme des Königs herrschte, zu benutzen. Char¬ les von Bourbon und Erzherzog Ferdinand waren gleicher Meinung. Der Letztere erbot sich, in Burgund einzufallen, sobald das kaiserliche Heer von Italien her wieder in die Provence vorrücke. Schon versammelten sich auch im Elsaß 15,000 deutsche Bauern, um über die Vogesen in Frankreich einzu¬ brechen/*) Aber Karl V. war weit entfernt von jener Energie, welche die deut¬ schen Heere von 1870/71 von Sedan nach Paris, Rouen, Le Mans, Dijon und Orleans geführt. Er dachte Alles durch Unterhandlungen mit dem gefange¬ nen Könige Franz ohne weiteren Schwertstreich zu erreichen. Man brachte den hohen Gefangenen auf das an der Adda gelegene feste Schloß Pizzighetone in die Obhut Alarcon's, dessen Treue man versichert war. In seiner Einsamkeit ging noch einmal Alles durch die Seele des Kö¬ nigs, was er besessen, was er eingebüßt; noch einmal durchlebte er alle Auf¬ regungen der Schlacht. Eine Ballade, welche er zu Pizzighetone gedichtet und welche wol an seine geliebte Schwester, die Königin Margarethe von Na- varra gerichtet ist, läßt das deutlich erkennen. Ihre erste Strophe lautet: ?risto xensor en xrison trop vbsours I/honneur, 1s soinZ, Is äebvoir et la ouro ') Nach Ranke. ") Vergl. Boell- Der Bauernkrieg um Weißenburg Anno 1b25, Weißonburg 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/146>, abgerufen am 22.07.2024.