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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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lion aber die Kriegsverwaltung jährlich vom Reichstag erbitten muß. Practisch
ist dies kein Unterschied von dem Verlangen der Fortschrittspartei, den ganzen
Bestand des Heeres jährlich zu bewilligen. Ein solches Verlangen mag statt¬
haft sein in England, wo das Heer für die politische Machtstellung des
Staates wenig bedeutet, wo außerdem als maßgebende Factoren im Parla¬
ment unveränderliche Parteitraditionen fast zwei Jahrhunderte hindurch sich
erhalten haben. Bei uns wäre eine solche Behandlung der Heeresinstitution
der Weg zu spanischen Zuständen, nur daß uns das Ausland nicht wie den
Spaniern unbetheiligt zusehen würde. Die eben ausgesprochene Ueberzeugung
aber, daß die alljährliche parlamentarische Bestimmung der Präsenzziffer
gleichbedeutend ist mit der alljährlichen Entscheidung über den Bestand des
Heeres, begründet sich auf die unwiderlegliche Thatsache, daß der Rahmen der
Truppenkörper ohne die entsprechende Mannschaft alsbald leblos und bedeu¬
tungslos wird.

Daß die heutige Reichsregierung die Heeresinstitution der parlamenta¬
rischen Souveränität überliefern sollte, daran kann doch kein Mensch mit ge¬
sunden Sinnen auch nur einen Augenblick denken. Wir stehen also vor einem
neuen Militärconflict, dessen thatsächliche Umrisse zwar Niemand voraussehen
kann, dessen logische Umrisse zu vergegenwärtigen aber eine leider nicht mehr
abzuweisende Pflicht ist. Die Reichsregierung hat folgende verfassungsrechtliche
Waffen. Erstens den Artikel 60 der Reichsverfassung, welcher sagt, daß nach
Ablauf der bisherigen Normirung die Friedensstärke des Heeres im Wege
der Reichsgesetzgebung festgestellt wird. Auf Grund dieses Artikels kann die
Reichsregierung anführen, daß, wenn die Faktoren der Reichsgesetzgebung sich
nicht einigen können, die bisherige Norm der Friedensstarke weiter gelten
muß. Ferner hat die Reichsregierung den Artikel 62, welcher im vierten Ab¬
satz sagt, daß bei Feststellung der Militärausgaben die auf Grundlage dieser
Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichöheeres zu Grunde ge¬
legt wird. Unter dieser Organisation aber kann nur verstanden werden die
Kriegsorganisation, welche der zweite Absatz des Artikel 61 nach Veröffent¬
lichung der Reichsverfassung für das deutsche Heer gleichmäßig durchzuführen
vorschrieb; also die jetzt bestehende Krtegsorganisation. Das Pauschquantum
dagegen läuft mit dem Jahre 1874 ab. und die Reichsregierung kann ver¬
langen, daß bei Feststellung der Militärausgaben nunmehr die gesetzliche
Organisation des Reichsheeres mit Rücksicht auf die heutigen Preisverhältnisse
maßgebend sei. Weigert der Reichstag die Genehmigung der so sich ergeben¬
den Ausgaben, will er einen niedrigeren Präsenzstand als von der Be¬
völkerung von 1867. welches die bisherige Norm war. einseitig erzwingen,
so ist der Conflict ausgebrochen. Die Reichsregierung kann, sobald das
Militärgesetz gescheitert, den Reichstag schließen und die Eröffnung des Cor-


lion aber die Kriegsverwaltung jährlich vom Reichstag erbitten muß. Practisch
ist dies kein Unterschied von dem Verlangen der Fortschrittspartei, den ganzen
Bestand des Heeres jährlich zu bewilligen. Ein solches Verlangen mag statt¬
haft sein in England, wo das Heer für die politische Machtstellung des
Staates wenig bedeutet, wo außerdem als maßgebende Factoren im Parla¬
ment unveränderliche Parteitraditionen fast zwei Jahrhunderte hindurch sich
erhalten haben. Bei uns wäre eine solche Behandlung der Heeresinstitution
der Weg zu spanischen Zuständen, nur daß uns das Ausland nicht wie den
Spaniern unbetheiligt zusehen würde. Die eben ausgesprochene Ueberzeugung
aber, daß die alljährliche parlamentarische Bestimmung der Präsenzziffer
gleichbedeutend ist mit der alljährlichen Entscheidung über den Bestand des
Heeres, begründet sich auf die unwiderlegliche Thatsache, daß der Rahmen der
Truppenkörper ohne die entsprechende Mannschaft alsbald leblos und bedeu¬
tungslos wird.

Daß die heutige Reichsregierung die Heeresinstitution der parlamenta¬
rischen Souveränität überliefern sollte, daran kann doch kein Mensch mit ge¬
sunden Sinnen auch nur einen Augenblick denken. Wir stehen also vor einem
neuen Militärconflict, dessen thatsächliche Umrisse zwar Niemand voraussehen
kann, dessen logische Umrisse zu vergegenwärtigen aber eine leider nicht mehr
abzuweisende Pflicht ist. Die Reichsregierung hat folgende verfassungsrechtliche
Waffen. Erstens den Artikel 60 der Reichsverfassung, welcher sagt, daß nach
Ablauf der bisherigen Normirung die Friedensstärke des Heeres im Wege
der Reichsgesetzgebung festgestellt wird. Auf Grund dieses Artikels kann die
Reichsregierung anführen, daß, wenn die Faktoren der Reichsgesetzgebung sich
nicht einigen können, die bisherige Norm der Friedensstarke weiter gelten
muß. Ferner hat die Reichsregierung den Artikel 62, welcher im vierten Ab¬
satz sagt, daß bei Feststellung der Militärausgaben die auf Grundlage dieser
Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichöheeres zu Grunde ge¬
legt wird. Unter dieser Organisation aber kann nur verstanden werden die
Kriegsorganisation, welche der zweite Absatz des Artikel 61 nach Veröffent¬
lichung der Reichsverfassung für das deutsche Heer gleichmäßig durchzuführen
vorschrieb; also die jetzt bestehende Krtegsorganisation. Das Pauschquantum
dagegen läuft mit dem Jahre 1874 ab. und die Reichsregierung kann ver¬
langen, daß bei Feststellung der Militärausgaben nunmehr die gesetzliche
Organisation des Reichsheeres mit Rücksicht auf die heutigen Preisverhältnisse
maßgebend sei. Weigert der Reichstag die Genehmigung der so sich ergeben¬
den Ausgaben, will er einen niedrigeren Präsenzstand als von der Be¬
völkerung von 1867. welches die bisherige Norm war. einseitig erzwingen,
so ist der Conflict ausgebrochen. Die Reichsregierung kann, sobald das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/523>, abgerufen am 25.12.2024.