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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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muthig die Thür zu weisen versteht. Aber das Borgehen gegen die einhei¬
mischen oppositionellen Journale, das selbst, wie in Lyon. Organe der ge¬
mäßigt republikanischen Anschauung nicht verschont, ist im Grunde nichts
Anderes mehr, als die planmäßige Erstickung jeder der herrschenden Ansicht
widersprechenden Meinung, d, h. nur eine andere Seite desselben Planes,
welcher zur Forderung einer "Modifikation" des allgemeinen Stimmrechts ge¬
führt hat.

Die Anstrengungen, welche der Dreißigerausschuß seit Monatsfrist zu
letzterem Zwecke gemacht hat, sind noch nicht zum Ziele gelangt. An allerlei
wunderlichen Vorschlägen war kein Mangel. Belcastel's früher bereits erwähn¬
tes doppeltes und dreifaches Wahlrecht der Verheiratheten wurde durch andere
Projecte womöglich noch übertrumpft. Aber nach all den langen Dis-
cussionen steht bis jetzt höchstens das negative Resultat fest, daß die Besei¬
tigung des Prinzips der Allgemeinheit des Wahlrechts nicht zu erreichen
ist; man ist nur darauf bedacht, die Allgemeinheit in der früher bereits an¬
gedeuteten Weise der Verlegung des wahlfähigen Alters vom vollendeten 2t.
auf das vollendete 25. Lebensjahr und durch Verschärfung der Ansässigkeits¬
bestimmungen möglichst einzuengen. Die Pläne betreffs Einführung des in-
directen Wahlverfahrens scheinen wenig Anklang zu finden. -- Zur Unter¬
stützung aller dieser Correcturen des sutkrags umversöl ist auf der Rechten
der Nationalversammlung die Idee der Beseitigung der Diäten aufgetaucht.
Da aber die reichen Fabrikanten und Kaufleute in der Assemblee fast sämmtlich
auf der Linken sitzen, so würde damit schwerlich viel gewonnen werden.

Viel Kopfzerbrechens hat sich auch die Mairegesetzeommisston noch gemacht;
denn nicht alle in ihr gestellten Amendements waren so leicht zu beseitigen,
wie dasjenige des Herrn Jean Brunek, welcher verlangte, daß Jeder, der
zum Maire ernannt werden solle, vorher schriftlich erkläre, er glaube an Gott
und verpflichte sich, die Religion in der Gemeinde zu fördern. Unmittelbar
nach dem Wiederzusammentritt der Kammer am 8. Januar wird nun das
Mairegesetz zur Berathung gelangen und es wird sich zeigen müssen, ob die
Rechte wirklich die Stirn hat, die vor 2^ Jahren von ihr so laut geforderte
Selbstverwaltung im Fundament zu vernichten. Leider ist keine Aussicht vor¬
handen, daß sie sich im letzten Augenblick noch besinnen werde. Sofort wird
dann weiter versucht werden, durch ein neues Gemeindewahlgesetz auch die¬
jenigen Gemeindevertretungen zu finden, welche den von der Regierung ge¬
setzten Maires möglichst wenig Widerstand zu leisten versprechen. Auch hier
hat man als ein Hauptmittel die Verlegung des wahlfähigen Alters im Auge.
Für Paris beabsichtigt man, in dem Gesetze noch einige Ertrachicanen festzu¬
setzen. So wird z. B, denjenigen Wählern, welche unter 400 Fres. Mieth¬
zins zahlen und deshalb zu keiner der vier directen Steuern herangezogen


muthig die Thür zu weisen versteht. Aber das Borgehen gegen die einhei¬
mischen oppositionellen Journale, das selbst, wie in Lyon. Organe der ge¬
mäßigt republikanischen Anschauung nicht verschont, ist im Grunde nichts
Anderes mehr, als die planmäßige Erstickung jeder der herrschenden Ansicht
widersprechenden Meinung, d, h. nur eine andere Seite desselben Planes,
welcher zur Forderung einer „Modifikation" des allgemeinen Stimmrechts ge¬
führt hat.

Die Anstrengungen, welche der Dreißigerausschuß seit Monatsfrist zu
letzterem Zwecke gemacht hat, sind noch nicht zum Ziele gelangt. An allerlei
wunderlichen Vorschlägen war kein Mangel. Belcastel's früher bereits erwähn¬
tes doppeltes und dreifaches Wahlrecht der Verheiratheten wurde durch andere
Projecte womöglich noch übertrumpft. Aber nach all den langen Dis-
cussionen steht bis jetzt höchstens das negative Resultat fest, daß die Besei¬
tigung des Prinzips der Allgemeinheit des Wahlrechts nicht zu erreichen
ist; man ist nur darauf bedacht, die Allgemeinheit in der früher bereits an¬
gedeuteten Weise der Verlegung des wahlfähigen Alters vom vollendeten 2t.
auf das vollendete 25. Lebensjahr und durch Verschärfung der Ansässigkeits¬
bestimmungen möglichst einzuengen. Die Pläne betreffs Einführung des in-
directen Wahlverfahrens scheinen wenig Anklang zu finden. — Zur Unter¬
stützung aller dieser Correcturen des sutkrags umversöl ist auf der Rechten
der Nationalversammlung die Idee der Beseitigung der Diäten aufgetaucht.
Da aber die reichen Fabrikanten und Kaufleute in der Assemblee fast sämmtlich
auf der Linken sitzen, so würde damit schwerlich viel gewonnen werden.

Viel Kopfzerbrechens hat sich auch die Mairegesetzeommisston noch gemacht;
denn nicht alle in ihr gestellten Amendements waren so leicht zu beseitigen,
wie dasjenige des Herrn Jean Brunek, welcher verlangte, daß Jeder, der
zum Maire ernannt werden solle, vorher schriftlich erkläre, er glaube an Gott
und verpflichte sich, die Religion in der Gemeinde zu fördern. Unmittelbar
nach dem Wiederzusammentritt der Kammer am 8. Januar wird nun das
Mairegesetz zur Berathung gelangen und es wird sich zeigen müssen, ob die
Rechte wirklich die Stirn hat, die vor 2^ Jahren von ihr so laut geforderte
Selbstverwaltung im Fundament zu vernichten. Leider ist keine Aussicht vor¬
handen, daß sie sich im letzten Augenblick noch besinnen werde. Sofort wird
dann weiter versucht werden, durch ein neues Gemeindewahlgesetz auch die¬
jenigen Gemeindevertretungen zu finden, welche den von der Regierung ge¬
setzten Maires möglichst wenig Widerstand zu leisten versprechen. Auch hier
hat man als ein Hauptmittel die Verlegung des wahlfähigen Alters im Auge.
Für Paris beabsichtigt man, in dem Gesetze noch einige Ertrachicanen festzu¬
setzen. So wird z. B, denjenigen Wählern, welche unter 400 Fres. Mieth¬
zins zahlen und deshalb zu keiner der vier directen Steuern herangezogen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/77>, abgerufen am 25.08.2024.