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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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station die erschütternde Nachricht traf, das Neueste aus Interlaken sei, daß
der letzte Napolevnd'or dahingegangen sei wie das Abendroth in seinen
Gluthen, und ich hatte weder Lust noch Mittel genug, das tiefgefühlte Bedürfniß,
welches in jenen Tagen vom "Zollhaus" bis tief nach Unterseen hinein nach
Ersatz für das entschwundene edle Metall herrschen mochte, zu stillen.

Mit Karlsbad wurde es aber Ernst. Ich brauchte hier ja auch nicht
die Besorgniß zu hegen, als Ersatzspender für den letzten Napoleon dienen zu
müssen. Denn immerhin hat die Stadt über 7000 autochthone Einwohner,
die von Kindheit an gewöhnt sind, auch die acht Monate hindurch zu leben, wo
der Fremdenverkehr nicht existirt. Aber auf einige Züge von einem winter¬
lichen Interlaken, sogar auf einige Ähnlichkeiten mit Herculanum und
Pompeji machte ich mich allerdings gefaßt, und der Leser mag darüber ur¬
theilen, ob ich mich getäuscht habe.

Zu mehrerer Sicherheit wurden von Tirschnitz aus die Bekannten tele¬
graphisch allarmirt, in der menschenfreundlichen Absicht, ihrer christlichen
Liebe soweit zum Durchbruch zu verhelfen, daß sie gegen Mitternacht einen
Wagen an den Bahnhof senden möchten. Indessen die Telegraphenstation in
Tirschnitz treibt ihr Handwerk mit Poesie und Gründlichkeit. Sie berechnet
zehn Silbergroschen für ein einfaches Telegramm bis Karlsbad und verzichtet
dafür edelmüthig auf jene affenähvliche Geschwindigkeit der Drahtcorrespon-
denz, welche jeder Nichttirschnitzer als die stillschweigende Consequenz der er¬
legten Telegraphengebühren betrachtet. Wenn jemals die Kurie in dem mit
dem Staat allerorten entbrannten Kampfe zum Siege gelangen und uns Ketzer
zum Feuertode verurtheilen sollte, die wir an die lästerliche Erfindung glauben,
daß man mit dem Blitze und mit der Schnelligkeit des Blitzes schreiben könne,
so hat das Telegraphen-Bureau zu Tirschnitz den gegründetsten Anspruch da¬
rauf, mit einem gelinden Ansengen davon zu kommen, denn sie ist durchaus
frei von dieser sündlichen Vorstellung. Ich glaube, es fehlt ihr in dieser Hin-
ficht an dem nöthigen Glauben oder Unglauben, wie man's nimmt. Sicher
ist. daß die besagte Depesche erst anlangte, als Phöbus die Hälfte seiner
Bahn am anderen Tag durchlaufen hatte. --

Infolge dessen war von einem Wagen in Karlsbad keine Rede. In
solchen Fällen, wo man nahe an der Geisterstunde vor einem dunkeln Weg
in eine halb unbekannte Stadt steht, im pfeifenden Nordwind, mit Gepäck,
wird der Zehnte auf den Einfall gerathen, dem Portier sein Leid zu klagen.
Denn der Zug draußen rollt weiter, die Einladung des einzigen Hotelwagens
vor dem Bahnhof harmonirt nicht mit den auf Bädecker's Autorität hin vor¬
gefaßten Uebernachtungsabsichten und außerdem macht das Monopol immer
mißtrauisch gegen die Leistungen des Monopolbesitzers. Es ist freilich noch
ein Omnibus da. Aber wer bürgt dir dafür, daß dieser dich an dem gewünsch-


station die erschütternde Nachricht traf, das Neueste aus Interlaken sei, daß
der letzte Napolevnd'or dahingegangen sei wie das Abendroth in seinen
Gluthen, und ich hatte weder Lust noch Mittel genug, das tiefgefühlte Bedürfniß,
welches in jenen Tagen vom „Zollhaus" bis tief nach Unterseen hinein nach
Ersatz für das entschwundene edle Metall herrschen mochte, zu stillen.

Mit Karlsbad wurde es aber Ernst. Ich brauchte hier ja auch nicht
die Besorgniß zu hegen, als Ersatzspender für den letzten Napoleon dienen zu
müssen. Denn immerhin hat die Stadt über 7000 autochthone Einwohner,
die von Kindheit an gewöhnt sind, auch die acht Monate hindurch zu leben, wo
der Fremdenverkehr nicht existirt. Aber auf einige Züge von einem winter¬
lichen Interlaken, sogar auf einige Ähnlichkeiten mit Herculanum und
Pompeji machte ich mich allerdings gefaßt, und der Leser mag darüber ur¬
theilen, ob ich mich getäuscht habe.

Zu mehrerer Sicherheit wurden von Tirschnitz aus die Bekannten tele¬
graphisch allarmirt, in der menschenfreundlichen Absicht, ihrer christlichen
Liebe soweit zum Durchbruch zu verhelfen, daß sie gegen Mitternacht einen
Wagen an den Bahnhof senden möchten. Indessen die Telegraphenstation in
Tirschnitz treibt ihr Handwerk mit Poesie und Gründlichkeit. Sie berechnet
zehn Silbergroschen für ein einfaches Telegramm bis Karlsbad und verzichtet
dafür edelmüthig auf jene affenähvliche Geschwindigkeit der Drahtcorrespon-
denz, welche jeder Nichttirschnitzer als die stillschweigende Consequenz der er¬
legten Telegraphengebühren betrachtet. Wenn jemals die Kurie in dem mit
dem Staat allerorten entbrannten Kampfe zum Siege gelangen und uns Ketzer
zum Feuertode verurtheilen sollte, die wir an die lästerliche Erfindung glauben,
daß man mit dem Blitze und mit der Schnelligkeit des Blitzes schreiben könne,
so hat das Telegraphen-Bureau zu Tirschnitz den gegründetsten Anspruch da¬
rauf, mit einem gelinden Ansengen davon zu kommen, denn sie ist durchaus
frei von dieser sündlichen Vorstellung. Ich glaube, es fehlt ihr in dieser Hin-
ficht an dem nöthigen Glauben oder Unglauben, wie man's nimmt. Sicher
ist. daß die besagte Depesche erst anlangte, als Phöbus die Hälfte seiner
Bahn am anderen Tag durchlaufen hatte. —

Infolge dessen war von einem Wagen in Karlsbad keine Rede. In
solchen Fällen, wo man nahe an der Geisterstunde vor einem dunkeln Weg
in eine halb unbekannte Stadt steht, im pfeifenden Nordwind, mit Gepäck,
wird der Zehnte auf den Einfall gerathen, dem Portier sein Leid zu klagen.
Denn der Zug draußen rollt weiter, die Einladung des einzigen Hotelwagens
vor dem Bahnhof harmonirt nicht mit den auf Bädecker's Autorität hin vor¬
gefaßten Uebernachtungsabsichten und außerdem macht das Monopol immer
mißtrauisch gegen die Leistungen des Monopolbesitzers. Es ist freilich noch
ein Omnibus da. Aber wer bürgt dir dafür, daß dieser dich an dem gewünsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/67>, abgerufen am 26.06.2024.